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в ответ regrem 17.02.16 17:53, Последний раз изменено 22.02.16 13:20 (regrem)
DER MARKT von San Benedetto war viel größer, als ich erwartet hatte, mit all seinen bunten Ständen und Verkaufsbuden füllte er die halbe Innenstadt. Er schloss an die kleine Gemüse- und Fischmarkthalle an, er belegte einen weiten Platz, auf dem sonst die blauen Busse in die Umgebung abfuhren, und er zog sich dann weiter durch einige der parallel verlaufenden Straßen, so dass kaum noch ein Durchkommen war. Carlo durchstreifte mit mir den zentralen Platz, es gab Stände mit Kleidung und Schuhen, mit Küchengeräten und sogar mit Möbeln, Carlo zeigte mir, wo ich einkaufen könnte, zu besonders günstigen Preisen. Wir taxierten und schauten, gingen aber recht rasch, ich konnte ihm oft nur mit Mühe folgen, das Gedränge in den schmalen Gängen zwischen den Ständen war groß, erst in der Fischmarkthalle verweilte er länger. Die frische Ware wurde immer wieder mit Wasser besprengt, die silbernen und weißgrauen Leiber glänzten im tief hängenden Licht der Verkaufsstände, ich sah Aale, Sardinen und Tintenfische, auf dem zerstoßenen Eis einer Kiste war ein einzelner Rochen drapiert, der lange kräftige Schwanz stemmte das ganze Gewicht, die winzigen Bauchflossen stützten den sich aufreckenden rautenförmigen Körper, ich starrte auf die weißen Hautfalten des Bauches, unter denen sich ein großes Loch auftat, aus dem die blutigen Innereien hervorschauten. Carlo verhandelte, aber ich hörte nicht zu, ich konnte den Blick nicht von den Fischen abwenden, manche bereits enthäutete Leiber hatten nichts mehr von der früheren Fischgestalt und erschienen wie feine rot rosa Farbstreifen, die sich als bloße Dekoration von Kiste zu Kiste wölbten, während die Sardinen in Lagen ausgerichtet waren, winzige Todeskompanien mit einem erschreckenden Weiß in den Augen. Carlo deutete immer wieder auf die einzelnen Arten, er nannte die Namen, er erklärte, woran der Frischezustand zu erkennen sei, mit knappen Worten kaufte er ein, der Moment, in dem die Ware in das wasserundurchlässige Papier eingeschlagen wurde, gefiel mir besonders. Ich holte die kleine Digital-Kamera hervor, ich trat etwas zur Seite, um Carlos Einkauf aus einiger Entfernung zu filmen, da erkannte ich plötzlich, recht weit noch entfernt, aber doch deutlich im Hintergrund der Szene, Gianni Alberti. Er trug ein blaues, sehr enganliegendes Strickhemd mit kurzen Ärmeln, ein goldenes Emblem schmückte die rechte Seite, seine schmalen Arme waren dunkel gebräunt und wirkten wie die muskulösen Arme eines erfahrenen Seglers. Er trug eine große Einkaufstasche aus Korb, er hatte den genießerischen, schlendernden, immer wieder verweilenden Gang in die Jahre gekommener Männer, die sich etwas leisten konnten. Ich machte einige Schritte zurück, hin zur Wand, Carlo stutzte und kam zu mir, er hatte Gianni Alberti nicht bemerkt, er war zu sehr mit seinen Einkäufen beschäftigt. Ich möchte Ihnen nicht mehr zur Last fallen, sagte ich, lassen Sie mich ruhig hier etwas filmen, ich möchte Sie nicht aufhalten. Er betrachtete mich einen Moment wieder mit seinem abwägenden, skeptischen Blick, immer wenn er mich so anschaute, kam ich mir wie der Junge vor, der sich einer Prüfung des Älteren ausgesetzt sah. Kommen Sie heute Mittag zum Essen? fragte er. Nein, antwortete ich, ich werde hier essen, hier auf dem