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Почитаем?

17.02.16 18:33
Re: Почитаем?
 
regrem патриот
в ответ regrem 17.02.16 17:53, Последний раз изменено 22.02.16 13:19 (regrem)
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Als ICH am Morgen ins Hotelfoyer kam, bedeutete mir Carlo mit einer einzigen, kurzen Geste seines Kopfes, dass jemand draußen, im kleinen Vorhof des Hotels, auf mich wartete. Einen Moment dachte ich, es könnte sich um Rudolf handeln, ich ging auch beinahe angriffslustig zur Tür, blieb dort aber sofort stehen, als ich sie an einem der runden, grünen Tische sitzen sah. Sie saß dort mit dem Rücken zu mir, das lange, im Sonnenlicht noch rötlicher als sonst scheinende Haar hing weit über die Stuhllehne, sie hatte das linke Bein über das rechte geschlagen und blätterte langsam in einer Morgenzeitung, Seite um Seite umschlagend, als habe sie nicht ernsthaft vor, darin zu lesen.
Ich blieb beinahe erschrocken stehen, so schnell hatte ich nicht mit einer Begegnung gerechnet, ich schaute mich nach Carlo um, als könnte er mir jetzt helfen, Carlo aber stand weit hinten im Raum, im Dunkel der Hotelbar, er hatte mich beobachtet, das war zu erkennen, jetzt aber hob er nur beide Schultern, als wollte er mir signalisieren, dass ihm auch nichts Passendes einfalle. Ich drehte mich wieder um und betrachtete sie, sie trug ein weißes, langes Kleid mit blauem Gürtel, dazu leichte Sandalen mit ockerfarbenen, sehr dünnen Riemen, zum ersten Mal sah ich, wie tief gebräunt ihre Haut war, eine Sonnenbrille lag auf dem Tisch. Am liebsten wäre ich wieder hinauf auf mein Zimmer gegangen, um diesen Anblick von oben zu filmen, es war ein einfaches, aber vollkommenes Bild, das Weiß ihres Kleides wirkte in Verbindung mit der minimalen Blau-Andeutung des Gürtels wie ein starker Akzent gegen das dunkle Grün der Tische und Stühle, die zahlreichen Palmwedel bildeten mit ihren laufend wechselnden Hell-Dunkel-Reflexen so etwas wie eine Kulisse, während gegenüber, auf der anderen Seite des Boulevards, das blasse Aquarellblau des Meeres auftauchte, wie eine Antwort auf ihre Kleidung.
Ich stand noch immer in der Tür, als sie sich umdrehte, sie erkannte mich sofort und legte die Zeitung zur Seite, dann sprang sie beinahe auf, da bist Du, hörte ich sie rufen, es klang etwas lauter und höher als sonst. Ich ging auf sie zu, ich überlegte wahrhaftig kurz, ob ich sie küssen sollte, nein, sagte ich mir, doch nicht hier, jetzt nicht und vor allem nicht hier, ich gab ihr nur die Hand, und sie gab mir die ihre, während sie mit der Linken noch zusätzlich meinen Oberarm leicht berührte. Sie wirkte sehr frisch und beinahe schwungvoll, als freute sie sich auf eine Reise oder sonst einen Aufbruch, ich wollte Dich sehen, noch vor dem Frühstück, sagte sie, Du hast doch nicht etwa bereits gefrühstückt? Nein, antwortete ich, habe ich nicht, gut, sagte sie, dann komm, wir frühstücken nebenan in der Bar, hier ist es zu laut und zu voll. Wir verließen den Vorhof, ich dachte darüber nach, was sie wohl meinte, es war weder zu laut noch zu voll, sie hatte sich angewöhnt, mich beiseite zu führen, vielleicht, dachte ich, will sie hier nicht mit Dir gesehen werden, vielleicht ist sie aus diesem Grund mit Dir auch in das Bergnest gefahren. Wir gingen dicht nebeneinander, es hätte nur einer kleinen Überwindung bedurft, den Arm um ihre Schulter oder die Hüfte zu legen, tu es, sagte eine Stimme in mir, so tu es doch endlich, aber so früh am Morgen war ich dazu einfach noch nicht in der Lage.
Die Bar befand sich an dem breiten Boulevard kaum hundert Meter vom Hotel entfernt, sie ging rasch hinein und begrüßte die schwarzhaarige Frau hinter der Theke, das ist Carla, sagte sie, zu mir gewandt, wir kennen uns seit ewigen Zeiten, nicht wahr, Carla?, und das ist Giovanni, ein Freund aus München. Carla reichte mir über die Theke die Hand, sie musterte mich dabei genau, ich war schlecht vorbereitet auf einen so prüfenden Blick, ich trug eine dunkelblaue Hose und ein weißes T-Shirt, dazu meine einfachen, schon etwas abgetragenen Turnschuhe. Mich selbst hätte das alles nicht weiter gestört, wenn ich nicht meine blasse Haut in einem der großen Spiegel hinter der Theke bemerkt hätte, neben Franca wirkte eine solche Blässe beschämend, ich schaute sofort weg, als ich ihr dunkles Braun zum zweiten Mal an diesem Morgen gewahr wurde.
