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Russland tv vom Elend der Russland-Reportagen

04.02.07 13:01
Russland tv vom Elend der Russland-Reportagen
 
Darx местный житель
Darx
RUSSLAND TV
Vom Elend der Russland-Reportagen
Satire von Ralf Brings
http://www.rosen-dornen-und-traeume.agdok.de
-->Russland-TV
"Sie gingen aufeinander los,
wie zwei Kampfhunde
in einem Moskauer Hinterhof."
(aus dem Sportteil der Süddeutschen Zeitung)
In den Auslandreportagen, in Dokumentationen und Magazinen
begegnet er uns leibhaftig und auf allen Kanälen: der Russe. Kaum
ein Abend, an dem er nicht wenigstens für Minuten aus seinem
Reich ewiger Finsternis emporgestiegen und ins grelle Kameralicht
der Fernseh-Reportagen getaucht, seinen eisigen Atem gen Westen
haucht - und unter friedliebenden deutschen Fernseh-Konsumenten
Angst und Schrecken verbreitet. Ganz gleich, ob als Reality-Produkt
der Privaten oder Quoten(ver)brecher Öffentlich Rechtlicher Fernseh-
Anstalten, der Russe ist im gewinnträchtigen Tele-Spektakel unter
den Bösewichten, Finsterlingen und Barbaren derzeit wieder die
unbestrittene Nr. 1. Iwans Rückkehr fesselt Millionen vor den
heimischen Empfängern. Abschalten können Sie woanders.
Es ist, wie's war: Russland: Frontland. Orte des Verbrechens sind
natürlich Moskau und St. Petersburg, die gefährlichsten und sündig-
sten Städte der Welt. Russlands Rest - so scheint es - besteht aus
endlos-trostlosen sibirischen Weiten und kleinen Dörfern mit kleinen
dicken, mal lustigen, mal betrunkenen Frauen unter bunten Kopftü-
chern, die geduldig darauf warten, von Gerd Ruge oder Dirk Sager
interviewt zu werden: "Ist es Ihnen damals in der Sowjetunion nicht
besser gegangen?". Die Idylle aber ist weit weg und trügt schon deshalb,
weil die Regie auf Idylle stets Gulag folgen lässt.
Was uns die deutschen Reportagen über Russland zu sagen
haben, sind nicht mehr als drei Dinge: Armut, Sex und Gewalt.
In allen denkbaren und undenkbaren Spielarten flimmert die
elende Sex-und-Crime-Tragödie über die Mattscheibe in deutsche
Haushalte und erzählt, was ohnehin alle schon zu wissen glauben
- weil sie es immer schon so und nicht anders gehört und gesehen
haben.
Dafür dass das so bleibt, sorgen professionelle Erzähler, die
im Ausland stationiert und doch nie von zu Hause weggekommen
sind. Russland-Reporter sind meist einfallslos und erfinderisch
zugleich. Sie finden immer, was sie sich zu finden vorgenommen
haben. Das Drehbuch ist bereits geschrieben: in den Köpfen, zu
Hause und in den Backstuben der Redaktionen - aber selten vor Ort.
Also nur noch hingehen und die vorgedachten Bilder einsammeln.
Und die heißen: Elend, Elend, Elend. Russlands Straßen sind
voll damit - mit Säufern, Bettelkindern, jungen Nutten und
alten Frauen, die im Akkord Kreuze schlagen, wenn sie nicht
gerade beim Tüten verkaufen gefilmt werden. Die Straßenkinder
von Moskau, die Straßenkinder von St. Petersburg, die Straßen-
kinder von Wladiwostok, die Straßenkinder von Irgendwo-in-
Russland ... Die endlosgnadenlose Soap mit immer gleicher
Handlung schickt sich an, alle Städte Russlands zu erfassen
und produziert stereotype Elendsbilder am laufenden Band.
Natürlich spielt die Handlung meist im Winter, denn jedermann
weiß, in Russland ist es kalt, eiskalt - und das erhöht die
Elendigkeit des Elends noch um einige Grade.
