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Почитаем?

17.02.16 18:28
Re: Почитаем?
 
regrem патриот
в ответ regrem 17.02.16 17:53, Последний раз изменено 18.02.16 17:31 (regrem)
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DIE LIEGESTUHLREIHEN waren jetzt am späten Mittag fast leer, nur hier und da döste ein einzelner Schläfer, die Rettungs- und Tretboote kauerten zwischen den Reihen im tieferen Sand, zu jeder Strandpartie gehörte ein kleines Café oder ein Restaurant, weiter hinten, am Boulevard.
Ich ging barfuß am Meer entlang, meine Füße hinterließen im niedrigen Wasser einen prägnanten Abdruck, den die flachen Wellen sofort wieder wegspülten. Ich sah bleiche Schwämme und Flechten, gummiartige Mooshände zwischen Muscheln und Schnecken, fast durchsichtige Krebsskelette lagen neben gestreiften Mövenfedern und gallertigen Trauben leerer Ei hülsen, ich fixierte das alles und nahm mir vor, es später einmal zu filmen.
So ging ich, den Blick meist nur auf einen schmalen Uferstreifen gerichtet, bis die feinen Sandstrände aufhörten und, weit draußen, schon am Rande der Stadt, von Steinhalden und einer schwer zugänglichen Steppe abgelöst wurden. Ich trank etwas Wasser und legte mich in einen Felsschatten, meine Augen tränten im beizenden Sonnenlicht vor Überanstrengung, als ich den Kopf ganz zurück, auf den Sand fallenließ, schlief ich sofort ein.
Das Keuchen eines Hundes ganz in meiner Nähe weckte mich. Ich hatte beinahe zwei Stunden geschlafen, die Sonne stand über den Hügeln, und die Strandpartien hatten sich längst wieder gefüllt. Ich stand auf und ging den langen Weg zurück, Läufer trabten am Meer entlang, Boccia-, Fußball-und Federballspieler kreuzten den Weg, dazwischen fliegende Händler, mit bunten Tüchern, Uhren und Kokosnüssen. Der gesamte Küstenstreifen war jetzt in Bewegung, wippend und swingend, ein einziges Sport- und Spiele-Terrain, die Windsurfer schössen hinaus aufs Meer, zwischen den Plätzen der Volleyballspieler drehten sich die Trampolinspringer, das Ganze war unterlegt mit Musik, Ansagen und lauter Werbung, wie ein lärmender Schreckensreigen in Filmen von Jacques Tati.
Ich ließ alles hinter mir und erreichte endlich die Mole, der Lärm verebbte, und die Sonne zog ihr Licht langsam ab, so dass die Farben satter hervortraten, orange, grün und gelb, beinahe metallisch. Die schmale Molenzunge bestand zum Meer hin aus schweren Steinquadern, ich stieg hinauf und tänzelte auf ihnen entlang, bis an ihrem Ende, in Nähe der Hafeneinfahrt, eine Sprossenleiter hinauf zu dem Ausguck neben dem blinkenden Laternenlicht führte. Von oben sah ich das Panorama der Küste, es sah aus wie ein schimmernder Halbreif, eingefasst von den Flutlichtzonen der Strandrestaurants. Ich konnte kaum glauben, dass ich in den letzten Stunden diese ganze Strecke zurückgelegt hatte, schon reihten sich die stärksten Bilder zu einer Folge, wie ich sie mir als eine Sequenz in dem späteren Film gut vorstellen konnte. Ein Schwenk vom Balkon meines Hotels, die Küste entlang, ein paar Standbilder am Mittag zwischen den leeren Liegestuhlreihen, eine Totale von hier oben am Abend ..., von einem so sonnigen Tag wie dem heutigen würde das eine gute Vorstellung ergeben.
Wieder hinabgestiegen, sah ich unten, dass jemand auf den schweren, dunkelroten Betonsockel des Ausgucks in blauer Schrift II rumore del märe gesprüht hatte, auch das musste ich filmen, vielleicht eignete sich die naive Buchstabendramatik dieses Blaus sogar als Filmtitel. Während ich auf den Steinquadern der Mole zurücklief, begegnete ich einigen Anglern, die stumm aufs dunkle Meer hinausschauten. Hier draußen, nahe dem Hafen, befand ich mich in einem stillen, geschützten Bereich, es war die Zone der einsamen Radfahrer und Liebespaare, die allein und unbeobachtet sein wollten.
Erst jetzt fiel mir die kleine Trattoria am Anfang der Mole auf, deren gläserner Kubus von allen Seiten einzusehen war, er stand direkt neben einigen aufgebockten Schiffen, die zur Reparatur auf eine weite, öde Strandfläche gebracht worden waren. In der Küche begannen gerade die Kochvorbereitungen, die Tische drinnen waren bereits gedeckt, bei diesem Anblick befiel mich ein jäher Hunger.
Ich ging hinein, die meisten Plätze waren reserviert, aber ich bekam noch einen freien Tisch in einer Ecke. So bestellte ich wenig später als erster, schon den ganzen Nachmittag hatte ich an gegrillten Fisch gedacht, eine gegrillte Brasse wollte ich essen, eine gegrillte Brasse mit viel Zitrone, dazu etwas Salat, das würde reichen.
Ich blätterte noch etwas in dem meeresbiologischen Fachbuch, ich trank leichten Weißwein, doch als sich das Lokal immer mehr füllte, sehnte ich mich plötzlich nach einem Gegenüber. Auf vielen Reisen war ich allein gewesen, meine Arbeit brachte das mit sich, so dass ich mich auskannte mit dem Alleinsein und wusste, wie ich mit seinen überfallartigen Melancholie umgehen musste. Ich durfte nicht allzu viel trinken, auf keinen Fall, und ich musste mich ablenken, durch ein paar Notizen oder einfach dadurch, dass ich meine Umgebung beobachtete.
