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Почитаем?

17.02.16 18:32
Re: Почитаем?
 
regrem патриот
в ответ regrem 17.02.16 17:53, Последний раз изменено 22.02.16 13:18 (regrem)
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ICH GING erst spät auf mein Zimmer, ich baute mein kleines Büro wieder auf und schaltete den Laptop ein, sein leises Summen gefiel mir anfangs, es schien mich zum Schreiben zu drängen, als habe das Gerät mitbekommen, dass ich unbedingt schreiben wollte. Ich wollte es, das war richtig, ich spürte geradezu ein Verlangen, etwas zu notieren, aber ich stockte, es wollte mir kein passender Einstieg gelingen. Bei jedem Beginn kam mir schon die Wortwahl verdächtig vor, ich griff zu sehr in die Vollen, ich wollte zu viel sagen, daher korrigierte ich mich und versuchte es einfacher, das aber hörte sich spröde an, als traute ich mich nicht, von meinen Gefühlen zu sprechen.
Eine Zeitlang hockte ich auf der Bettkante, ich war auf dem Sprung, ich zerkaute die Sätze, ich probte sie durch, ich wollte etwas Klares, Bestechendes aufschreiben, etwas, das mir wirklich half, die Situation zu durchschauen, aber was eigentlich? Im Grunde wusste ich bloß nicht, wie ich mit Carlos Nachricht umgehen sollte, ich konnte ihre Bedeutung nicht abschätzen, nie hätte ich geglaubt, dass Gianni Alberti für Franca eine Attraktion hätte sein können. Ich überlegte, ob er es vielleicht gewesen war, der sie während unseres abendlichen Aufenthalts in dem kleinen Bergdorf laufend angerufen hatte, er ist es gewesen, dachte ich, leicht erschrocken, er ist es bestimmt gewesen, aber was hast Du davon, dass Du es jetzt weißt? Plötzlich fiel mir auf, dass ich mich eingeschlossen hatte, ich hatte mich eingeschlossen, um mit mir ins Reine zu kommen, offensichtlich hatte ich erwartet, mich in diesem Hotelzimmer geradezu zwingen zu können, zu klaren Gedanken zu finden.
Ich stand auf und kehrte dem Laptop den Rücken, ich musste noch einmal hinaus, in diesem Zimmer hielt ich es nicht länger aus.
An Land hatte sich alles beruhigt, der Wind war kaum noch zu spüren, nur im Meer schien es weiter zu toben, die Wellen klatschten laut auf den Strand. Ich zog die Schuhe aus und ging einige Schritte hinein in die Gischt, was tust Du, dachte ich, irgendetwas, antwortete ich mir, ich tue etwas, um nicht weiter daran denken zu müssen. Die Wellen packten aber gleich energisch nach mir, meine Hose war bald durchnässt, ich machte ein paar Schritte zurück, zog sie aus und warf dann auch die andere Kleidung beiseite. Dann lief ich schnell hinein, es war, als legte ich es auf einen Kampf mit diesem tobenden Chaos an. Ich ließ mich fallen und wurde gleich zurückgeschleudert, eine starke Welle presste mich wie ein lose obenauf tanzendes Stück Holz vor sich her, ich ruderte nur noch hilflos mit den Armen, ich hatte die Kraft der Wogen völlig unterschätzt. Ich kniete mich hin, eine zweite Welle näherte sich aber und erwischte mich, bevor ich mich ganz aufgerichtet hatte, ich fiel zur Seite und geriet in einen nicht enden wollenden Strudel, dann kollerte ich wie bloßes Gerumpel an Land.
Weiter unterhalb war aus den Diskotheken am Strand noch laute Musik zu hören, ich starrte dorthin, während ich mich mit einem Hemd notdürftig trockenrieb. Ich sagte mir, dass ich mich verrannt hatte, ich war in eine Geschichte geraten, die mir letztlich ganz fremd war, noch war aber Zeit, ihr zu entkommen, ich brauchte bloß den nächsten Zug nach München zu nehmen. Dann zwängte ich mich in die nasse Kleidung und schlich zurück ins Hotel, zum Glück war die Rezeption längst geschlossen, so dass ich ungesehen mein Zimmer erreichte.
