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Почитаем?

17.02.16 18:29
Re: Почитаем?
 
regrem патриот
в ответ regrem 17.02.16 17:53, Последний раз изменено 18.02.16 21:29 (regrem)
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IM HOTEL war ich wenig später einer der ersten Gäste, die den Speisesaal betraten. Die biedere Ordnung der Tische mit den kleinen, gefüllten Brotkörben, den gefalteten Servietten und den winzigen Paar-Kännchen mit Essig und Öl tat mir gut, ich genoss diese ganz und gar gewöhnliche Atmosphäre. Selbst das ältere Ehepaar am Nebentisch störte mich diesmal nicht, ja ich suchte sogar das Gespräch mit ihm und plauderte drauflos, als hätte ich wirklich etwas zu erzählen. Natürlich erwähnte ich das morgendliche Erlebnis nicht, ich sprach vom Hafen, von der Fischmarkthalle und davon, dass mir der Anblick der Verkaufsstände Lust gemacht habe, selbst etwas zu kochen. Carlo grüßte von seinem Beobachter-Tisch herüber, und ich hob kurz die Hand, so wie ich sie noch vor kaum einer halben Stunde gehoben hatte.
Nach dem Essen packte ich einige Utensilien zusammen und ging zum ersten Mal zu einem Nachmittagsbad an den Strand. Ich meldete mich an der kleinen Bar, die zum Hotel gehörte, nannte meine Zimmernummer und wurde von einem jungen Burschen zu einem Liegestuhl mit dazugehörigem Sonnenschirm geführt, das war nun mein Strandplatz, dieser Stuhl, dieser Schirm, der Junge sagte es drei-mal, als müsste er es mir einschärfen. Ich fragte ihn, ob ich statt des Liegestuhls auch einen Strandstuhl zum Sitzen bekommen könne, er murmelte etwas vor sich hin, kam wenig später aber mit genau dem richtigen Stuhl wieder, ich bedankte mich und erklärte ihm, dass ich zu arbeiten hätte und daher nicht liegen, sondern sitzen wolle, sitzen, nicht liegen, eine komödiantische Lust an der Wiederholung hatte mich gepackt, ich hätte gern immer so weitergemacht, aber der Bursche wurde missmutig und verschwand zwischen zwei dicken gestutzten Palmstümpfen.
Ich schlug ein Bein übers andere, holte das schwarze Notizbuch wieder hervor und schaute mich um: Jetzt, am Mittag., sind die Strandpartien gähnend leer, viele haben ihre Sporttaschen, Handtücher oder Zeitungen aber liegen gelassen, so erweckt das Terrain den Eindruck eines unvermittelten Aufdrucks, ah wäre die badende Meute nach allen Seiten geflohen ... Die Hitze nistet wie eine dünne, beißende Folie auf dem Sand, die Füße halten die Berührung kaum aus, so geht man schnell und springt beinahe von Reihe zu Reihe, um endlich einen dunklen Schattenflecken zu finden ... Die unglaubliche Lethargie, die sich in alle Bewegungen einschleicht: Das verzögerte Gehen und Schlurfen, das langsame Trinken und Nippen, vorhin sah ich zwei, die beisammenstanden und beide auf den Sandboden schauten, wo ihre mahlenden Zehen winzige Spuren und Zeichen hinterließen ... Wenn man sieb in einen Liegestuhl legt, packt einen die Hitze ein, sie rollt sich von unten her aus und schlägt dann wie eine Decke von beiden Seiten über dem Körper zusammen ...
Auf solche Beobachtungen sollte sich, denke ich jetzt, ein Film konzentrieren. Genauigkeit, die Schönheit des Einfachen, der exakte Blick, keine Bilder, um etwas zu demonstrieren oder sonst wie zu beweisen. Ich bin durch die vielen Auftragsarbeiten verdorben, ich habe mir einen Fernseh-Blick antrainiert, einen Blick, der beherrscht ist vom Schauen für andere und davon, wie ich mir das Schauen der anderen denke ...
Immerhin wehre ich mich gegen die Hitze, ich sitze gerade, aufrecht, auf der Lauer, ich blicke wie ein Vogel nach allen Seiten, ich sitze auf dem Posten, so wie ich in der kleinen Hafenbar auf dem Posten saß ... Sie winkte, ich grüßte zurück, das war alles, und doch hat mir dieser kurze Moment des Austauschs so sehr gefallen. Am liebsten ginge ich jetzt, am Nachmittag, ins Museum zurück, um den morgendlichen Gang noch einmal zu wiederholen und mir ihre Worte in Erinnerung zu rufen. Damit aber könnte ich alles verderben, ich könnte ihr unversehens begegnen, ich könnte mich hinreißen lassen zu einer einfallslosen Bemerkung, ich neige zu solchen unüberlegten Aktionen. So habe ich mich gezwungen, hier am Strand auszuharren, ich will diesen einzigartigen Morgen auskosten, das muss genügen ... Übrigens, ich mag Frauen, die auf eine bestimmte Art Fahrrad fahren, wenn ich eine Frau auf diese Art fahren sehe, fühle ich mich stark zu ihr hingezogen. Die Bewegung darf nicht zu schnell sein, sondern eher kontinuierlich oder, sagen wir, stetig, dazu aber kraftvoll, ich muss erkennen können, dass diese Frau schon immer Fahrrad gefahren ist, das Fahren ist für sie keine Pose, sondern etwas, das vollkommen zu ihr gehört, seit Kindesbeinen, könnte man sagen, ist sie daran gewöhnt... Was schreibe ich da? Worüber denke ich nach? Bin ich verrückt?