Sie bestellte für jeden von uns einen Cappuccino und ein Cornetto, dann lud sie mich mit einer kurzen Geste nach draußen, setzen wir uns doch vor die Tür, Carla bringt uns das Frühstück. Draußen rückte sie zwei Stühle zurecht, sie platzierte sie eng nebeneinander, wir konnten auf den breiten Boulevard schauen und weiter aufs Meer. Wir setzten uns, wir schwiegen einen Moment, sie schaute mich an, ich versuchte etwas zu lächeln, dauernd hatte ich das Gefühl, als müsste sie mir anmerken, wie ich die Nacht verbracht hatte, in ewigen Skrupeln, mit tausend Gedanken und sogar dem der sofortigen Abreise beschäftigt. Jetzt aber, neben ihr in der morgendlichen Sonne, zerstreuten sich wie von selbst die Bedenken, am liebsten hätte ich ihr gesagt, wie wohltuend das war.
Das kleine Frühstück wurde serviert, wir blickten beinahe zugleich zu Carla auf, die alles noch einmal benannte, einen Cappuccino und einen zweiten, ein Cornetto, bitte sehr, und ein zweites, Carla hatte diese typisch südliche Vorliebe für Rhetorik, anscheinend liebte sie das Litanei hafte und setzte es gerne spielerisch ein. Ich trank einen Schluck, ich sagte etwas darüber, wie sehr ich es am Morgen genoss, einen und wenig später einen zweiten Cappuccino zu trinken, ich hoffte, dass Franca meine leichte Verlegenheit nicht bemerkte, ich sprach davon, wie belebend ein Cappuccino sein konnte und wie der starke Kaffee sich auf dem Weg über die aufgeschäumte Milch in den Mund schlich, ich erstaunte selbst, wie poetisch und beredt ich plötzlich wurde, ich ertrug unser Schweigen nicht, das steckte dahinter. Sie hörte mir zu und lehnte den Kopf ein wenig zurück, gegen die Hauswand, wir saßen jetzt ganz dicht nebeneinander, als hätten wir soeben unser gemeinsames Hotelzimmer verlassen, nach einer wilden Nacht, dachte ich und nahm einen zweiten, größeren Schluck. Sie trank aber noch nicht, sie hob nur den Arm und legte ihn beiläufig auf die Lehne meines Stuhls, ein Passant hätte denken können, sie umarmte mich jetzt, so eindeutig erschien diese Geste.
Ich wusste, dass sie bald etwas sagen würde, ich trank meine Tasse leer und wartete, du weißt, sagte sie dann, ich muss gleich ins Institut, am Nachmittag möchte ich dich aber mitnehmen zu einer Messstation weiter nördlich. Ich schaute sie an, ich wollte genau mitbekommen, wie sie nun loslegte, es war nicht zu glauben, wie aufgedreht und entschlossen sie wirkte, als könnte sie nichts davon abbringen, mit mir am Nachmittag zu dieser Untersuchungsstation zu fahren. Sie schilderte knapp, was mich dort erwartete, anscheinend konnte es sich für mich lohnen, die Arbeit dieser Station kennenzulernen, ich konnte den Blick gar nicht von ihr abwenden, so begeistert sprach sie von dem, was ich dort sehen würde.
Ich nickte nicht, ich reagierte überhaupt nicht, sie hatte längst alles geplant, wir fahren Fünfzehn Uhr drei mit dem Regionalzug, sagte sie, ich hasse Autofahren, und außerdem kommen wir mit dem Auto auf der Küstenstraße nur sehr langsam voran. Während sie so feste Verabredungen traf, erinnerte ich mich an ihr Wort von der »Außenvisite«, anscheinend handelte es sich jetzt genau darum, der Besuch der Messstation weiter nördlich war doch wohl eine »Außenvisite«, wieso wollte sie mich nun aber begleiten, wo sie das vor einigen Tagen noch als Aufgabe von Dottore Alberti angesehen hatte? Ich dachte also »Außenvisite«, ich bekam das Wort nicht aus dem Kopf, ich dachte »Außenvisite« und Dottore Alberti, und plötzlich war nicht nur dieser Name, sondern auch Albertis Gestalt wieder da, es reizte mich geradezu, diesen Namen ins Spiel zu bringen.
