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Почитаем?

17.02.16 18:28
Re: Почитаем?
 
regrem патриот
in Antwort regrem 17.02.16 17:53, Zuletzt geändert 18.02.16 17:29 (regrem)
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ICH ZOG den Korken aus der gut gekühlten Weißweinflasche, schenkte mir ein Glas ein und trank einen Schluck, sofort, ohne jede Verzögerung, spürte ich die Wirkung des Alkohols, als nähme er sich meiner Müdigkeit an, um sie schlagartig zu vertreiben, es war wie ein kurzer, animierender Schock, so dass ich gleich einen zweiten Schluck nahm.
Die Kellner zogen mit den bunten Spaghetti-Bergen durch die Reihen, um sie auf die hingeschobenen großen Teller zu verteilen, die Stimmung im Saal war jetzt beinahe ausgelassen, man hörte die anfeuernden, kommentierenden Rufe der Gäste, wenn sich die Spaghetti-Fäden auf die Teller senkten. Da ich ganz am äußersten Rand des Saales, nahe der großen Fensterfront, saß und so schnell nicht bedient werden würde, schlug ich das meeresbiologische Fachbuch auf, am nächsten Morgen hatte ich meinen ersten Termin im Museum, zumindest einige Grundbegriffe, die ich mir in den letzten Wochen angelesen hatte, wollte ich auffrischen.

Am meisten hatten mich die Kapitel über die Lebensräume im Meer interessiert, immer wieder war ich an den Abbildungen dieser Seiten hängengeblieben. Der Algenbereich mit seinen Grün-, Rot- und Brauntönen, mikroskopisch kleine Sträucher, in denen sich die Krebse verfingen. Der graugrüne Sandboden mit den kaum erkennbaren Umrissabdrücken der Plattfische. Der schlammige Grüngrund, pastos, mit bemoosten Muscheln und den Texturen von kleinen fünfarmigen Sternen.

Ich starrte mal auf die Bilder, mal hinaus auf den Boulevard, der Blick flog über den Palmwedel Teppich des Hotelvorgartens auf die im Sonnenlicht glitzernde Meeresfläche, bis hin zu den Segelbooten am weißen Horizontstreifen. Ich füllte das Wasserglas und leerte es gleich, dann stand der junge Kellner neben mir und bot mir die Pasta an, spaghettini, sagte er, ich serviere Ihnen spaghettini, mögen Sie spaghettini?
Die dünnen Nudelfäden schlangen sich um dunkle Oliven, Kapern, kleine Tomatenstücke und rosa Anchovis, grüne, spitz zulaufende Blätter lagen mittendrin wie ein zentrales Nest. Was sind das für Blätter? fragte ich. Zitronenblätter, antwortete der Kellner, das sind Zitronenblätter.
Ich nahm noch einen Schluck Wein, als ich die Nudeln mit der Gabel aufzurollen begann, fischte ich in den Tiefen des Meeres. Die zusammengerollten grünen Zitronenblätter erinnerten an die Algenwälder der Abbildungen, das ganze Gericht schmeckte intensiv nach Meer und Fisch.

