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в ответ regrem 17.02.16 17:53, Последний раз изменено 18.02.16 21:30 (regrem)
DER BOULEVARD stieß an seinem Ende auf das Hafengebiet, dazwischen befand sich wie ein grüner Puffer ein Gelände aus kleinen Pinienwäldchen, es war eine geschlossene, bunte Zone mit Tennis-, Boccia- und großen Kinderspielplätzen, die Kindermädchen saßen zu zweit oder zu dritt auf grünen Parkbänken und sprangen den spielenden Kindern manchmal zu Hilfe, eine Kutsche zog ihre Bahn auf den Kieswegen, Rollschuhläufer kreisten zu einer aufheizend rasanten Musik auf einer Betonbahn, alles war in Bewegung, selbst die Alten hatten zu tun, schoben Kinderwagen und scharten sich um die sich alle Minuten wieder von neuem drehenden Karussells. Ich bog in die breite Hauptstraße ein, die direkt in die Stadt führte, ich passierte die ersten Cafés und ein Kaufhaus, die kleinen Läden reihten sich dicht aneinander, zona pedonale war an jeder zweiten Ecke zu lesen. Auch die schmaleren Seitenstraßen liefen im rechten Winkel auf die zentrale Achse der Hauptstraße zu, der Eindruck, den ich vom Hotelbalkon aus erhalten hatte, hatte nicht getäuscht, es handelte sich um ein einfaches Muster neuer Straßen mit Häusern aus den letzten Jahrzehnten, nicht einmal ein Zentrum schien es zu geben, keinen Marktplatz, keine herausragende Kirche, die üblichen Vorstellungen von italienischen Städten versagten hier, nichts erinnerte an alte Geschichten oder langes Wachstum, anscheinend hatte man die Stadt in sehr kurzer Zeit der dominierenden Küste angepasst, parallel oder eben im rechten Winkel zu ihr. Das Ergebnis war eine Art »trockener Leere« in ihren Straßen, kaum Schmuck, sondern reine Funktion, auch die Geschäfte hielten die Verbindung zum Meer, die meisten waren Fachgeschäfte für Angler, Taucher und Bootsbesitzer, daneben immer wieder Läden für Strandbekleidung, es war leicht zu erkennen, dass das Meer hier alles, jede Regung, bestimmte. Ich dachte daran, dass es mir leichtfallen würde, Rudolf zu beruhigen, kein Mensch konnte auf die Idee kommen, diese Stadt wie eine italienische Traumkulisse aus lauter Sehenswürdigkeiten zu inszenieren, Sehenswürdigkeiten gab es hier keine, die Stadt hatte andere Reize, moderne, abstrakte, sie schien vernarrt in Geometrie, klare Verhältnisse, klare Linien, die sich von den Liegestuhlreihen bis zu den Straßenzügen erstreckten und so eine spröde Kühle vermittelten, Kühle, nicht Kälte, präzisierte ich gleich, auch so etwas ließ sich inszenieren, kurze Momentaufnahmen ließen sich inszenieren, kurze Momentaufnahmen, rasche Schnitte, das bedeutete Arbeit, viel Arbeit. Ziellos, aber beruhigt lief ich weiter, immerhin hatte ich bereits einige Ideen für ein Konzept, nun kam es darauf an, die richtigen Bilder zu finden, ein minuziöses Suchen war dafür nötig, ich musste das Innenstadt-Karree bis in die hintersten Winkel kennenlernen. Sehr langsam, kaum merklich wurden die Farben dichter und kräftiger, lange stand ich vor einem Fotogeschäft, in dessen Fenster sich Abzüge von Schwarz-Weiß-Fotografien befanden, die man vor vielleicht hundert Jahren gemacht hatte, die unmittelbare Küstenregion hatte damals noch eine jetzt nicht mehr wiederzuerkennende Schönheit, breite, lange Straßenzüge, die Palmen auf Brusthöhe, geduckt, kein Verkehr, nur einige verstreut herumlaufende Spaziergänger. Auf einem anderen Bild stand ein Kreis von Männern, alle mit Kappen und Hüten, bis zu den Knien im Wasser und versuchte, mit einem Schleppnetz auf Fischfang zu gehen, während die Frauen sich auf einem dritten Bild in langen, schweren Kleidern mit ihren Wäschekörben um den einzigen noch erhaltenen älteren Brunnen des Ortes gruppierten, wie auf einem