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in Antwort regrem 17.02.16 17:53, Zuletzt geändert 18.02.16 21:33 (regrem)
AM NÄCHSTEN Morgen war die Tür des Museums geöffnet, als ich erschien, ich hatte erwartet, Antonio und der Direktorin zu begegnen, doch ich traf im Büro gleich auf Dottore Alberti. Er war mehr als einen Kopf kleiner als ich, hatte dichte, schwarze Haare, bewegte sich flink und gab sich freundlich, ich schätzte, dass er ungefähr so alt war wie ich. Wir wechselten einige höfliche Worte, er sprach etwas rasch, ich entschuldigte mich für mein unvollkommenes Italienisch und bat ihn, ein wenig langsamer zu sprechen. Er lächelte knapp und sprach kaum eine Minute in einem verzögerten, beinahe kindlichen Ton, dann legte er wieder los und hatte bald das alte Tempo erreicht. Er war gut informiert, mit mir zu sprechen, schien ihm sogar Spaß zu machen, jedenfalls redete er von seiner Liebe zum Film und davon, dass man ihn mindestens einmal in der Woche im Kino antreffe. Allom, sagte er nach beinahe jedem zweiten Satz, allora, widmen wir uns jetzt den Details, gehen wir einen Stock tiefer, ich werde Ihnen einige Arbeitsmethoden vorstellen, allora. Sein rasches Reden machte mich etwas unruhig, es wirkte übertrieben ausführlich und dadurch komisch, er ließ mir kaum eine Chance, etwas zu erwidern, so dass ich ihm stumm folgte. Der Raum, in den er mich führte, war möbliert wie ein Vortragssaal, mehrere Stuhlreihen hintereinander, an den Wänden die unvermeidlichen Tabellen und Tafeln, ich musste in der ersten Reihe Platz nehmen und ahnte nichts Gutes. Der Raum wurde verdunkelt, dann begann Dottore Alberti mit seinem Vortrag, er projizierte Dia-Bilder auf eine winzige Leinwand, seit Jahrzehnten hatte ich keinen Dia-Vortrag mehr gesehen. In den ersten Minuten schweiften meine Gedanken ab, ich war auf längere Ausführungen nicht vorbereitet, ich hatte mir etwas Sinnlicheres vorgestellt, schließlich hatte die Direktorin von einer Außenvisite gesprochen. So hatte ich Mühe, meine Enttäuschung zu unterdrücken, außerdem hatte ich in der Nacht nur sehr wenig geschlafen, ich war mehrmals auf den Balkon gegangen und hatte wegen meines großen Durstes immer wieder Wasser getrunken, sehr früh am Morgen hatte ich im Meer gebadet, wiederum war ich allein im Wasser gewesen und hatte die Sonne am Horizont aufsteigen gesehen. Dottore Alberti aber hatte jede Verbindung zu mir abgebrochen, er sprach von seinem Projektor aus unentwegt und mit deklamatorischem Unterton ins Dunkel, es handelte sich dennoch um nichts anderes als um einen trockenen Schul-vortrag, pedantisch, penibel und naseweis, ohne jede Spur von Humor. Ich wehrte mich eine Weile gegen den Überrumpelungston, schon die Faktenfülle widerte mich geradezu an, dann aber zwang ich mich, zumindest ein paar Brocken aufzuschnappen, warum saß ich sonst hier. An-scheinend ging es vor allem darum, mir Messtechniken begreiflich zu machen, von einer Messstation war jedenfalls dauernd die Rede und noch ausführlicher davon, welche Mühen es bereitete, sie adäquat in der Tiefe zu installieren, die anscheinend immens schweren Geräte wurden mit Hilfe von Leinen ins Wasser gelassen, ein Zeitraffer wurde eingesetzt, dann schien es auf Strömungsfähnchen, Luftblasen und die Sauerstoffspannung anzukommen, auch wurde ein Schlitten, in dem wohl ein Gehäuse für eine Kamera untergebracht war, gezeigt und mehrfach erwähnt, ich tat, als notierte ich das, und Dottore Alberti konzentrierte sich ganz auf die Frage, wie und wo der Schlitten über Bord zu lassen sei und worauf zu achten