Ich sehe, es schmeckt Ihnen, sagte der ältere Mann am Nebentisch. Wem sollte so etwas nicht schmecken? antwortete ich. Ah, nicht alle mögen Fisch, sagte er, aber wenn man hier keinen Fisch mag, sollte man zu Hause bleiben. Unbedingt, antwortete ich, man sollte in die Berge fahren und sich an fetten Landwürsten mästen.
Nun ja, sagte er, auch fette Landwürste sind nicht zu verachten, kaum eine halbe Stunde von hier ist man schon in den Bergen, wo es sehr gute gibt.
Da er mit seiner Frau kaum ein Wort wechselte, war er anscheinend froh, einen anderen Gesprächspartner gefunden zu haben, sein Gesicht war gerötet, freudig gerötet, dachte ich und überlegte, wie ich ihn auf Distanz halten konnte. Er hob sein Glas und prostete mir zu, salute, sagte er, und ich dachte salute, cum grano salis, salute, wieder war ich in einen leichten Wortwirrwarr geraten.
Was lesen Sie denn da, fragte er, es sieht aus wie ein Kochbuch. O nein, nein, antwortete ich, das ist kein Kochbuch, sondern ein meeresbiologisches Fachbuch. Sie sind Meeresbiologe? fragte er sofort nach.
Ich erklärte ihm kurz, was mich nach San Benedetto geführt hatte, er tat beeindruckt, als wäre die Arbeit eines Fernseh-Redakteurs etwas Besonderes, ja Exquisites, ich schenkte mir Wein nach und vertiefte mich mit gespieltem Interesse wieder in mein Fachbuch.
Ich las von Einzellern, Ultra- und Mikro-Plankton, ich betrachtete die Kleinstorganismen, die sich dicht an das, wie es hieß, »Oberflächenhäutchen« des Meeres schmiegten. Unterhalb der schwebenden, kaum beweglichen Schicht gab es schwerere, aber immer noch passiv schwimmende Wesen wie etwa die Veilchenschnecken, die angeblich auf selbstgebauten Schaumflößen daher trieben, aktiver waren die
umherschweifenden Arten, denen es aber auch nicht gelang, gegen die Strömung anzuschwimmen, erst die Fische waren aktive Schwimmer und wechselten ihre Lebensräume aus eigener Kraft.
Winzige Schnecken in leeren Seepockengehäusen ..., das Wasserrelief der Kalkausfällungen auf grauen Steinen ..., Seeigel- und Mollusken Schalen auf schwerem Grob Sand -die präzisen Fotografien übten einen so stark ästhetischen Reiz auf mich aus, dass ich gar nicht darauf achtete, was sie mir eigentlich erklären sollten, ich betrachtete sie eher wie kleine Bilder, die mich an eigene Meereseindrücke erinnerten. Worte wie »Seepockengehäuse« oder »Kalkausfällungen« las ich mehrmals, in ihrer anschaulichen Präzision gefielen sie mir besonders, daneben verstärkten sie die Neugierde, ich freute mich auf meinen ersten Gang am Meer entlang, wo ich all das wiederzufinden hoffte.
Als ich umblätterte, stand Carlo neben mir und blickte mir über die Schulter, zu Beginn der Mahlzeit hatte er sich allein an einen kleinen Tisch hinter der Tür gesetzt, das schien sein Platz zu sein, der Platz des Beobachters, der alles übersah und kaum etwas aß. In ruhigem Ton fragte er, ob ich zufrieden sei, und ich antwortete, der Wein sei zu gut, ich trinke zu viel davon. Sie werden sich an ihn gewöhnen, sagte er, jedenfalls beneide ich Sie, ich komme weder zum Trinken noch zum Essen, wenn die Gäste zugreifen, verliere ich jeden Appetit.

Er sprach sehr leise mit mir, es war ein Flüstern, als wollte er vermeiden, dass noch andere das Gespräch hörten. Wir redeten miteinander, als hätten wir Geheimnisse, es war ein seltsamer Dialog, wie zwischen Eingeweihten, die die anderen links liegen ließen. Ich werde Sie zum Essen einladen, sagte ich schließlich, irgendwo da draußen am Meer, damit Sie einmal etwas von der Welt zu sehen bekommen. Ich danke, Sie sind sehr freundlich, antwortete er grinsend und ging wieder zurück an seinen Tisch.
Während ich ihm hinterherschaute, wusste ich endgültig, dass ich in ihm eine Art Partner gefunden hatte, das Treiben der Gäste schien er mit leichter Ironie zu verfolgen, vielleicht war ich für ihn einer, dem er ebenfalls Distanz und Ironie zutraute, jedenfalls hatte unser Gespräch einen Ton angenommen, als wären wir zwei erfahrene Aufsichtspersonen für einen Haufen verwöhnter Kinder.

Nach dem Essen trank ich an der Bar im Foyer des Hotels einen doppelten schwarzen Kaffee und ging hinauf auf mein Zimmer. Die meisten Gäste begaben sich jetzt zur Ruhe, zwei, drei Stunden würden sie während der größten Hitze des Tages in ihren kühlen Zimmern verbringen, auch ich war sehr müde, die beinahe schlaflos verbrachte Nacht im Zug hinterließ ihre Spuren, doch war ich zu neugierig und unruhig, um dem Beispiel der anderen zu folgen.
So packte ich einige Utensilien in meinen Rucksack und verließ das Hotel, ich überquerte den breiten Boulevard, ging über einen schmalen Steinplattenstreifen ans Meer, zog Schuhe und Strümpfe aus, krempelte meine Hose hoch und watete einige Schritte hinein. Das Meer war sehr ruhig, die Wellen glitten ungebrochen an Land und legten sich wie feine Netze aus Schaum über den glatten, aufschimmernden Sand. Ich breitete die Arme aus, wie zum Flug, so verharrte ich kurz, ohne Bewegung, ich war angekommen.
 

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