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Почитаем?

17.02.16 18:30
Re: Почитаем?
 
regrem патриот
in Antwort regrem 17.02.16 17:53, Zuletzt geändert 18.02.16 21:31 (regrem)
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ALS ICH IM Foyer eintraf, begegnete mir Carlo, ich kam nicht an ihm vorbei, er hielt mich fest und fragte mich, wie es mir gehe, warum ich so früh komme, wo ich zu Abend gegessen habe, er stellte diese Fragen rasch hintereinander, als wäre er über meinen Anblick erschrocken. Ich sagte, dass ich nicht zu Abend gegessen hätte, ich versuchte abzuwiegeln und erklärte, ich hätte keinen Hunger, er schaute mich etwas lauernd an, als müsste er einer Krankheit auf die Spur kommen. Wollen Sie wirklich schon auf Ihr Zimmer? fragte er schließlich, ich sagte ja, die klare Antwort befriedigte mich nach den vielen Unklarheiten zuvor, ich sagte, ich habe zu arbeiten, ach was, entgegnete Carlo, arbeiten Sie morgen, ein anderes Mal, gehen Sie hinauf auf Ihr Zimmer und kommen Sie in einer
Viertelstunde wieder herunter, ich lade Sie zu einem guten Glas ein.
Ich überlegte keinen Moment, ich bedankte mich für die Einladung, dann ging ich wirklich hinauf, duschte, zog mich um und trat hinaus auf den Balkon. Ich erkannte den Küstenstreifen der hell erleuchteten Restaurants direkt am Strand, es musste schön sein, jetzt in einem der zum Meer hin offenen Speisesäle zu sitzen, für einen Moment dachte ich an mich selbst und eine bestimmte andere Person, dann trennte ich mich aber abrupt von dieser Vorstellung und ging wieder zu Carlo hinunter.
Er ließ mich kurz an der Rezeption warten, er schloss ein paar Schränke und Schubladen ab, dann öffnete er die Tür des Speisesaals und ging vor mir hinein. Ich sah, dass in der Mitte ein Tisch gedeckt war, es war ein kleiner, viereckiger Tisch, anscheinend war es genau der Tisch, an dem er selbst am Mittag speiste. Eine Kerze brannte, auf einer silbernen, von Eis überquellenden Platte erkannte ich eine Lage von Austern. Essen Sie, sagte Carlo, ich freue mich, wenn es Ihnen schmeckt, den Gästen kann man so etwas ohnehin nicht servieren, die verstehen von so etwas nichts.
Ich blieb stehen, der in der Dunkelheit durch das minimale Licht angestrahlte Tisch wirkte wie ein Stillleben, ich wagte nicht, in dieses Bild zu treten, bis Carlo mich voranschob, überlegen Sie nicht lange, wir bekommen alle paar Tage etwas davon, umsonst, es handelt sich um die Gefälligkeit eines Freundes, der mich täglich mit Fisch beliefert. Warum lassen Sie sie nicht zurückgehen, fragte ich, und er
antwortete, Austern lasse man nicht zurückgehen, man esse sie. Wer isst sie denn, fragte ich nach. Ich, erwiderte Carlo, ich und das Personal essen sie, wenn unsere Gäste es nicht bemerken, heute haben wir eine besonders große Ladung bekommen.
Er lachte in sich hinein, auch ich musste lachen, ich nahm endlich Platz, er schenkte mir etwas Weißwein ein, dann griff ich nach der ersten Auster und schlürfte sie aus. Als ich den intensiven Geschmack auf der Zunge spürte, schloss ich kurz die Augen, ich glaubte, den Tang und die Algen zu kosten, die ich am Mittag unter Wasser gesehen hatte, die Muscheln öffneten sich, ich spürte mit der Zunge den Kalk-schründen nach, ich trank. Carlo setzte sich mir gegenüber und schaute mir zu, ich berichtete ihm von den Fotografien, die ich am Abend gesehen hatte und fragte ihn, ob er mir nicht von vor dreißig oder vierzig Jahren erzählen wolle, davon also, wie es hier früher ausgesehen und wie die Stadt sich seitdem verändert habe.
Ich schlürfte weiter die Austern, langsam, ohne Unterbrechung, ich schlürfte und trank jetzt das Meer, pur, ohne Zutaten und Dekoration, und ich hörte Carlo zu, der erzählte und Weißwein nachschenkte. So saßen wir zu zweit in dem großen und leeren Saal, nur das Flackern der Kerze verriet uns, während draußen, vor der weiten Fensterfront, der dichte nächtliche Verkehr rauschte. Einmal erkannte ich unser Spiegelbild vor dem angestrahlten Grün der Palmen, es erschien mir wie die Anfangs- oder Schluss-Sequenz eines großen Film-Epos, ich musste immer wieder darauf starren, so stark war seine Wirkung, während Carlo von einem abgelegenen Fischerdorf und seiner allmählichen Verwandlung in einen überfüllten Ferienort erzählte.
Erst tief in der Nacht trennten wir uns, ich dankte Carlo, diese nächtlichen Stunden hatten den zerrissenen Anfang des Abends blasser werden lassen, ich fühlte mich wieder besser, ich wusste nicht, wieviel Austern ich gegessen hatte, es war ein großer Genuss gewesen.

Ich ging wieder hinauf auf mein Zimmer, ich wollte etwas notieren und setzte mich noch einmal auf den bereits dunklen Balkon. Ich schaute auf das schwarze Meer, dann begann ich zu schreiben: Ich habe mich heute so seltsam verhalten wie lange nicht mehr, es ist beinahe wie in pubertären Tagen, ganz grausam. Ich habe Angst, etwas falsch zu machen, ich versuche, in ihren Blicken zu lesen und genau das Richtige, den richtigen Zugang zu finden, doch so geht es nicht. Ich bin in meinem Leben mit vielen Frauen zusammen gewesen, ich sollte wissen, wie man sich in solchen Momenten verhält, seit zwei Jahrzehnten bin ich vor einer Frau nicht mehr so zurückgeschreckt, zum letzten Mal war es in einem Moment, da eine Frau mir sagte, dass sie mich liebe ...
Ich überlegte kurz, ob ich noch weiter ausholen sollte, doch ich brach das Notieren ab, ich ging wieder ins Zimmer, ließ die Rollos herunter und legte mich ins Bett, ich wusste, dass ich nicht einschlafen würde.
 

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