Ich duschte und kleidete mich neu an, ich setzte mich noch einmal an den Laptop, Rudolf hatte mir eine Mail geschrieben, ich öffnete sie und begann zu lesen. Es war ein langer Text, und er wirkte auf mich wie ein Narkotikum, Schritt für Schritt versuchte Rudolf, mir den Unsinn der Liebe vor Augen zu führen, einiges erinnerte mich an die mürrische Gereiztheit, die mich früher bei diesem Thema jedes Mal selbst überfallen hatte. Ein Mann auf die Vierzig zu machte sich lächerlich, wenn er die Liebe nicht exakt als das durchschaute, was sie war, ganz so direkt hatte Rudolf seine Botschaft nicht formuliert, mehrfach war von Neuro-peptiden und emotionalen Systemen die Rede, ich hätte wissen müssen, dass Liebe der Anbahnungszustand der arterhaltenden Partnerwahl war, nichts anderes also als ein vorübergehender biologisch erfassbarer Zustand, eine Art Gemütsverschiebung, die die Welt ausblendete, um alles Interesse und alle Neigung auf die eine Auserkorene zu richten, Verbundenheitsgefühle, Gefühle von großer Nähe, ja sogar von Verschmelzung waren nichts anderes als Ergebnisse eines Hormonüberschwangs.
Ich las den Text ganz gelassen, ich wunderte mich nur darüber, wie ausführlich Rudolf auf alle Symptome einging, er hörte nicht auf, bis er alles durchdekliniert hatte, Besessenheit, Eifersucht, die Furcht, zurückgewiesen zu werden, die Sucht zu gefallen, das Streben danach, den anderen nur für
sich zu haben, ihn zu besitzen, das Ganze stand dort und las sich wie ein Krankheitsbild, sehr detailliert, ich konnte nicht einmal behaupten, dass es nicht stimmte. Jahrelang war es in unseren Kreisen Mode gewesen, sich zu verlieben, immer wieder hatten wir einen der Freunde bei diesem Gebaren erwischt, verschwommenes Reden, Apathie mit träumerischen Akzenten, dazu eine gewisse Weichheit und Nachgiebigkeit sowie das Ignorieren der Zeit, im Grunde spielte nichts mehr eine Rolle außer dem Reden darüber, dass dem ebenso war. In den letzten Jahren hatte auch ich mich oft darüber lustig gemacht, wir hatten den ewig gleichen Ablauf dieser Prozesse einfach nicht mehr ertragen können, schließlich war doch sehr leicht zu durchschauen, was vor sich ging, ja, sagte ich, als ich daran dachte, ja, es ist klar, schon gut, ist doch klar, wusste aber sofort, dass diese Erklärungen mich nicht erreichten.
Erst Carlo, jetzt Rudolf, von allen Seiten wurde ich also gewarnt, Du warst längst über so etwas hinweg, hatte Rudolf zum Schluss sogar geschrieben, als redete er voller Mitleid mit einem Kind, ich konnte nur nicken, ich war über das alles hinweg gewesen, jetzt hatte es mich aber ereilt, vielleicht und sehr wahrscheinlich zum letzten Mal in meinem Leben.
Ich löschte die Mail, ich schaltete den Laptop ab, ich wollte mir jetzt einfach keine Gedanken mehr machen, sondern abwarten, was morgen geschah. Morgen, morgen, flüsterte ich leise, als spräche ich mit jemand in der Ferne, dann zog ich mich rasch aus und legte mich zu Bett. Eine Zeitlang glaubte ich, die Wellen noch rauschen zu hören, dann schlugen die versprengten, starken Geräusche zu einem einzigen Klang zusammen, Ur-Ton, dachte ich noch und regte mich nicht mehr, Ur-Ton, ein letztes Mal, dann glaubte ich, auf dem Rücken zu treiben, immer ruhiger, still, endlich schlief ich ein.

 

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