sei, damit ein gewisses Kabel sich nicht verspannte. Auf den Dia-Bildern waren all die erwähnten Geräte in Großaufnahmen zu sehen, ansatzweise erkannte man auch die Forscher, keiner schien ohne ein imposantes T-Shirt auszukommen, das mit dem Namen seiner Forschungsstation bedruckt war. Dottore Alberti vergaß denn auch nicht, diese Aufdrucke zu erwähnen, er las sie sogar langsam und überdeutlich vor, als entziffere er sie gerade, er sprach von Forschern aus aller Welt, von der weltweiten Familie der Meeresbiologen und der friedlichen Nutzung des Meeres, ich war nahe dran, ihm den Hals umzudrehen. Ich überlegte, wie ich ihn wirksam bremsen konnte, als sich die Tür öffnete und die Direktorin hereinkam. Sie grüßte stumm, setzte sich aber sofort neben mich und hörte mit zu, Alberti unterbrach sich nicht einmal für den kürzesten Moment, er sprach einfach weiter. Ich tat interessiert und starrte auf die in rascher Folge gezeigten Bilder, dabei fühlte ich mich jetzt noch mehr wie ein Schüler, ein Schüler mit Klassenkameradin, so saßen wir andächtig und regungslos nebeneinander, und Alberti drehte immer mehr auf, lauter noch als zuvor. Ich fragte mich, wie es einer wie er ertrug, eine jüngere Vorgesetzte zu haben, wie kam so einer wohl damit zurecht? Sicher kannten sie sich seit langer Zeit, ich hätte schwören können, dass Alberti aus San Benedetto stammte, mit seiner flinken und staubtrockenen Art passte er genau in diese Stadt. Seit die Direktorin im Raum war, gestikulierte er mit beiden Händen, er war vernarrt in alles Technische, die präzisen Abläufe der Experimente schienen ihm alles zu bedeuten. Ich dachte daran, was für einen Vortrag ich gestern Morgen gehört hatte, die beiden Auftritte waren nicht miteinander zu vergleichen, wie hielt es eine Frau wie die Dottoressa nur mit einem Ingenieurswesen wie diesem Alberti aus? Ich räusperte mich, da beugte sie sich zu mir herüber, sie sprach Deutsch, sie flüsterte mir etwas zu, er macht das gut, flüsterte sie, er macht das doch wirklich gut, finden Sie nicht? Ich nickte und schaute sie an, wir mussten in ein und demselben Moment grinsen, sie schien zu fürchten, dass der Dottore etwas bemerkte und berührte meinen rechten Arm vorsichtig mit der Hand, ich komme später noch einmal vorbei, bitte behalten Sie so lange jedwede Geduld, das müssen Sie mir versprechen. Sie stand auf und verließ den Raum, ich hätte ihr alles versprochen, so dankbar war ich ihr für die wenigen Worte, die Dottore Alberti auf Distanz zu ihr und mir rückten. Ich überlegte, ob für den Film überhaupt irgendeines der geschilderten Experimente in Frage kam, vielleicht wäre eine Fahrt mit dem Forschungsschiff hinaus auf die offene See nicht schlecht, obwohl ich dann mit den ganzen Versessenheiten der Techniker und Forscher zu tun bekommen würde, ich konnte mir dieses Getüftel schon genau vorstellen, sicher war es sehr umständlich und extrem männlich. Viel lieber wären mir Untersuchungen an den Sandstränden gewesen, kleine Sandproben bei Niedrigwasser, die man, wie ich gelesen hatte, hätte färben und wieder einsetzen können, um so zu zeigen, wie das Meer sie bewegte. Das aber war gewiss nichts für Dottore Alberti, schlank und gebräunt sah ich ihn schon an Deck des Forschungsschiffs stehen, lüstern darauf, in einem Taucheranzug über Bord zu gehen, noch in den größten Tiefen wären die Fische nicht vor seinem Vortragszwang sicher, wahrscheinlich gestikulierte er dort nur noch wirkungsvoller mit Messer und gleißendem Licht. Ich lehnte mich zurück und ließ ihn reden, er war bei Echoloten und Echoflihlern