An diesem Abend aber fühlte ich mich zu schwach für solche Ablenkungsmanöver, ich wollte gerade eine weitere Karaffe Wein bestellen, als der Fisch serviert wurde. Durch die große Hitze war seine silberne Haut an den Rändern transparent geworden und ließ das weiße Fleisch durchscheinen, neben dem Auge trat das Skelett des Kiemendeckels hervor. Als ich ihn zu filetieren begann, legte sich meine Unruhe und wich der Lust auf das Essen. Ich ließ mir den größten verfügbaren Teller geben und drapierte die leicht angebräunten Fischstreifen nebeneinander, dann beträufelte ich alles mit Zitronensaft, nippte noch einmal an meinem Weinglas und begann die Mahlzeit.
Während ich aß, füllte sich das Lokal rasch, und bald tobte in ihm ein beinahe höllischer Lärm. Die großen Gruppen, die die Tische bevölkerten, sprachen ungeniert laut miteinander und riefen den Kellnern immerzu etwas hinterher, während ich mich ganz im Abseits befand, in der einzigen toten Ecke. Ich hörte noch eine Weile zu, aber als ich den Fisch verzehrt hatte, beeilte ich mich mit der Bezahlung. Ich wäre gern noch sitzen geblieben, aber an diesem ersten Abend fühlte ich mich zu mutlos und zu allein, um noch Freude an diesem Spektakel zu haben. Einen Moment dachte ich daran, mit Rudolf zu telefonieren, um wenigstens mit ihm ein wenig zu plaudern, doch als ich mir den Beginn unseres Gespräches vorstellte, ließ ich diesen Gedanken gleich wieder fallen. Rudolf war nicht mein Freund, Rudolf war mein Kameramann, beruflich waren wir oft zusammen unterwegs und verstanden uns gut, aber ich konnte und wollte ihm nichts allzu Privates erzählen. So packte ich meine Sachen zusammen, zahlte vorn an der Kasse und quetschte mich an den überfüllten Stuhlreihen vorbei nach draußen, niemand beachtete mich.
Ich ging zurück ans Meer, ich wollte noch einmal den Strand entlang durch das tiefe Dunkel zu meinem Hotel, als ich eine leichte Windbrise spürte. Ich setzte mich seitlich auf das vordere Teil eines Liegestuhls, eigentlich hatte ich erst am nächsten Tag ins Meer gehen wollen, doch jetzt erschien mir ein nächtliches Bad wie eine große Verlockung, die mir über meine abendliche Ermüdung vielleicht hinweghelfen würde. Ich zog mich aus, verstaute meine Sachen unter dem
Liegestuhl und lief rasch ins Wasser. Als wollte ich ganz verschwinden, tauchte ich sofort ab, ich hörte nichts mehr, keine Geräusche, nicht den geringsten störenden Ton, nach dem Aufenthalt im Lokal war es eine richtige Wohltat. Solange ich konnte, blieb ich unten, für einen Moment glaubte ich die bunten Szenen des meeresbiologischen Buches zu sehen, kurze Blitze, dicht hinter der Netzhaut, angesaugt von der dunklen Flut.
Ich schwamm einige hundert Meter hinaus, sehr rasch, die meiste Zeit unter Wasser, dann drehte ich, warf noch einen kurzen Blick auf die Küste und tauchte langsam zurück. Der leere Strand war in der Dunkelheit von besonderer Schönheit, an einigen Stellen brannten kleine Feuer, ich hörte gedämpfte Stimmen und Gesang, wie stille und trotzige Gegenhymnen zum lauten Tagesprogramm. Ich kleidete mich wieder an und legte mich in den Liegestuhl, ich wollte noch ein paar Minuten hier verbringen, doch dann dachte ich daran, dass es gefährlich sein könnte, an einem solchen Ort einzuschlafen.
Als ich im Hotel ankam, stand Carlo noch an der Rezeption. Ich sehe, Sie kommen ohne attraktive Bekanntschaft, sagte er. Ich hatte geahnt, dass er sich diese Wendung merken würde, es war mir peinlich, sie jetzt aus seinem Mund zu hören. Ich habe eine Brasse verzehrt, antwortete ich, als wäre das eine Antwort auf seine Bemerkung. Er erkundigte sich, wo ich gegessen hatte, und begann, von den Fischrestaurants am Meer zu erzählen, er holte einen kleinen Stadtplan heraus und zeichnete die Lage der besten mit einem Bleistift ein. Bitte verstehen Sie richtig, sagte ich, Ihr Mittagessen war ausgezeichnet, ich bin aber nicht als Tourist hier, sondern muss mich überall umsehen, um die besten Bilder zu finden. Keine Sorge, antwortete er, ich verstehe Sie richtig, Sie brauchen mir das nicht zu erklären, und Eifersucht gehört in meinem Alter nicht mehr zu den ganz großen Themen. Wir redeten noch eine Weile und tranken zum Schluss einen Averna, dann ging ich hinauf auf mein Zimmer.
Oben trat ich noch einmal auf den Balkon, wie ein Mann, der die ganze Umgebung erobert hatte. Da, dort, und dort ..., überall war ich gewesen. Dann ließ ich die Rollos wie ein paar schwere müde Lider herunter und legte mich schlafen.
 

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