Das weiß auch der Sibirien-Reisende Klaus Bednarz und deshalb
liefert er, nachdem er sein Pulver bei Baikalsee Reloaded end-
gültig verschossen hat, im Minutentakt die neuesten Temperatur-
grade frei Haus: Der Zuschauer, ergriffen von soviel journali-
stischem Spürsinn, staunt nicht schlecht, denn er erfährt aus
erster Hand: In Russland, da ist es aber kalt! Wer jetzt nicht
erfrieren will, der muss schnell in den warmen Westen - und
vielleicht ist das auch der Grund, warum manche Fernsehjourna-
listen russische ReNtiere unaufhörlich als ReNNtiere bezeichnen:
Nur schnell weg hier, scheint sich so ein ReNNtier in Russland
ständig zu sagen.
II.
Keine Russland-Rundreise ohne Rentierherde - und
Ureinwohnern hinterher. Aber egal ob nun im hohen Norden, im
fernen Osten oder bei "Mythos Ural" - irgendwie scheinen unsere
Reiseexperten doch immer die selbe Strecke abzufahren, die sie
dann auch mit den immer selben Liedern besingen: Man steigt in
einen Wagen, der hier "Schneepanzer" heißt, trotzt Schnee und Eis
- und schon erleben wir die erste Autopanne: Eine Panne! Eine
Panne! So ein Glück aber auch, da hat man was zu berichten.
Reiseberichte von zivilisationsmüden Journalisten sind aus gutem
Grund zu einem guten Teil immer auch Pannenberichte. Im Film wird
die Panne dann auf Russisch, d.h. ohne Hightech dafür aber mit
viel Muskelkraft von Sergej und Serjoscha weggestemmt und weg-
geschoben. Die Deutschen, denen schon bei deutschen Schlaglöchern
das Herz stehen bleibt, staunen dann nicht schlecht und erinnern
sich an ihren Job und daß sie hier doch eine Reportage zu zaubern
haben.
Also, Schlagzeile: Autopanne bei minus 40 Grad. "Ist das nicht
gefährlich?" fragt Jungreporterin Bröker dann ängstlich und
vermummt bis auf zwei Augen. "Nö", sagt Serjoscha ganz
unvermummt und friert dabei noch nicht einmal, "sowas ist hier
ganz normal". Anja Bröker aber kriegt die Krise. Seit sie gehört
und berichtet hat, dass sogar russische Motoren bei minus 40 Grad
ihren Geist aufgeben, fürchtet sie um Leib und Leben. Eigentlich
wollte sie ja über all-inklusiv und Castro auf Kuba berichten. Dann
hat das Zentralkomitee der ARD spitz gekriegt, dass sie nicht nur
eine Frau, sondern auch aus dem Deutschen Osten ist und unge-
nutzte Schulrussischkenntnisse in ihr schlummern. Schon war´s aus
mit Cuba Libre und Sonne satt. Ab nach Russland! Daweidawei!
ging der Befehl.
So zittert sich denn Bröker bei Eis und Schneegestöber ihre Repor-
tage zusammen: "Jetzt sind es schon minus 50 Grad!" ermittelt sie,
kriegt wieder ne Krise und verschwindet nun ganz hinter dicken
Schals und hundert Prozent Wolle. Der Rest des Berichts wird mit
dem Thermometer geschrieben und kreist um die Worte "kalt", "sehr
kalt, "unglaublich kalt" und "eiseskalt". Damit steht auch schon der
Titel: "Notruf in der Tundra. Unterwegs in Russlands eisigem Norden"
Hilfe! Hilfe!
Währenddessen kämpft sich ARD-Studioleiter Albrecht Reinhardt
weiter durch Schnee und Eis auf der Suche nach dem "Mythos Ural"
im Ural. Frei nach Reinhardts Devise: Wir sehen nichts, kennen aber
den Weg, entsteht hier gerade der obligatorische Reportagezweiteiler
für das ARD-Weihnachtsprogramm 2003 - der Deutschland daran
erinnern soll, dass die ARD auch dieses Jahr für keine Überraschung
gut ist, aber ein Herz hat für überbezahlte und überforderte Korrespon-
denten.
