русский
Germany.ruGroups → Архив Досок→ Deutsch lernt man in ... Jahren nicht.

Почитаем?

17.02.16 18:32
Re: Почитаем?
 
regrem патриот
in Antwort regrem 17.02.16 17:53, Zuletzt geändert 22.02.16 13:15 (regrem)
- 14 -

14.1
PLÖTZLICH setzte aber der Wind ein, er begann völlig unerwartet und dann gleich so heftig, als habe jemand eine Düse geöffnet. Erste Regentropfen fielen, ganz vereinzelt, wie eine Warnung, ich hörte ein Schreien und Rufen vom Strand her, überall sprangen sie auf und klappten die Sonnenschirme zusammen, sie flohen, wie eine wild gewordene, verrückte Meute setzten sie über den Boulevard, die Kinder kamen nicht hinterher, das Gerenne wirkte übertrieben und völlig hysterisch. Mit Badetüchern über dem Kopf stürzten sie in ihre Autos oder liefen in die Hotels, dabei regnete es noch nicht wirklich, nur der starke Wind machte jedem, der noch keinen Schutz gefunden hatte, zu schaffen.
Ich fand einen Obststand, ich kaufte eine Handvoll Feigen, als ich umkehren wollte, kippte ein kleiner Sonnenschirm gerade vor mir um und rollte seitlich davon, ich lief hinterher und bekam ihn noch zu packen, dann beeilte ich mich, zurück ins Hotel zu kommen.
Beim Mittagessen hielt meine Unruhe an, ich wurde das seltsame Telefonat einfach nicht los, zum Glück war der Nebentisch diesmal leer, das stumme Ehepaar befand sich auf einem Ausflug. Alle Fenster waren verriegelt, die meisten Hotelgäste schauten hinaus, draußen hatte das Drama begonnen, es war, als rückten alle enger zusammen, wie in einem Boot. Auch der Geräuschpegel im Speisesaal war viel niedriger als sonst, man sprach leise, deutete mit dem Kopf hinaus, man kommentierte das Wetter, es handelte sich um eine echte Attraktion, manche genossen vielleicht sogar die Abwechslung.
Ich sah, wie der Wind die grünen Palmwedel schlug, sie duckten sich zu dichten Matten zur Seite, Zeitungsseiten flogen über die Straße, Getränkedosen klapperten hinterher, nur noch wenige Autos fuhren vorbei, dann schäumte der schwere Regen herunter, klatschte gegen die Fenster, so etwas machte Angst, die meisten Hotelgäste waren still geworden und blickten wie hypnotisiert nach draußen, ich fragte mich, ob ich die Kamera holen sollte, aber ich war zu faul. Hier und da traute sich auch einer, stand auf und ging ans Fenster, um dort beinahe entgeistert zu stehen, obwohl sie einen solchen Regen doch schon oft erlebt haben mussten, schien es sie jedes Mal von neuem zu packen.
Ich kümmerte mich nicht allzu sehr um das Geschehen, ich aß langsam und blätterte in meinem meeresbiologischen Fachbuch, Herzigel, las ich, lebten auf Weichböden, sie suchten nachts mit Hilfe ihrer lappigen Extremitäten nach Nahrung, es gab den violetten und den kleinen Herzigel, der kleine sah pelzartiger aus und grub ein Loch ins Sediment, in dem er sich versteckte, nur die langen, gefiederten Füßchen schauten dann noch heraus. Als ich aufschaute, setzte sich Carlo an den Nebentisch,
ich möchte Sie nicht beim Essen stören, sagte er, Sie stören nicht, das wissen Sie, antwortete ich. Ich würde gerne mit Ihnen etwas besprechen, sagte er, etwas Dringendes? fragte ich zurück, nein, nichts Dringendes, sagte er, aber ich möchte gern bald mit Ihnen reden, wann haben Sie Zeit? Wie lange wird das Gewitter dauern? fragte ich. Anderthalb, höchstens zwei Stunden, am Abend wird der Himmel so blau sein wie zuvor, antwortete er. Darf ich Sie dann am Abend einladen? fragte ich. Das dürfen Sie, sagte er, ich schlage vor, wir gehen zusammen ins Pescatore, Sie wollten doch gern einmal in einer dieser Strandburgen essen.
Ich nickte, er stand auf und zwinkerte mir kurz zu, ich beugte mich wieder über mein Buch und studierte weiter die verblüffenden Blütenblatt-Muster der Herzigel-Panzer.

