Szene 7 Genau 320 Meter oder wie ich in Luzern einem Urschweizer begegnete
In der Schweiz gehen die Uhren genau. Sehr genau. Genauer als anderswo. Und Schweizer sind pünktlich. Sehr pünktlich sogar, genau wie die Uhren. Dieses Klischee kannte ich natürlich, als mein Zug in Luzern ankam. Ich kam aus Köln, war zum ersten Mal in der Schweiz und hatte mich für diese Stelle im Hotel "Zum wilden Mann" beworben ... und mein Zug hatte Verspätung; genau
30 Minuten zu spät kam er in Luzern an. Und um fünf war mein Termin. Und ich war nervös ... Bahnhofsprecher: Gleis 7. Der Eurocity 9 aus Basel, fahrplanmäßige Ankunft 16 Uhr 19, hat circa 30 Minuten Verspätung. Maria: Wo ist denn jetzt dieser Stadtplan ... ich hab ihn doch eben noch ... hier, Mist! ... Habe ich den blöden Stadtplan etwa im Zug liegen lassen ... O Gott! Das darf doch nicht wahr sein! Passant: Kann ich Ihnen helfen, Fräulein? Fehlt Ihnen etwas? Maria: Nein, nein, danke, ich hab bloß ... ... den Stadtplan im Zug vergessen. Im Zug, der eine halbe Stunde zu spät in Luzern war. Auf dem Plan war das alles so einfach: Aus dem Bahnhof raus, dann zum See, vor
der Brücke links, dann kommt der Park und dann die Kirche. Aber die Wirklichkeit war anders - farbig und kitschig wie eine Postkarte, und da waren viele, viele Touristen ... Fremdenführer: Please don't step out on the street, there are many buses ... okay, now the alps of Central Switzerland.On this side you can see Mount Pilate and over there the famous Rigi, where Mark Twain wrote ... Ach, und ich habe gedacht, das ist der Mount Everest, hö hö ... Jetzt komm schon, ganz ruhig, hier sind doch alle so ruhig ... wie war das schon wieder? Zuerst der See, der Vierwaldstätter See - sieht wirklich aus wie eine Postkarte, wunderschön. Also, der See, ach, und da ist die Brücke, da muss ich
nach links – aber da darf ich ja gar nicht über die Straße. Dahinter muss der Park sein, und die Kirche. Ich seh aber keinen Park. Fremdenführer: Now please get into the bus. We will drive over the bridge, where you can buy watches and Souvenirs. Und dann sah ich ihn, den Urschweizer: Hut, langer Bart, Rucksack und ein Stock aus Holz - ein richtiger Schweizer wie aus dem Ferienkatalog, nur die Kuh fehlte. Und freundliche Augen hatte er auch. Maria: Entschuldigen Sie bitte, ich suche das Hotel "Zum wilden Mann". Können Sie mir sagen, wie weit das ist? Urschweizer: Ehm ... äh ... ehm ... ja, warum nicht ... Maria: Und ...? Ist es weit? Urschweizer: Jaja, das kann ich Ihnen schon sagen. Maria:
Entschuldigung, aber ich hab da um 5 ... Urschweizer: Ja, ja, einen kleinen Moment, die Dame. Also, das sind ziemlich genau 320 Meter. Maria: Wie bitte, dreihundert ... Urschweizer: Ja genau, etwa 320 Meter. Immer geradeaus und dann links, da steht das Hotel. Sie können es nicht verfehlen. Adieu, die Dame. Nicht zu glauben. Aber die Schweizer nehmen es wirklich ganz genau, und der Urschweizer hat sich ruhig die Zeit genommen, den Weg zum Hotel im Kopf abzugehen Und die Antwort war genau, sehr genau. Es waren wirklich 320 Meter bis zum Hotel. Nur ich war leider nicht ganz pünktlich, 5 Minuten zu spät, aber die Stelle habe ich trotzdem bekommen ...
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