Aber Reinhardt ist nun mal der neue Generalsekretär in Sachen ARD-
Russlandbild. Und vielleicht will er ja die Zuschauer nur nicht mit
Neuigkeiten verwirren. Gemäß dem Motto: Schone den Zuschauer - und
schone Dich selber - nur keine Ansprüche wagen, steuert der General
mit seinem Schneepanzer das nächstbeste Zelt ("Zelt am Ende der Welt")
an. Mal sehen wer da ist! Dann guckt Reinhardt ins dampfende Zelt und
sagt: Hier arbeitet die Frau vom Rentierzüchter. Der Rentierzüchter hat
getrunken und legt sich schlafen. Das Zelt ist aus Rentier. Die Kla-
motten sind aus Rentier. Dann guckt Reinhardt in den Kochtopf: auch
hier Rentier. Hier ist alles Rentier, denkt sich Reinhardt, führt
dann aber doch ein kleines Gespräch mit der Jüngsten und fragt nach
ihren Zukunftsperspektiven: Rentierherde oder Studium? Mythos oder
Zivilisation? Das ist hier die Frage. Dann dampft er ab, um das Thema
Gulag abzuhaken. Dafür ist ihm kein Weg zu weit. Worüber auch sonst
berichten in Tundra und Taiga? Als in Workuta ein vollbesetzter
Linienbus an ihm vorbeifährt, verkündet Reinhardt komischklaustropho-
bisch in die Kamera: Jetzt gibt's hier keine Lager mehr. Trotzdem
fühlt man sich hier immer ein bißchen gefangen, von der Außenwelt
abgeschnitten und eingepfercht."
Dann verliert sich der Gefangenentransport mit den eingepferchten
PostGulagianern zwischen Einerlei und Nirgendwo. Die ARD fährt Erste
Klasse in entgegengesetzte Richtung, dem Mythos immer noch dicht auf
den Fersen. Dann geht die Sonne unter.
Im hohen Norden hat sich derweil Kollegin Bröker einer Gruppe Tschuk-
tschen angeschlossen. Nachdem sie sich davon überzeugt hat, dass im Zelt
der Nomaden Plustemperaturen herrschen, hat sich die Journalistin vor-
sichtig aus ihrem Thermopanzer geschält und denkt nun daran, im wonne-
warmen Tschuktschenzelt zu überwintern. Und Hunger hat sie auch! Wird
wohl gleich gekochtes Rentier zu Mittag geben! Dann aber zupfen die
Tschuktschen aus dem Rentierfleisch quabbelige, fette Maden. Eine Deli-
katesse und "lecker, lecker", wie die Tschuktschen auf Tschuktschisch
sagen. Da wird es der Bröker aber dann doch zu bunt. Die rasende
Reporterin springt zurück in ihren Schneepanzer und fährt ganz ohne
Panne in einem einem Rutsch zurück in die Moskauer Sendezentrale: Nie
wieder Tundra! Nie wieder Rentiere! hört man sie noch bis in die Taiga
fluchen.
Seit diesem Erlebnis ist die Jungjournalistin nicht mehr die Alte. Wie
man hört, hat sie sich dem Alkohol zugewandt - und wie man leider auch
gesehen hat, im Delirium eine Reportage mit dem Titel "Nasdrowje! Wodka
- Treibstoff der russischen Seele" gemacht.
III.
Zurück in den Städten muss sich der Korrespondent dann also wieder mit
der Tagespolitik herumschlagen. Sagt er. Tatsächlich aber macht er sich
sogleich wieder auf die Suche nach verkrachten Existenzen. Thomas Roth
kämpft sich am 1. Mai schnurstracks durch ein gut gelauntes Moskau in
Partystimmung, umkurvt Frohsinn und Normalität und steuert zielstrebig
den Bahnhof an: dort gibt's Alkoholiker und Gestrandete satt - und genau
die will er haben. Es folgt: Investigativer Journalismus in besoffene
Gesichter und der Bericht zur Lage der Nation, von Russen, die den
vollen Durchblick haben: Journalisten Fragen, Alkoholiker antworten!
Roth hat für den Weltspiegel gerade wieder eine "Krise" in Russland
ausgemacht. Und wo's keine gibt, kann man sie ja herbeireden: Steht
der Roth also am 1. Mai auf dem Roten Platz und fragt: "Was halten Sie
denn von der Krise?" Antwortet der Russe: "Welche Krise?" Pech gehabt.
Falsche Antwort. Der nächste Bitte! Da sind die Säufer schon verläß-
lichere Partner. Im Zweifel machen die auch für wenig Geld, eine volle
Pulle, oder nur für ein bißchen Aufmerksamkeit was man will und für
einen anständigen Bericht braucht. Säufer suchen ist denn auch in der
Russland-Berichterstattung ein absolutes Muss: Iwan, der Säufer,
bestätigt sämtliche Russlandklischees, ein Traumprotagonist, Nasdrowje!