nostalgischen Film Bild von Bertolucci. So ließ ich mich treiben, die allmähliche Dunkelheit kam mir vor wie eine passende Überblendung zu den alten Fotografien, einige von ihnen gehörten unbedingt in den Film, denn sie zeigten den Ur-Zustand der Stadt, das kleine, noch unbedeutende Fischerdorf, das von Jahrzehnt zu Jahrzehnt in großem Tempo gewachsen und mit all den hinzukommenden touristischen Attraktionen zu einer kaum noch zu überschauenden Stadt mit dem größten Fischereihafen des ganzen Landes geworden war. Als ich die Hauptstraße wieder erreichte, hatte sie sich vollständig verwandelt, sie war jetzt mit Hunderten von Menschen besetzt, die frühabendliche passeggiata hatte begonnen, ein Kreisen und Flanieren von kleinen, sich unentwegt unterhaltenden Gruppen, die alle paar Meter haltmachten. Aus allen Seitenstraßen strömten sie wie dichte, kreischende Vogelschwärme herbei, es war wie eine plötzliche Überschwemmung, die breite Hauptstraße reichte längst nicht mehr aus, die Scharen drängten in die erleuchteten Cafés, um sich Getränke und Nahrung zu verschaffen, etwas zum Picken oder zum Kosten, eine kleine und nur vorläufige Brücke bis zur abendlichen cena. Ich war froh, jetzt diese lebendigen Bilder zu sehen, sie eigneten sich gut für den Film, endlich hatte ich einen Kontrast zu den wohl eher stillebenähnlichen Momentaufnahmen gefunden, ich konnte es mir genau vorstellen, die Stille, den langsamen Übergang in die Dämmerung und dazu diese musikalische Melange von allen Seiten, auch die passte genau. Im Gedränge der Scharen kam ich mir etwas verloren vor, nichts empfand ich jetzt unpassender als dieses einsame Gehen, daher ging ich in eines der überfüllten Cafés, bestellte ein kühles Glas Bier und suchte mir einen Platz an der Theke, nur in der Nähe des Eingangs, im Kassenbereich, war das noch möglich. Ein Kellner drückte mir das Glas direkt in die Hand, ich nahm einen Schluck und spürte einen feinkörnigen, kristallinen Salz film auf beiden Lippen, ich tastete kurz mit der Zunge danach und nahm einen zweiten Schluck, die Kälte des Getränks kontrastierte seltsam mit meinem vom mittäglichen Bad erhitzten Gesicht. Ich konnte das Glas nicht abstellen, ich musste es wie auf einem Empfang in der Hand halten, ich stand nahe der Tür und spürte plötzlich, dass ich beobachtet wurde, jemand musterte mich und blickte mich sehr intensiv an, von irgendwoher in diesem vollen Raum erfasste mich eine regelrechte Blicksonde, ich wusste nur nicht von wo. Mein Blick hastete durch den Raum, oberflächlich und gierig, es dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde, bis ich sie erkannte, sie stand inmitten einer Gruppe, weit von mir entfernt in der anderen Ecke des Raums und hatte sich aus der Unterhaltung anscheinend ausgeklinkt, sie schaute mich ganz direkt an, sie studierte mich. Als ich sie bemerkte, lächelte sie, ohne dass es ihr etwas ausmachte, es war ein Lächeln des Wiedererkennens, kein Gruß, nichts Konventionelles, wir schauten uns an, als hätten wir uns nach einem Umweg gefunden, auch ich musste lächeln. Ich fühlte, wie der Raum sich durch unser Schauen verengte, die Umgebung schien zu verschwimmen, auch die Geräusche waren plötzlich seltsam gedämpft, am liebsten wäre ich jetzt zu ihr gegangen, aber ich blieb auf meinem Platz stehen, als hielte ich mich an geheime Regeln. Ich war auch der erste, der den Blickkontakt unterbrach, ich drehte mich etwas seitwärts und nahm erneut einen Schluck, ich schaute zur Tür hinaus, wie schön war dieser Abend mit seinen ziehenden Scharen und seiner weichen, mildwarmen Luft. Während ich hinausstarrte, hatte ich aber ihr Bild weiter vor Augen, jetzt am frühen Abend sah sie viel jünger aus als am Morgen, ich schätzte sie auf