Ich versteckte das Notizbuch in meiner Tasche und stand auf, niemand badete jetzt im Meer, es war der ideale Zeitpunkt, es ganz allein zu tun. Die roten Rettungsboote vorn am Strand standen schräg gegen die erste Reihe der Liegestühle, ich sprang auf eines hinauf und wippte kurz auf und ab, als machte ich mich bereit zum Absprung. Eine kaum merkliche Sandwelle, über die unaufhörlich die letzten Wellenausläufer streiften und sich verzettelten, markierte die Grenze, danach ging es sacht hinab, die Füße stemmten sich noch ein wenig gegen den Abwärtsgang, dann kam die schäumende, perlende, kleine Tropfenketten knüpfende Gischt, die Füße sanken allmählich ein, das Wasser stieg an bis zur Brust, ich schwamm los, weit hinaus, mit gleichmäßigen, ruhigen Stößen. Irgendwann wurde es mir zu viel und die Bewegung auch lästig, ich drehte mich auf den Rücken und ließ mich tragen, den Kopf halb unter Wasser, so dass die Landgeräusche verebbten, ich war eingetaucht in das gleichmäßige Summen des Meeres, stilles Summen, dachte ich, Ur-Ton, ich schloss die Augen und spürte die brennende Sonnendichte auf meinem Gesicht.
Als ich hörte, wie hier und da wieder die Musik angeworfen wurde, entschloss ich mich, noch weiter hinauszuschwimmen. Der Küstenlinie war ein schmales Riff vorgelagert, es bestand aus mächtigen Felsbrocken, die starken Wellengang brechen sollten. Ich sah einige Felsspitzen, ockergelb, bleich streckten sie sich in der Sonne, ich schwamm auf sie zu und tauchte dann mit offenen Augen wenige Meter vor ihnen ab.
Unter Wasser waren die Felsen dicht mit Muscheln besetzt, ihre wüstenartige, staubtrockene Dichte machte sie zu einem urzeitlichen versteinerten Wald, Schwärme buntgestreifter Fische kreisten, unaufhörlich die Schwimmrichtung wechselnd, zwischen den im Rhythmus der Wellen hin und her schwankenden Gräsern. In der Tiefe erschien das Grün des Wassers wie aufgeladen, eine gallertartige schlingernde Masse voller Treibstoffe, auf den Sandböden taumelten die flachen Rauten Körper der Rochen über den Kalkzonen geborstener Schalen. Ich griff nach den Muscheln, ich tastete an ihren Körpern entlang, sie fühlten sich pelzig und doch so lebendig an, als pulsierten sie tief in ihrem Innern.
Ich versuchte, immer länger unter Wasser zu bleiben, die Welt dort unten hatte etwas Geheimes, Abgeschlossenes, das sich jedem Zugriff entzog und einem nur noch die Rolle des Beobachters ließ. So war die Wahrnehmung auf das Visuelle beschränkt, schon die Lautlosigkeit sorgte dafür, aber auch die Distanz zur Umgebung, keine Berührung, lediglich ein Schweben, wie eine unendlich angenehme Schwerelosigkeit, ich konnte mir sofort vorstellen, dass man nach diesen Zuständen süchtig werden konnte, der reine Selbstbezug der Wahrnehmung euphorisierte.
Schließlich klammerte ich mich an einer Felsspitze fest, die scharfen Kanten der Muscheln ließen nicht zu, dass ich mich anlehnen oder gar ausruhen konnte, Seeigel pressten sich gegen den Stein, und winzige Krebse versuchten bei jedem Wellenschlag, nicht von ihrem Ruheplatz weggeschwemmt zu werden. Ich tauchte noch mehrmals, ich kam nicht los von dem grünblauen Film mit den hellen, kalkfarbenen Grundierungen, die stillen Bewegungen der Fische erschienen mir wie ein Vorbild, so wollte ich gleiten, traumwandlerisch sicher durch die Tangmatten und Felsspalten, völlig eins mit dem Element.