Da schweben in einem Zug auf der Strecke zwischen Moskwa und Stolich-
naya, wie von Geistes Hand, Wodkagläser durch die Abteile. Iwan Iwano-
witsch, noch müde vom durchzechten Arbeitstag und nun auf der Heimreise,
ist mächtig entzückt als ihm unsichtbare deutsche Hände, das Gläschen vor
die Nase halten - und greift freudig nach der Gage. Mal ganz was Neues:
Korrespondenten inszenieren die Wirklichkeit, so dass jeder die Inszenie-
rung als Inszenierung erkennt. In ihrer Säufer-Reportage "Nasdrowje!"
gibt Bröker einen tiefen Einblick in die russische Säuferseele. Auf
tiefschürfende Fragen: "Warum trinken Sie?" folgen gehaltvolle Antworten:
"Weil Sie mir gerade was eingeschenkt haben!" Für Bröker sind alle Russen
im Zugabteil Alkoholiker und Säufer - nur weil sie ein Gläschen in der
Hand halten, einfach nur schlafen, oder noch einfacher: weil sie Russen
sind. Von der herbeigeredeten Sauforgie in dem "stinkenden" Zug, ist
zwar auch bei genauerem Hinsehen keine Spur. Dafür aber trumpft die
Journalistin mit Fakten, Fakten, Fakten auf: 60.000 Alkoholtote jährlich
in einem Land, in dem es laut Reinhardt nicht nur am Tag, sondern auch in
der Nacht dunkel ist. Wenn das kein Grund ist. Dann fängt der Kameramann
noch schnell drei Torkelrussen ein. Was Bröker nicht sagt: Für Deutsch-
land und Frankreich ermittelt man ziemlich genau die selbe Zahl Alkohol-
tote. Wenn man nun die Einwohnerzahlen der drei Länder miteinander ver-
gleicht, kann sich jeder darauf seinen eigenen Reim machen - und freuen
auf die nächste entlarvende ARD-Reportage. Intro: Bierflaschen schweben
durch den ICE oder eine Boing. 747 Ballermänner unterwegs und Harald
Juhnke im Bierzelt als Experte. Die Reportage, ausgestrahlt zu Karne-
vall, wird natürlich "Prost" heißen, Untertitel: "Gerstensaft schmiert
deutsche Leber.
Zurück nach Russland. Immer wieder auf den Wunschzetteln von
Öffentlich und Privat stehen neben den Säufern auch die Betteljungs.
Top Drehadressen sind Quartiere unter Gullideckeln - und dann eine
Runde Kleber schnüffeln bis die Linsen beschlagen. Sind die Kids
dann so richtig hey, stellen die Journalisten Fragen: Z.B, wie es
sich denn so lebt im winterlichen Russland, bei xy Grad und was sie
denn mal Schönes werden wollen. Da lachen die Jungs beschwippst,
denn nach dem Berufswunsch hat sie schon lange keiner mehr gefragt.
Naja, sagt da einer, er gehe halt zur Mafia, was denn sonst. Da lachen die
Jungs wieder und auch der Reporter ist bester Stimmung. "Gestorben"
sagt der und meint damit, daß die Szene im Kasten ist: gut gelaufen,
Aufstieg aus der Gulliwelt und ab ins Studio. Die Kids bleiben im Loch.
(c) ralf brings
IV.
Russland ist ein armes Land. Und seltsame Menschen leben dort.
Die Männer tragen Uniform, Sonnenbrillen oder eine Flasche
40 Prozent. Und irgendwie sind alle ein bißchen kriminell:
Die Armen, weil sie arm sind und sich durchs Leben schlagen.
Und die Reichen, weil sie reich sind und - wie Russen nun mal
sind - mit stolzer Russenbrust ihren Reichtum vorzeigen. Und
die Frauen? Russische Frauen heißen alle Tatiana oder Natascha.