angekommen und sprach von vertikalen, aber nach den Seiten hin pendelnden Schallwellen, die angeblich durch alle Sedimente drangen und die ältesten Felsböden abtasteten, in Wahrheit interessierte mich nur noch, was geschehen würde, wenn die Dottoressa wieder erschien. Ich blickte heimlich auf die Uhr, es war bald Mittag, diesmal würde ich einen Vorstoß wagen, ich musste meine Zurückhaltung endlich aufgeben und ein gemeinsames Essen herbeiführen, natürlich musste ich auch ihn dazu einladen, wenn ich großes Pech hatte, würde er mit mir allein essen gehen. Ich dachte darüber nach, wie ich mich in diesem Fall aus der selbstgelegten Schlinge befreien konnte, einen zweiten Alberti-Vortrag, vielleicht sogar noch während einer guten Mahlzeit, würde ich nicht mehr ertragen. Die Direktorin kam wieder herein, allora, rief Alberti, und es hörte sich wahrhaftig so an, als wollte er allmählich zum Ende kommen. Sie ließ ihm aber gar keine Zeit mehr, den Vortrag abzuschließen, wie weit seid Ihr, fragte sie, Ihr seid doch jetzt sicherlich fertig, Gianni, wie weit bist Du, sie nannte Dottore Alberti wahrhaftig Gianni. Gianni schwieg einen Moment, er kam mit der Unterbrechung zunächst nicht zurecht, er ging zu den Fenstern, befreite uns von der Verdunklung, es arbeitete in ihm, ich sah es genau. Gianni, was ist, fragte sie, und ich spürte, dass es ihr eine kindische Freude bereitete, ihn so anzureden, bis er die Sprache wiederfand, allora, sagte er, wir haben die Kostenfrage noch nicht geklärt, wir werden uns darüber unterhalten müssen, wir sollten eine Aufstellung der verschiedenen Posten machen und ein festes Paket anbieten, welches Paket, fragte ich, wovon sprechen Sie jetzt, von den diversen technischen Angeboten, die wir Ihnen unterbreiten werden, antwortete Gianni. Er begann aufzuräumen, er ordnete die Dias in einen Holzkasten, es würde, so wie er vorging, eine Weile dauern, da ergriff ich die Initiative und schlug vor, gemeinsam essen zu gehen, ich lade Sie ein, sagte ich, klären wir doch alle Fragen lieber beim Essen. Sie schaute kurz auf die Uhr, das ist ein guter Gedanke, sagte sie, was meinst Du, Gianni, lässt sich das einrichten? Gianni nickte, plötzlich war er wieder der freundliche, junge, harmlose Bursche vom Morgen, ich werde zu Hause anrufen, sagte er, und ich stellte mir seine Frau vor, eine Krankenschwester, nein, eine Kindergärtnerin, etwa in seiner Größe, nein, etwas kleiner, sechs Zentimeter. Sie hatten zwei Kinder, natürlich zwei Mädchen, beide trugen Zahnspangen, er brachte sie jeden Morgen zur Schule und lief dann unverzüglich ins Institut, ich konnte ihn mir nicht einmal in einer Bar bei einem Kaffee vorstellen, eher schon als Zuschauer eines Windhund Rennens, mit Sonnenbrille auf der Gegentribüne. Dann gehen wir schon voran, sagte die Direktorin und schaute mich an, wohin gehen wir denn? Sie werden ein gutes Restaurant kennen, antwortete ich, gibt es nicht eins hier im Hafen? Es gibt das kleine, die schwimmende Insel, die ich Ihnen gestern schon zeigte, sagte sie, und es gibt ein sehr gutes, einen Traum, aber für diesen Traum brauchen wir etwas Zeit. Dann nehmen wir uns die, sagte ich, zum ersten Mal kam ich mir kompetent vor, ich hätte vor Vergnügen beinahe vor mich hin gepfiffen, so freute ich mich. Sie ging mit mir noch einmal hinauf ins Büro, sie holte ihre Tasche, dann gingen wir zu zweit nach draußen. Ich ließ sie rechts gehen, ich schlenderte neben ihr her, es sind nur wenige hundert Meter, sagte sie, und als ich sie von der Seite anschaute, schaute sie zurück, und wir grinsten beide. |