Markt. Er wollte sich von mir trennen, da beugte ich mich noch einmal zu ihm herunter, ich führte meinen Mund ganz dicht an sein Ohr, dann fragte ich, nur noch eins, Carlo, wohnen die Dottoressa und Gianni Alberti zusammen? Er blickte mich irritiert und stirnrunzelnd an, dann sagte er, so laut, als wolle er demonstrieren, dass es nichts zu verschweigen gab: Vor der Heirat zusammen?, wo denken Sie hin?, er wohnt noch bei seinen Eltern, und sie, einen Augenblick, ja, wo wohnt sie eigentlich, eh, ich weiß nicht, wo sie wohnt, so etwas weiß man von ihr eben nicht. Ich beugte mich wieder zu ihm und flüsterte, als gehe es um ein großes Geheimnis, danke, Carlo, Sie haben mir sehr geholfen. Mein Flüstern behagte ihm nicht, er bekam etwas leicht Gereiztes und antwortete: Nehmen Sie sich in acht, ich bitte Sie! Um ihn zu beruhigen, berührte ich ihn sacht an der Schulter, er machte eine kurze schroffe Bewegung, dann verschwand er im Einkaufs Getümmel. Ich schaute ihm nicht hinterher, ich fixierte den Hintergrund, Gianni Alberti stand vor einem Gemüsestand und hielt einen kleinen Strauß Zucchiniblüten in der Hand, er beäugte sie, er sprach mit dem Verkäufer, wahrscheinlich gelang es ihm spielend, aus Zucchiniblüten ein Thema zu machen. Ich näherte mich ihm auf wenige Meter und postierte mich seitwärts, hinter einer langen Flanke von Ständen, so konnte ich ihm folgen, ohne dass er mich bemerkte. Ich schaltete die Kamera wieder ein, ich führte sie ganz leicht in der Rechten, ich wollte versuchen, Albertis Streifzug über den Markt von San Benedetto in kurzen Sequenzen zu filmen. Sein Gang war beinahe feierlich-schwer, er legte keinen Wert darauf, voranzukommen, anscheinend hatte er vor, sich ein wenig treiben zu lassen, jedenfalls musterte er die Umgebung so, als überlegte er sich jedes Mal von neuem, ob er etwas kaufen sollte. Dabei bezog er die kleinen Geschäfte rings um den Markt mit in seine Aufmerksamkeit ein, er blieb vor einem Hut Laden stehen und betrachtete die Ausläge, an einem Marktstand mit Krawatten ließ er fast ein Dutzend durch seine Finger gleiten, er wich in einen Tabakladen aus und erschien mit einer Packung Toscanelli, in einer Eckbar trank er einen Kaffee und unterhielt sich mit zwei Männern, er kannte sie aber anscheinend nur flüchtig. Schnitt, dachte ich immer wieder, Schnitt, ich drehte seinen Gang in Sequenzen von genau zehn Sekunden, es war nicht leicht, ihm so geschmeidig zu folgen, außerdem musste ich auf der Hut sein. Als er die Eckbar verließ, hatte er eine Toscanelli im Mund, sieh mal an, sagte ich, er raucht, rauchen hatte ich ihm nicht zugetraut und erst recht nicht das Rauchen von Toscanelli, ich hatte Mühe, ihn mit dem Dottore Alberti, den ich im Museum kennengelernt hatte, zur Deckung zu bringen, hier auf dem Markt gefiel er mir besser. Er behielt die Zigarre im Mund, er bewegte sie je nach Rauchausstoß hin und her, er war darin nicht nur geübt, es bereitete ihm sogar sichtlich Vergnügen. In der Nähe des Fischmarkts begrüßte er einen Schuhhändler, ich sah, wie der Mann in seinem Lieferwagen verschwand und mit einem Karton wieder erschien, anscheinend hatte er für Alberti ein besonders rares Paar Schuhe zurückgelegt, der Händler stellte es direkt vor ihn hin auf das Pflaster, Alberti lächelte und entledigte sich rasch seiner Schuhe, um in das neue, glänzende Paar zu schlüpfen. Einen Moment drehte er sich wie ein