14.2
Nach dem Essen ging ich auf mein Zimmer, der Raum war erfüllt vom süßlichen Duft der Feigen, die wie pralle, aufdringliche Körper auf einem Teller lagen. Ich rückte einen kleinen Tisch direkt vor die Balkontür, ich schob die Gardine zur Seite und blickte hinaus, die dunklen Wolken hatten nun beinahe das Meer erreicht, als wären sie von den Hügeln herabgestürzt, sie schütteten sich aus, der trockene Boden nahm das Wasser nicht auf, es zischte an den Bordsteinkanten entlang. Ich sah, wie der Wind über das Meer fegte, die graublaue Gischt erschien wie gepeitscht, dabei waren die Wellen nicht einmal sonderlich hoch, es sah aus, als blase ein gewaltiger Rachen seinen Atem in dichten Schüben über die Oberfläche.
Ich klappte den Laptop auf und platzierte ihn auf dem Tisch, ich richtete mich etwas ein, dann begann ich, auf dem Laptop zu schreiben, kaum fünfhundert Meter von mir entfernt, spülte die hüpfende Gischt ihren Unrat an Land, wenn ich hinaus und hinab schaute, war es so, als würde dieser Ballast geradewegs in die Rückenpartie meines Geräts gespült werden. Ich wunderte mich wie so oft, wenn ich ein paar Tage nur mit der Hand geschrieben hatte, wie leicht das Schreiben mit dem Computer ging, die Fingerkuppen liefen wie schnelle Klavierfinger über die Tastatur, auf dem Bildschirm entstand ein Schrift-Fluss, der davoneilte, versonnen blickte ich ihm hinterher.
Ich arbeitete am Rohentwurf meines Drehbuchs, bis die Arbeit stockte, ich speicherte alles ab und schrieb Rudolf eine kurze Mail, ich hatte mich die ganze Zeit nicht gemeldet, bestimmt nahm er es mir schon übel. Draußen beruhigte sich langsam das Wetter, der Regen kam jetzt ganz regelmäßig und konzentriert herunter, die ersten Autofahrer machten sich einen Spaß daraus, mit ihren Wagen durch die tiefen Pfützen zu fahren. Plötzlich klingelte das Handy, ich erkannte Rudolfs Nummer auf dem Display, ich meldete mich, er hatte die Mail gerade gelesen und sprach von der Billigflug-Verbindung nach Pescara, er überlege, ob er mich am Wochenende besuchen solle, um die möglichen Drehorte schon einmal, wie er sagte, unter die Lupe zu nehmen. Ich hörte ihn so nah, als säßen wir einander im Sender gegenüber, für einen Moment schloss ich die Augen und glaubte, mich wirklich in den Redaktionsräumen zu befinden, ich sah den grünen Fußboden und die lange nicht angerührten Bücherstapel auf den Regalen, es kam mir alles unendlich fern vor und als liege mein Kontakt mit diesen Dingen nicht erst ein paar Tage, sondern Monate zurück.
Ich könnte es versuchen, sagte Rudolf, die Buchung könnte gleich rausgehen, was meinst Du? Nein, sagte ich, ich halte gar nichts davon, ich hasse Billigflüge, Du weißt es genau. Stell Dich nicht so an, sagte er, es würde die Arbeit immens erleichtern, ich bekäme schon einmal einen Eindruck. Nein, sagte ich, ich will es nicht, ich verbiete es Dir. Spinnst Du? schrie er beinahe, ich glaube, Du spinnst! Ja, sagte ich, ich spinne, ich will einmal ein paar Tage allein sein, völlig allein, verstehst Du, ohne all diese Arbeitsgespräche, es ist sehr schön hier, verstehst Du, es ist wundervoll, wie Du sagen würdest, ich möchte das jetzt mal genießen. Du möchtest genießen, aha, sagte er höhnisch. Ja, sagte ich, eine Woche, höchstens zehn Tage, ich komme mit dem fertigen Drehbuch zurück, wenn es sein muss. Mit Dir stimmt etwas nicht, sagte er, irgendetwas stimmt nicht mit Dir. Du hast Recht, sagte ich, es stimmt etwas nicht, aber ich kann es Dir nicht erklären. Mein Gott, auch das noch, sagte er, was ist es, mach eine Andeutung, sag irgendetwas, dann bin ich beruhigt und begreife. Es ist die große Liebe, sagte ich, das ist es. Was? und jetzt schrie Rudolf tatsächlich, was hast Du gesagt? Die große Liebe, sagte ich, das ist es. Die große Liebe gibt es nicht, das solltest gerade Du wissen, sagte er. Ja, sagte ich, ich weiß, die große Liebe gibt es nicht, das dachte ich vor vier Tagen auch noch. Jetzt sag mal, rief er, soll ich nicht doch lieber kommen, wäre es nicht am Ende besser? Nein, sagte ich, tu mir einmal im Leben einen Gefallen.
Ich hörte ihn leise stöhnen, ich hatte ihn umgestimmt. Ruf mich an, wenn Du nicht klarkommst, sagte er. Ja, sagte ich, ich rufe an.