Wird Dottore Alberti uns zu dieser Außenvisite begleiten? fragte ich, ich musste die Frage stellen, sie hatte mit den Überlegungen und Quälereien der letzten Nacht zu tun, ich konnte es ihr nicht ersparen. Sie reagierte nicht, sie stockte nicht eine Sekunde, nein, antwortete sie, Dottore Alberti ist im Aufbruch nach Ancona, er übernimmt dort in knapp einem Monat die Stelle des ersten Direktors. Im Aufbruch nach Ancona, was bedeutete das?, es hörte sich so selbstverständlich und elegant an, im Aufbrach, nach Ancona, ich zerlegte den Satz noch einmal im stillen, ich überflog ihn, zwei-, dreimal, aber ich kam damit nicht weiter.
Er ist ein As, Dottore Alberti, nicht wahr? fragte ich nach, ich musste leicht grinsen, als ich eine Spur von Rachsucht verspürte, ich konnte es ihr nicht einfacher machen, ich wollte, dass sie das Thema nicht so unberührt hinter sich ließ. Ja, antwortete sie aber nur und wiederum schnell, ja, er ist ein As, woher weißt du so etwas? Ich weiß es von Carlo, sagte ich, er hat mir gestern Abend von Dottore Alberti erzählt.
Sie antwortete nicht mehr sofort, sie war plötzlich erstarrt, ich beobachtete sie dabei, wie sie das Cornetto auf die Tasse legte und ein paar Krumen zusammenstrich. Einen langen Moment wurde es vollkommen still, ich spürte es bis in die Poren, es war eine bedrückende Stille, dabei zogen längst die ersten Familien mit all ihrem Strandgepäck über den Boulevard hinüber zum Meer. Ich hörte sie aber nicht, ich hörte gar nichts, es war ein wenig wie das Tauchen in einiger Tiefe, nur dass die Lautlosigkeit jetzt lahmte. Sie holte kurz Luft, ich zuckte beinahe zusammen, dann sagte sie, Gianni Alberti ist im Grunde kein Meeresbiologe, er ist Physiker, Mathematiker, er ist blendend in der Analyse, und er ist sehr schnell, weißt Du? Er ist hier geboren, nicht wahr? fragte ich ganz nüchtern zurück. Ja, antwortete sie, ich kenne ihn seit meiner Kindheit. Ich trank aus, ihr Zögern und Ausweichen war mir nicht recht, ich wollte hören, dass sie von der Verlobung sprach, warum machte sie ausgerechnet darum einen so weiten Bogen? Ich blickte zur Seite, ich schaute sie direkt an, ich versuchte, so unbeteiligt wie möglich zu wirken, dann sagte ich, es hat mich erstaunt, dass Du mit ihm verlobt bist.
Sie schaute zurück, ebenfalls ganz direkt, sie lächelte nun wirklich, das weißt Du also auch? sagte sie. Seit gestern Abend, sagte ich, ah, murmelte sie, seit gestern Abend. Sie schaute mich weiter an, sie ließ nicht von mir ab mit diesem Blick und dem leichten Lächeln, ich ahnte, dass sie jetzt darüber nachdachte, dass ich das alles seit gestern wusste, sie überlegte, was das bedeutete, ich sah, wie sie im Stillen alle Möglichkeiten durchging, es musste anstrengend, aber auch eine Kunst sein, den sich jagenden Gedanken mit so scheinbarer Ruhe zu folgen.
Ich tat aber nichts, ich schwieg nur und wartete, hätte sie jetzt mit den Schultern gezuckt und sich zur Seite gewandt, wäre ich aufgestanden und vielleicht aus Enttäuschung sofort gegangen, ich gehe, dachte ich sogar bereits, ich gehe, hörst Du?, wenn Dir jetzt nichts einfällt, gehe ich wirklich. Sie beendete aber ihr Zögern mit etwas, das ich nicht erwartet hätte, plötzlich nahm sie meine Hand in die ihre, sie hielt meine Hand, sie fuhr mit ihren Fingern langsam die Verzweigung der Adern entlang, zu meinem letzten Satz aber sagte sie nichts, nicht ein einziges Wort.
Ich hielt still, ich war von ihrer Geste völlig überrascht, ich schaute ihr mit leicht geöffnetem Mund zu, wie sie die Fingerkuppen über meine Hand gleiten ließ, es hatte etwas Beruhigendes, aber auch Kindliches, einen Augenblick dachte ich, sie will Dich trösten. Es tat mir leid, von Gianni Alberti gesprochen zu haben, ich hatte sie in große Verlegenheit gebracht, anscheinend wollte sie ja um keinen Preis über ihn reden, ich hatte es aber erzwingen wollen, ich hatte sie zu erpressen versucht. Ich beugte mich etwas zu ihr vor, ich sah, was ich angerichtet hatte, der schöne Schwung und die Begeisterung von vorhin in der Eingangshalle des Hotels waren verflogen. Ich räusperte mich, ich nahm nun von mir aus ihre Hand, ich sagte, wir fahren also um Fünfzehn Uhr drei. Ja, antwortete sie und schreckte etwas hoch, komm bitte direkt zum Bahnhof, Du brauchst keine Fahrkarte, Du reist einfach mit mir, auf Instituts kosten.