Geck vor einem auf dem Boden stehenden Spiegel, dann klatschte er theatralisch mit beiden Händen, ich konnte nicht weiterfilmen, so verhasst war er mir nun wiederum. Ich fragte, was es war, das mich so schwanken ließ, sympathisch war er mir, wenn er ganz unauffällig in der Menge verschwand und nichts anderes darstellte als einen einkaufenden Mann in mittleren Jahren, diese Rolle spielte er jedoch nicht konsequent, vor allem in Gesellschaft zeigte er Attitüden und gab das Einzelkind, das man auf teure Schulen geschickt hatte. Er behielt die neuen Schuhe gleich an, er bezahlte mit einem einzigen Schein und steckte das Wechselgeld beiläufig in die Hosentasche, an einem Grillstand ließ er sich eine Scheibe Spanferkelfleisch abschneiden, er hielt sie mit zwei Fingern, drehte sie vor seinen Augen, ging leicht in die Knie und schnappte danach mit dem Mund. Er wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen, die kleinen Papierservietten wehrte er ab, ich hörte ihn schnalzen, mit dem Nagel des kleinen Fingers versuchte er, eine Fleischfaser zwischen den Zähnen hervorzupulen, er war durstig geworden und unternahm auch sofort etwas dagegen, in einer Bar ließ er sich Wasser reichen und bestellte ein Glas Prosecco. So wie er jetzt dastand, in einer Ecke der Bar, auf sich bezogen und nachdenklich, war er mir wieder angenehm, ich erkannte den analytischen Menschen, der nicht aufhören wollte, an ein und dieselbe Sache zu denken. In solchen Momenten erschien er mir jünger und umgänglicher, ich konnte ihn mir dann leise redend vorstellen, zögernd auch, sich von einem Gedanken zum ändern vortastend. Er ist auf dem Sprung nach Ancona, so hatte Franca noch vor wenigen Stunden von ihm gesprochen, und genau diesen Eindruck machte er, den Eindruck eines Mannes, der nur noch zu Besuch da war, auf dem Sprung nach Ancona. Als er an seinem Glas nippte, überlegte ich, ob ich nicht zu ihm hineingehen sollte, ich hatte Lust, mich mit diesem Mann kurz zu unterhalten, wenn es Franca nicht gegeben hätte, hätte ich es auch sofort getan. Ich selbst hatte jetzt ebenfalls Durst und auch etwas Hunger, es wäre ein Vergnügen gewesen, mit ihm über den Markt zu schlendern, hier ein Stück Wurst und dort ein paar schwarze Oliven zu essen, die Lebensmittel verführten auf diesem Markt, sie sofort zu verzehren, man hatte Lust, sie zu betasten und dann gleich zu essen, das eine ging hier mühelos über ins andere, überall bewegten sich Menschen, die kauten und aßen und gleichzeitig einkauften, alle Momente des Konsums spielten zusammen, wobei die sinnlicheren dominierten. Ich schaute zu, wie er trank, ich spürte wieder die enorme Versuchung, mit ihm ein paar Worte zu wechseln, und überlegte, wie ich eine Begegnung herbeiführen könnte, wo war es günstig, wo behielt ich das Heft in der Hand? Am besten wäre es, dachte ich weiter, wenn wir uns in der Mitte eines schmalen Gangs zwischen den Ständen wie zufällig über den Weg liefen, eine solche Begegnung würde ihn nicht weiter wundern, und wir könnten uns nach einem kurzen Gespräch leicht wieder trennen. Er ließ sich etwas Zeit, er trank das Glas genießerisch langsam aus und blickte in den Pausen fast unausgesetzt auf einen einzigen Punkt auf dem Boden, als malte er sich etwas aus. Als ich sah, wie er sich davon losmachte, schlich ich davon, ich begleitete ihn einige Schritte in einem parallel verlaufenden Gang, dann bog ich um