Und die Frauen haben es schwer: mit ihren versoffenen Männern,
die das wenige Geld in Promille anlegen und nichts außer Sorgen
nach Hause bringen. Aber russische Frauen stehen ihren Mann -
im Sozialismus als Kranführerin und auch im Kapital. Zwei Sorten
Frauen schlagen sich durch die Härten des russischen Lebens. Die
kleinen Dicken mit den bunten Kopftüchern, die leben auf dem Land,
sind laut und lustig und seit Gerd Ruge fester Bestandteil des ARD-
Weihnachtsprogramms. Für "heiße" Geschichten aber taugen die
nicht: da langt man lieber nach den Töchtern. Die sind dünn und
dünner, haben auffallend rote Lippen, sind auffallend grell geschminkt,
tanzen in einer Stripp-Bar und gehen auf den Strich oder in die
Abtreibungsklinik. Meistens in dieser Reihenfolge.
"24 Stunden" mit Natascha durchleuchtet den Alltag einer 24jährigen
aus St. Petersburg. Vom Anbaggern bis auf den gynäkologischen Stuhl
in der Abtreibungsklinik recherchieren die SAT1-Männer detailversessen
und mit schonungslos aufklärerischem Blick - bis fast hinein in den weit
aufgefächerten Unterleib der jungen Russin. Der Zuschauer vernimmt,
wie Natascha der Gynäkologin mit der Kochmütze und der Metzger-
mentalität von ihrer 24. Abtreibung im 24. Jahr berichtet, was dann
sogar die hartgesottene Abtreiberin kurz in Richtung Kamera brüskiert.
Spätestens jetzt wird klar, die Kundin ist Prostituierte, und Verhütung
in Russland vollstreckt frau nicht mit Gummis oder Pillen, sondern mit
Messer und Sauger. Ein kurzer Blick noch in die Rekonvaleszenz: drei
Frauen, blutjung und alle Wiederholungstäterinnen, gerade entsorgt und
schon scherzen und lachen sie wieder. Mein Gott, was für Menschen!
Aber eine gut gerührte Geschichte! Redaktionen und Konsumenten
lieben Geschichten über strauchelnde und gefallene Mädchen. Und
deshalb werden die Tatianas und Nataschas gleich scharenweise vom
Laufsteg abgegriffen und treten als medial vorzeigbare Lustobjekte ihre
Reise gen Westen an. Von Katalogmädchen, Models, Stripperinnen,
Prostituierten und Pornodarstellerinnen können die deutschen Programm-
Macher gar nicht genug kriegen. So ist denn auch Herr Deutschmann
schnell im Bilde: Russische Mädchen wollen Model werden oder so was
ähnliches, oder reich, oder in den Westen - und das alles am besten
gleichzeitig. Auch Dirk Sager weiß anschaulich über die russischen
Lolitas zu berichten. Fünf braven jungen Frauen, die sich gelegentlich
durch brave Tanzeskunst ein paar Rubel dazu verdienen, verpasst der
ZDF-Mann, kaum dass er sie vor die Kamera bekommen hat, den
Prostituzia-Stempel der Käuflichkeit. Sager: "Jetzt haben sie sich
daran gewöhnt, ihre Haut zu Markte zu tragen, werden gemietet für
Feste einiger wenigen Reichen."
Dann zaubert der Russland-Experte vom zweiten Kanal ein Szenario,
als wolle er Lenin mit Stalin austreiben: Russland, ein Wintermärchen.
Bezaubernde Schneelandschaften. Dann eine Sauna, daneben ein
Swimmingpool. Der Pool dampft, Sager schwitzt und haucht mit
Lilo Wanders Worten:
"Und dann noch Sibirien von der ganz heißen Seite..."
Das war das Stichwort: Aus der Sauna treten nun, eine nach der
anderen, fünf junge Frauen in knappen, bunten, unverbrauchten
Bikinis und tragen, wie der Reporter schon so treffend vorhersah:
... "ihre Haut zu Markte" Aha! Typische russische Mädchen! Lassen
für Geld und Gagen, für reiche Russen und TV-Teams aus dem
goldenen Westen mal wieder die Hüllen fallen! Schnitt. Da stehen
also fünf Bikinimädchen im sibirischen Schnee. Und? Was sollen
wir JETZT tun? fragt da eine. Pause. Denn Herr Sager ist sprachlos
glücklich und lässt seine Mietmädchen noch ein Weilchen in
dem von ihm geschaffenen Szenario stehen. Und dann, natürlich
und unvermeidlich, der Höhepunkt des Abends, man ahnt es
schon: Die Mädchen springen in den vor Freude
dampfenden Pool.
Dann ist nur noch Plantschen. ...