Sie stand auf, sie versuchte, so sicher wie anfangs zu lachen, sie fragte, was wirst Du tun, bis Fünfzehn Uhr drei? Ich werde mich vorbereiten, sagte ich, ich setze mich an den Strand und studiere mein meeresbiologisches Fachbuch, Fauna und Flora des Mittelmeerraumes, Kapitel Sechs, Lebensräume und Lebensgemeinschaften, Abschnitt drei, Beobachtungen und Experimente zur Lebensweise von Sedimentbewohnern. Ach nein, rief sie, lass das, ich erkläre Dir alles viel besser und auch genauer, Du verstehst es sofort. Sie beugte sich zu mir herab, sie gab mir einen ihrer flüchtigen Freundschaftsküsse, sie winkte wieder kurz mit der Rechten, dann ging sie ein paar Schritte zu ihrem Fahrrad und stieg sofort auf, Fünfzehn Uhr drei!, rief sie, und noch einmal: Fünfzehn Uhr drei!, es hörte sich an wie ein Signal.
Ich blieb noch einen Augenblick sitzen, ich starrte auf den Teller mit den nicht aufgezehrten Cornetti, dass sie nicht über Alberti reden wollte, musste ich hinnehmen, ich hatte kein Recht, von ihr eine genauere Auskunft zu verlangen. Ich stand auf, vor Erleichterung begann ich plötzlich zu pfeifen, ich pfiff etwas vor mich hin, ich schlenderte langsam zum Hotel zurück. Willst Du wahrhaftig zum Strand? fragte ich mich und antwortete gleich, natürlich nicht, niemand bringt mich jetzt an den Strand, um unfreiwilliger Zeuge all der dortigen Morgenrituale zu werden. Ich betrat das Hotelfoyer, es hatte sich längst geleert und Scharen von Gästen Richtung Strand ausgespuckt, nur Carlo stand noch hinter der Theke der kleinen Bar und sammelte Kaffeetassen in der Spüle. Als er mich erkannte, grinste er, Sie sehen ja ganz mitgenommen aus. Tue ich das? entgegnete ich. Was war denn, fragte er, was war denn mit ihr, was wollte sie denn so früh schon von Ihnen? Eh, sagte ich und ahmte seinen Tonfall unabsichtlich nach, eh, sie wollte frühstücken mit mir. Unangemeldet? fragte er schnell. Ganz und gar unangemeldet, sagte ich und bemerkte, dass ich seinen Tonfall sehr gut beherrschte. Dann ist es Liebe, sagte er und setzte hinzu, als bedürfe es für diese Mitteilung auch einer besonderen Feierlichkeit, dann glaube ich beinahe, dass Franca Sie wirklich liebt.
Ach was, rief ich, hören Sie auf!, jetzt hören Sie aber auf! Carlo hob beide Hände, als wollte er die Waffen strecken, dann fragte er, was haben Sie vor, haben Sie Lust, mich auf den Markt zu begleiten, heute ist großer Markttag, ich werde Fisch einkaufen und noch dies und das für die Küche. Ich drehte mich um, ich schaute noch einmal zum Meer, ich überlegte, ob es nicht doch besser wäre, die Stunden völlig reglos am Strand zu verbringen, um zumindest zu versuchen, etwas Klarheit in den erhitzten Kopf zu bekommen. Überlegen Sie nicht so lange, sagte Carlo, kommen Sie mit mir, ich sage Ihnen, es ist besser für Sie. Gut, sagte ich schließlich, wann brechen Sie auf? In zehn bis fünfzehn Minuten, antwortete er, wir nehmen den Lieferwagen, ich fahre damit draußen vor.
Ich nickte kurz, dann ging ich auf mein Zimmer, um meinen Rucksack und einige Utensilien zu holen. Als ich wieder im Hotelvorhof ankam, erkannte ich, dass der Tisch, an dem sie auf mich gewartet hatte, noch genauso dastand wie vor knapp einer Stunde. Ich nahm Platz, ihre Zeitung lag noch zusammengerollt auf der Tischplatte, daneben entdeckte ich ihre Sonnenbrille, sie hatte sie anscheinend vergessen. Ich zog sie an, sie passte genau, ich begann, Seite für Seite umzuschlagen, ich hatte nicht ernsthaft vor, in ihr lange zu lesen.

 

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