knapp über Dreißig, höchstens, sie war also vielleicht sechs oder sieben Jahre jünger als ich, wie hatte sie es dann aber geschafft, so schnell Karriere zu machen und aufzusteigen bis zur Direktorin? Langsam drehte ich mich wieder um, sie hatte sich natürlich längst abgewendet, sie unterhielt sich mit zwei, nein, drei Freundinnen, sie wirkte wie eine Studentin kurz vor der großen Prüfung, passioniert, aber noch ohne den Lebensernst, den ein Beruf einem dann oft verpasste. Lebte sie allein?, ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie gebunden war, wie ich sie mir überhaupt in manchen Situationen nicht vorstellen konnte, zum Beispiel nicht am Strand, als Badende, schon eher als Strandläuferin, früh am Morgen, vielleicht lebte sie allein in einem kleinen appartamento, zwei, drei Zimmer ganz in der Nähe, klar und puristisch eingerichtet, genau eine solche Ästhetik würde es sein. Brüder?, ja vielleicht, aber höchstens zwei, eher einen, einen jüngeren, mit dem sie gut auskam, keine Schwestern, der Vater Arzt oder Jurist, ein bereits älterer Mann, den die Schönheit seiner Tochter noch immer oft sprachlos machte, die Mutter in diversen Komitees, eine etwas anstrengende, lebhafte Frau mit einem unübersehbaren Freundeskreis. Freunde?, aber ja, viele Freunde, doch den richtigen hatte sie noch nicht gefunden, die meisten waren ihr zu verspielt oder vielleicht auch zu verträumt, eine wie sie hatte es schwerer als andere, an den Richtigen zu geraten, ich konnte mir ihr Zögern gut vorstellen, sicher war sie durch ihr Studium und einen anstrengenden Beruf auch abgelenkt worden, nur musste sie sich hüten, den Absprang in die Ehe am Ende nicht ganz zu verpassen. Lange Mahlzeiten waren bestimmt etwas für sie, sie aß und trank sicher gern und mit großem Genuss, sie hatte einige Zeit in Frankreich verbracht und beinahe alle Regionen Italiens besucht, auch die gebirgigen liebte sie sehr. Kunst?, Musik?, unbedingt, sie war die ideale Museumsbesucherin, eine Bild-Süchtige, die aber nur schaute und wenig über das Gesehene las, lange Lektüren waren gewiss nicht ihr Fall, höchstens das meeresbiologische Fachwissen, Musik hörte sie instinktiv, sie schnappte hier und da etwas auf, länger damit beschäftigt hatte sie sich wohl nicht. Ich leerte mein Glas, am liebsten hätte ich über all das mit ihr gesprochen, sie hätte es nicht als ungebührliche Einmischung in ihr Leben verstanden, es hätte ihr vielmehr, auch da war ich mir vollkommen sicher, großes Vergnügen gemacht. Die Freundinnen, mit denen sie sich unterhielt, waren bestimmt keine Kolleginnen, ihr Umgang mit ihnen war derart privat und intim, wie es unter Kolleginnen nicht möglich gewesen wäre. Ich bestellte noch ein Glas, die Biergläser waren für deutsche Verhältnisse ungewöhnlich klein, wie Zwerge verschwanden sie in der geschlossenen Hand, man musste aufpassen, sie nicht zu zerdrücken. Als ich mich noch einmal nach ihr umschaute, blickte auch sie wieder zurück, sie lächelte nicht mehr, ihr Blick hatte jetzt etwas Ernstes, als denke sie über mich nach. Dann aber gab sie den Freundinnen ein Zeichen, sie gingen voraus, ich sah die Gruppe auf mich zukommen, ich wäre gern nach draußen geflohen und hätte mich unter die ziehenden Scharen gemischt. Die Freundinnen mussten sich einen Weg bahnen, die Gruppe kam nur langsam voran, ich hatte das Gefühl, mit dem Rücken gegen die Theke gedrängt zu werden, vielleicht kam mir das aber auch nur so vor, vielleicht war diese Empfindung eine Folge des immer heftiger werdenden Fluchtinstinkts. Die Gruppe der Freundinnen passierte mich, keine nahm von mir irgend Notiz, sie hatten mich bestimmt nicht erwähnt oder gar länger von mir gesprochen. Als sie mich erreichte, blieb sie stehen, guten