Und Ende. Der flotte Fünfer verabschiedet sich vom ZDF, um auf
dem heimischen Markt noch ein bißchen Kohl, Kartoschka und
Kascha zu kaufen. Die Kamera zeigt derweil wieder: Russischen
Winter. Besonders beeindruckend, weil hier in Sibirien besonders
kalt! Dirk Sager aber bleibt nur eine wehmütige Erinnerung an eine
unvergeßliche Poolparty. Dann nimmt er die Hand von seinem ersten
Auge, vergießt eine Träne und schreibt in den ewigen Schnee die
Worte:
"Lockruf der Wildnis ... Warme Quellen
- eine Verlockung auch für den auf
Sachlichkeit bedachten Reisenden."
V. NEUE FOLGE.
Phrasen. Phrasen. Phrasen.
Moskau. Montagmorgen. In der Redaktionsstube vom Zweiten sitzen die
Russland-Reporter, knabbern Prjaniki und Bubliki und überlegen, was sie
dem Zuschauer in der Heimat noch Schönes über Russland zu erzählen
haben. Schweigen. "Alles schon da gewesen!" murrt da einer. Will denn
keinem mehr was einfallen?
Konfetki. Baranki. Petschenki. Suchariki.
Vollmundiges Geknabber. Ratlose Gesichter. Leere Köpfe.
Und dann doch eine Idee:
"Mal sehen, was die vom Ersten machen?!"
Das deutsche Erste sendet auch 2006 seine Standard-Reise-Leier:
Wieder-durchkämmen-deutsche-Entdecker-Russland-von-West-nach-Ost-
und-erzählen-süßsauere-Geschichten, so als hätten Ruge, Bednarz und
Sager nie russischen Boden betreten.
"Kaltes Sibirien!╕ ... ?Schönes Sibirien!╕ ... ?Unendliches Sibirien!╕
Katastrophen und "Impressionen zwischen Wodka, Balalaika und Kalaschnikow".
Russland wie aus dem "Lehrbuch der Stereotypen". Eigleiche Berichte, geklont,
geklaut, abgeschrieben, abgeschaut. Und Phrasen, Phrasen, Phrasen.
"Atemberaubend╕ faselt der Sprecher, während es aus seinem Mund unablässig
Zahlen dampft: Minus 20, ... minus 30, ... minus 40, ...minus 50 Grad. Geteilt durch
4.000 Russen-Kilometer + Pleiten, Pech und Autopannen. Mit Rain Man durch
Russland sinnlos den Kältegraden hinterher jagen. Einblicke in den TV-Autismus
von Öffentlich und Rechtlich. Gesendet wird, was gängigen Klischees und
Vorurteilen entspricht. Neue Blicke, neue Themen: Fehlanzeige. Russland banal.
Jenseits allen Einfallsreichtums nennt das Erste seinen neuen Reise-Mehrteiler
denn auch "Jenseits der" ... Schnitt! ... durchatmen, man wagt es kaum auszu-
sprechen: ? ... W-Ä-R-M-E". Da mag es einen schütteln, frösteln und frieren,
ob der Leere in den Köpfen von Fernsehmachern, die Russland wie einen
Rosenkranz runterbeten - und denen kein Schlagwort zu abgedroschen ist,
wenn sie Plagiat an Wiederholung reihen.
VI.
"Russische Woche" im Mitteldeutschen Fernsehen. Nachtmenschen und
Nostalgiker erfreuen sich zu mitternächtlicher Stunde an sowjetischer Filmes-
kunst. Bei schnödem Tageslicht betrachtet frohlockt der Sender mit dem schrill
medialen Russland-Bild der Gegenwart. Ein Programm für die ganze Familie:
Gestern RussenNazis. Heute Aids. Morgen, der Gipfel aller Grausamkeiten:
Kommunalkas.
"Kommunalkas? ... Kommunalkas? ... Da war doch was?!? Praktikant German
Gesse, frisch fürs ZDF akkreditiert, schnappt nach dem Happen. Schon hat er
aus dem "Das-haben-die-anderen-über-Russland-geschrieben╕-Stapel eine
langes Stück Papier gefischt. Die Redaktion ganz Ohr. Gesse liest:
Kommunalkas: "Jeder fünfte Petersburger ist zu einer Existenz im Gestank von
Toilette und vergammeltem Fisch, im Eintopfdunst, zwischen Kernseife und
trocknenden fremden Unterhosen verurteilt."