Ich stand auf, das Strahlen des Bildschirms schien schwächer zu werden, draußen zeigte sich wieder die Sonne, ich öffnete die Balkontür und trat hinaus. Ich schaute hinauf zu den Hügeln, die dunklen Wolkengebilde waren nach allen Seiten zerstreut, das Blau setzte sich langsam wieder durch, es kroch über die Hügel und stürzte dann über ihre angeflammten, bleichen Erhebungen herunter zum Meer, die ersten Sonnenflecken legten sich schon auf die Palmen, sie schienen sich aufzurecken, alles atmete durch, am Strand waren sie schon mit den Aufräumarbeiten beschäftigt, die Sonnenschirme wurden wieder geöffnet, ich schaffte den Laptop beiseite und trug den kleinen Tisch auf den Balkon.
Die große Liebe - wie war ich denn auf diese pathetische Wendung gekommen? Rudolf hatte Recht, ich hatte an die große Liebe nicht mehr geglaubt, seit meinem siebzehnten Lebensjahr hatte ich nicht einmal mehr an sie gedacht, sie war eine Sache für Theologen und Mystiker gewesen, etwas absolut Fernes, mit dem ich nie etwas zu tun haben würde. Acht Jahre lang hatte ich mit Hanna zusammengelebt, der wilde Sex unserer ersten Jahre war von einer gewissen Routine abgelöst worden, Routine aber war nichts für Hanna gewesen, irgendwann, vor etwa einem Jahr, hatte sie dann doch die Panik bekommen. Mit Fünfunddreißig, hatte sie gesagt, muss man sich ein letztes Mal fürs Leben entscheiden, nun gut, sie war praktisch, direkt, unkompliziert und vor allem ehrlich, sie hatte es noch einmal darauf ankommen lassen und sich einen munteren Vogel geangelt, sie hatte es mir gleich erzählt. Er war jünger als sie, vier Jahre jünger, ihre alte Unersättlichkeit meldete sich wieder, ich hielt da nicht mehr mit, verstand sie aber gut, wir trennten uns schnell. Seltsamerweise war ich selbst danach aber nicht rückfällig geworden, am Anfang hatte ich wieder ein paar Anrufe erhalten, einige alte Freundinnen hatten sich ganz harmlos gemeldet, ich hatte aber nicht angebissen, nicht in einem einzigen Fall, auch sonst war ich nicht auf die Suche gegangen, denn ich hatte die Gespräche satt, die langen, den Sex vorbereitenden, dummen Gespräche, die ich noch mehr als in frühsten Jahren hasste.
Die große Liebe - war es also richtig, es so zu nennen? Ich griff zu meinem schwarzen Notizbuch, ich wollte versuchen, es zu fixieren: Zwischen Franca und den Frauen, die ich bisher kannte, gibt es einen Unterschied: Wenn ich mit Franca zusammen bin, bin ich die ganze Zeit ausschließlich mit ihr beschäftigt, damit, was sie sagt und wie sie sich gibt, es gibt keinerlei Ablenkung, nichts sonst, ich bin völlig konzentriert und gespannt (und vielleicht deshalb hinterher, wenn ich wieder allein bin, beinahe leer und erschöpft^). Der gesamte Raum um herum wird durch unsere Begegnung verändert, er erscheint aufgeladen, interessanter, als strahlte unsere Verbindung auf ihn aus, manchmal meine ich sogar, er würde, auch wenn es sich um einen ganz alltäglichen, banalen Raum handelt, »schöner«. In diesem Zustand nehme ich unendlich viel wahr, und diese Wahrnehmung geht ein in unsere Gespräche, noch mit keiner Frau habe ich solche Gespräche geführt. Ich mochte immer die klugen Frauen, Frauen von einer raschen, hellwachen Klugheit, genau das zog mich an, im Falle Francas kommt aber zur Klugheit noch etwas anderes hinzu, eine besondere Art, sich zu bewegen, zu fühlen, zu schmecken, eine Art, die mir über alle Maßen gefällt, oder besser gesagt, eine Art, an der mich nicht das Mindeste abstößt oder irritiert. Meine früheren Verbindungen mit Frauen waren immer durchsetzt von kleinen Kompromissen, oft störten mich völlig unbedeutende Kleinigkeiten, die mit der Zeit eine unsinnige Bedeutung erlangten. Jetzt jedoch habe ich den seltsamen Wahn, ah käme unser Sprechen und Fühlen aus einem gemeinsamen Zentrum oder Kern, ein Wort gibt das andere, wir geraten miteinander, könnte man sagen, in einen Zustand der ununterbrochenen, begeisterten Unterhaltung. Es ist eine Art von Verzückung, eine Hyper-Erregung, ein Paroxysmus, ich weiß nicht, wie ich es nennen soll, vielleicht ist es wirklich etwas Mystisches, dann hätten die alten Theologen eben doch Recht. Schwärmerei, Sprachwollust, Welt-Verwandlung..., wenn ich Rudolf damit kommen würde, wäre er mit Recht empört. Es ist also »Die große Liebe«, ich bin beinahe sicher, die einzige Unsicherheit betrifft unsere Körper, obwohl ich mir bereits jetzt vorstelle, dass sie sich ganz ähnlich gut verstehen, ich weiß nur nicht wie, wir zögern noch, die Probe zu machen, danach aber wird man sie nicht mehr trennen können, »nie mehr«, denke ich jetzt sogar, es ist verrückt... Und was noch, was noch? Ich habe Angst, ich muss hinschreiben, dass ich große Angst habe, ich schreibe es zum dritten Mal hin, ich
 

Sprung zu