Abend, Herr Regisseur, sagte sie, Regisseur, tatsächlich Regisseur, das Wort verwirrte mich, nichts fiel mir dazu ein, und so sagte ich lediglich guten Abend, mehr nicht, obwohl ich spürte, dass noch ein Zusatz nötig oder hilfreich gewesen wäre. Selbst die beiden armseligen Worte gelangen mir aber nur mit äußerstem Kraftaufwand, ich konnte meine Aufregung kaum unterdrücken, einen Moment glaubte ich sogar, meine Stimme könne versagen. Von hinten drängten weitere Gäste hinaus, sie stand im Weg und wurde in meine Richtung geschoben, ganz kurz stützte sie sich gegen meinen Arm und entschuldigte sich. Ich überlegte, ob ich sie zu einem Glas einladen sollte, aber sie sprach schon vom kommenden Morgen, sie sagte, Dottore Alberti sei informiert, der Dottore werde sich um mich kümmern und mir einige Filmens werte Experimente vorschlagen, sie habe mit ihm ausführlich darüber gesprochen. Sie sprach schnell und sicher, als erledigte sie nur etwas Dringendes, ich konnte ihren jetzt ganz sachlichen Blick nicht erwidern, ihre Freundinnen warteten draußen auf sie und riefen ihr etwas zu, sie entschuldigte sich, sie müsse jetzt weiter, der Abend sei wahrhaftig schön, nicht wahr, sie sagte es sehr schnell und schon halb auf dem Sprung. Ich fand das alles unpassend, ich stand ihr hilflos und beinahe mundtot gegenüber, ich kam nicht voran, mir stockte die Sprache, eine schlimme Einfallslosigkeit, die ich sonst nicht an mir kannte, lahmte mich. Bevor sie ganz hinaus war, drehte sie sich noch ein letztes Mal um, sind Sie allein hier, fragte sie und setzte noch einmal an, als wollte sie es genau wissen, Sie sind für die Zeit Ihrer Recherchen hier ganz allein? Ich fahre in solchen Fällen immer allein, antwortete ich, sie lächelte wieder und verabschiedete sich, sie schloss zu ihren Freundinnen auf, ich begriff nicht, warum sie mir noch diese letzte Frage gestellt hatte, wollte sie das wirklich wissen oder hatte sie vielleicht das Unpassende ihrer übertriebenen Eile gespürt? Ich trank mein Glas aus, ich warf mir vor, sie nicht auf ein Glas eingeladen zu haben, warum bloß hatte ich es erneut nicht geschafft, warum war ich so zurückhaltend gewesen? Ich zahlte eilig und lief nach draußen, ihre Gruppe schlenderte auf der gegenüberliegenden Straßenseite davon, blieb dann aber unerwartet bei einer anderen Gruppe stehen, ich wusste nicht, wohin ich gehen sollte, es war ausgeschlossen, dass ich mich jetzt auf und davon machte, gerade jetzt, wo wir uns so nahe gekommen waren. Ich zog mich unter die Arkaden eines Geschäftes zurück, hinter einem der Pfeiler wartete ich, als müsste ich mich verstecken, dann holte ich die kleine Kamera hervor und startete die Aufnahme. Ich zoomte sofort auf ihr Gesicht, aus der Dunkelheit schoss es auf mich zu, ich versuchte, ihrem Mienenspiel so nahe wie möglich zu kommen, und zeichnete es bis in die Details nach, die Schläfen und die stark hervortretenden Backenknochen entlang über die Lippenfurche bis zu den Lippen, es war beinahe, als nähme ich ihr Gesicht in beide Hände und als touchierten meine Finger die Haut. Zwei, drei Minuten filmte ich so, ohne die Einstellung zu verändern, ich bewegte mich nicht von der Stelle, dann gab ich auf. Sie stand jetzt inmitten sehr vieler Menschen, ich konnte sie kaum noch erkennen, immer wieder verschwand ihr Kopf in der dunklen, hin und her wogenden Traube, ich wusste, für diesen Abend war sie für mich verloren. Ich fühlte mich noch erhitzter als zuvor, ich hatte keine Lust mehr auf ein Abendessen oder sonst eine Unternehmung, ich wollte mich nur noch von ihr trennen, möglichst rasch und ohne weitere Umwege. Mein Herz klopfte stark, ich packte die Kamera wieder ein, dann machte ich mich auf den Weg zum Hotel. |