Klare deutsche Russland-Prosa, recherchiert mit deutschem Blick und deutscher
Spürnase. Vermag der Russe zwischen Küchen- und Toilettengestank noch zu
unterscheiden? Woraus frisst er? Worein pisst er? Zwischen Stinkefisch und
Unterhosen kapituliert auch die ZEIT vor dem Zeitgeist und beteiligt sich am
medial gepflegten Russland-Einerlei.
Gut so. So soll es sein, sagen die vom Zweiten und sind entzückt. Denn neben
üblen Gerüchen liefert der ZEIT-Bericht auch finstere Gestalten. So vereint die
Russland-WG Kinderschänder, Giftmischer, Alkoholiker, Betrüger, Diebe und
eine vor sich hin gammelnde Leiche. Typische Russen eben.
Dem ZDF-Jungmann tropft derweil der Zahn. Schon sieht er sich seinem ZEIT-
Kollegen gleich, hochnäsig-tiefschürfend-investigativ und ach so betroffen
zwischen Kernseife und Leiche journalistische Wühlarbeit leisten. Eine Karriere
nimmt ihren Lauf: Vom Petersburger Abort über den Karriereteich nach...
Aber nein. Redaktionsleiterin Britta Hilpert zieht die Stirn in Falten: ?Und? ...
?Und? ... fragt sie barsch: "Wo sind die KA-KER-LA-KEN!?╕... Betretenes
Schweigen. Die Redaktion entsetzt. Sollte Print-Kollege Jogi Voswinkel bei
seiner Aufzählung alttestamentarischer Plagen doch glatt die gemeine
deutsche Küchenschabe, der Deutschen liebstes Gruselkind, vergessen
haben? Russische Elendshütten ohne die medial taugliche, vielbeinige
Krabbelschar? Ein Fauxpas!
Undenkbar. Denkt auch Frau Hilpert. ?Kommunalka ohne Kakerlaken, das
ist wie Russland ohne Winter! Wodka ohne Alkohol! Geht mir nicht über den
Sender. Schluss! Aus!╕
Oha! So also sieht Fernsehmachen in der Praxis aus, denkt sich die jung-
dynamische Abteilung. Und sieht sich um die geklaute Reportage betrogen.
Doch Highlight-Hopper Gesse, schon ganz Profi, lässt nicht locker. Nun will
er zeigen, was er im Grundstudium und bei Scholl-Latour gelernt hat:
?Reportage und Vision╕. Gesse laut:
?Alle mal herhören! Vielleicht ja so:"
Deutscher Spender auf Brautschau in St. Petersburg heiratet Prostituierte,
adoptiert Straßenkind. Wird dann von einem Alkoholiker mit einer Wodka-
Flasche erschlagen, dann von der Mafia beraubt, dann von einer Horde
Ren(n)tiere totgetrampelt - erfriert bei minus 150 Grad auf einer Straße mit
vielen Schlaglöchern. Wird dann am frühen Morgen von einer Horde Plastik-
tütenbepakter Babuschkas aufgefunden, mit viel Borschtsch und Schtschi
wieder zum Leben erweckt. Konvertiert zum orthodoxen Glauben, wird
Mönch auf Sotschi, macht zur Buße einen Rundgang um den Baikalsee,
dann Karriere, wird Businessman, dann Oligarch und reich.
Wird wegen Steuerhinterziehung verhaftet und nach Sibirien verbannt.
Kommt durch Bestechung wieder frei, wird Polizist und gründet unter dem
Namen Vissarion mit 50 Models eine Sex- und Öko-Sekte in der Tundra.
Entsorgt Putin durch Polonium, wird Alleininhaber von Gazprom, kauft
Schalke 04, die Deutsche Bahn, die Deutsche Post, die und Deutsche Bank
- und die SPD. Wird Kanzler der zwangsvereinigten Deutschen Allparteien-
koalition (DAK) und unter dem Namen "Der große Drushba" 1. Vorsitzender
eines mit Russland wiedervereinigten Deutschgroßrussland.
Und das alles in 5 Minuten.
Pause ... Und? ... Die Redakteure blicken kurz auf, knabbern stoisch
an ihren Plätzchen. Dann winken sie ab:
"Hatten wir auch schon!"
...
Fortsetzung folgt.
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