Als ich viel später wieder den Strand erreichte, waren fast alle Liegestühle besetzt, die Paare lagen meist regungslos mit geschlossenen Augen dicht nebeneinander, nur die älteren Männer blätterten noch in ihren Zeitungen oder starrten auf die Sandburgen der Kinder. Ich war vom weiten Schwimmen ermüdet, doch ich wollte mich nicht in diese Verhältnisse einordnen, deswegen setzte ich mich auf eines der Rettungsboote weit vorn und schaute den Joggern und Strandläufern zu. Der Meeressaum war jetzt die Zone der langen Gespräche, kleine Gruppen von drei, vier Personen standen bis zu den Fußknöcheln im Wasser und unterhielten sich, als warteten sie in einem Vorzimmer auf Einlass, vor hundert Jahren, dachte ich, hatte hier noch kein Mensch gestanden, in noch viel früheren Zeiten war das Meer einmal etwas Furchtbares, Dämonisches gewesen, die Heimat der Seeschlangen und Ungeheuer.
Ich schaute mich um, nein, es war ganz unmöglich, jetzt hier am Strand zu bleiben, laufen wollte ich nicht, liegen kam nicht in Frage, die Musik ließ kein Schreiben zu, am ehesten hätte ich noch mit den Allerältesten Boccia gespielt, denn das passte hierher, das krause Geschwätz über die Plazierung der Kugeln, die wichtigtuerischen Mienen, mit denen man einen Wurf verfolgte, gerade an der Grenze zur sonnenstichigen Blödheit hätte ich so etwas noch ertragen.
Ich wollte mich anziehen, als ich bemerkte, dass ich von allen Seiten angestarrt wurde, niemand zog sich jetzt an, wie sich überhaupt nie jemand aus- oder anzuziehen schien, sie trafen in ihrer Badekleidung hier ein und verließen in ihr wieder den Strand, die meisten gingen mit ihr nicht einmal ins Wasser, es handelte sich um eine Art Sommerunterwäsche, die sie vielleicht noch im Bett anbehielten. So raffte ich meine Kleidung zusammen und ging hinüber zu einer der hölzernen Umkleidekabinen, ich öffnete die Tür und betrat den dunklen Raum, der nur durch ein kleines Guckloch Luft und Licht bekam. Die plötzliche Dunkelheit und der Geruch feuchten Holzes erinnerten mich an früher, vor sehr langer Zeit hatte ich mit den Eltern einmal Ferien am Meer verbracht, ich erkannte den Geruch wieder, genau dieser hier war es gewesen, und dazu die Enge der dunklen Kabine, in der sich zwei Personen zugleich drängten.
Während ich mich anzog, ging ich die möglichen Zeiten für ein Bad durch, morgens in der Frühe, noch vor dem Frühstück, wäre nicht schlecht, mittags, bei allerdings großer Hitze, unter Umständen möglich, das Bad in der Nacht war eine Eskapade und daher von Launen abhängig. Ich nahm mir vor, die Tage gut einzuteilen, ich hatte keine Zeit zu verschenken, aber zumindest ein Bad am Tag musste möglich sein. Jetzt aber wollte ich in die Stadt, ich hatte noch kaum etwas von ihr zu sehen bekommen, bisher hatte ich mich vor allem auf die nächsten Strandgegenden beschränkt. Rudolf hatte mich in München gewarnt, keine Kirchen, keine Paläste, keine Kultur, hatte er mir eingetrichtert, er kannte meine Anfälligkeit für solche Abschweifungen, aber was hatte das schon zu bedeuten, zumindest einige solcher Bilder würden wir in den ersten zwei, drei Minuten brauchen, um die Stadt vorzustellen. Brauchten wir sie? Brauchten wir sie wirklich? Ich erinnerte mich an die guten Vorsätze, die ich noch vor wenigen Stunden in meinem Notizbuch vermerkt hatte, jetzt standen sie bereits auf dem Prüfstand, aber ich verschob die Entscheidung auf später, wenn ich mir die Stadt angeschaut hatte.
Ich zog den kleinen Rucksack über, alles Notwendige hatte ich dabei, dann ging ich den breiten Boulevard hinunter, wo mich ganze Rudel von Radfahrern überholten. Ich nahm mir vor, am nächsten Tag selbst ein Fahrrad zu mieten, ein Fahrrad war hier ideal, mit seiner Hilfe konnte ich leicht bis in die letzten Winkel der Stadt vordringen. Als ich daran dachte, überfiel mich eine seltsame Euphorie, ich begriff nicht genau, wodurch sie entstand, vielleicht hatte sie mit den Bildern unter Wasser zu tun, die mir nicht aus dem Kopf gingen, vielleicht entstand sie aber auch durch die Erinnerung an die kurze Szene gegen Mittag, als eine mir beinahe unbekannte Frau mir von einem Fahrrad aus zugewinkt hatte.
 

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