die Ecke und ging geradewegs auf ihn zu. Ich schaute zur Seite, als musterte ich die Auslagen der Stände, ich schritt ihm entgegen, vielleicht hatte er mich schon gesehen, ich hatte beinahe das Gefühl, wie in einem Western zu einem Duell anzutreten, nur dass ich statt der Pistole in der Rechten die Kamera hielt. Ich behielt meine Blickrichtung bei, ich schaute weiter zur Seite, ich wollte nicht als erster von uns auf den anderen aufmerksam werden, als ich sein buon giorno hörte. Ich schaute zu ihm hin, ich tat erstaunt und als überlegte ich kurz, wen ich vor mir hatte, da stellte er sich auch schon vor, Dottore Alberti, Gianni Alberti, wir sind uns neulich im Museum begegnet. Entschuldigen Sie, antwortete ich, ich habe Sie nicht sofort erkannt, Sie haben sich seit unserer Begegnung verändert. Er ging nicht auf meine Bemerkung ein, er wurde etwas steif und auch förmlich, es gelang ihm nicht, einen zur Umgebung passenden lockeren Ton zu finden, stattdessen fragte er, ob ich mit meiner Arbeit vorangekommen sei. Ich bin, antwortete ich, im Gespräch mit der Dottoressa, das Projekt nimmt Konturen an. Inwiefern? fragte er, ich hatte mit einem solchen Nachhaken nicht gerechnet, ich entwickle gerade ein Konzept für die Außenaufnahmen, antwortete ich, ich sprach entschieden und sicher, ihm konnte nicht auffallen, dass sein Fragen mich überrascht hatte. Darf ich Sie zu einem Glas einladen, Dottore? machte ich weiter, ich sah, wie er sich etwas streckte, die ganze Zeit musste er zu mir aufschauen, meine Frage hatte ihn an etwas erinnert, es war ihm anzumerken, dass er das Gespräch beenden wollte, tut mir leid, sagte er, ein andermal, ich bin auf dem Sprung, ich werde am Nachmittag in Ancona erwartet. Ich lächelte freundlich, aber ich wollte ihm die kleine Angeberei nicht durchgehen lassen, außerdem ärgerte mich sein »ich bin auf dem Sprung«, er hatte kein Recht, diese Wendung zu benutzen, diese Wendung war für Franca und mich reserviert. Sie haben rasch noch etwas eingekauft, für Ihre Lieben? fragte ich und lächelte weiter, ich sah, dass ich ihn aufhielt, er wollte davon, anscheinend fand er es auch unpassend, nach seinen Einkäufen gefragt zu werden, ich erledige das Notwendigste für meine Eltern, antwortete er schnell. Armer Bub, Sie armer Bub! hätte ich am liebsten laut gerufen und ihm übers Haar gestreichelt, aber ich sagte nur, sprechen wir uns noch einmal, was meinen Sie? Bis Sonntagabend bin ich in Ancona, antwortete er, ich habe das ganze Wochenende zu tun, am Montag stehe ich Ihnen im Museum gern zur Verfügung. Ich sagte, dass ich mich melden werde, dann verabschiedeten wir uns, er ging sehr rasch davon, ich blieb noch dort stehen, wo ich mit ihm gesprochen hatte, ich wollte so tun, als setzte ich meine Marktbesichtigungstour fort. Ich hielt die Kamera weiter in der Rechten, ich stierte etwas benommen auf die Auslagen, Gianni Alberti war also wirklich ganz konkret auf dem Sprung nach Ancona, er hatte keine Zeit für »Außenvisiten«, musste Franca also für ihn einspringen, damit ich keine Zeit verlor? Ich hielt die Kamera fest in der Hand, ich presste die Finger gegen das glatte Gehäuse, bildete ich mir etwa am Ende alles nur ein? Vielleicht war Franca einfach nur freundlich, höflich und aufmerksam, vielleicht hatte sie ihren Ehrgeiz dareingesetzt, einem deutschen Filmemacher so gut es eben ging zu helfen? Nach dem heutigen Morgen konnte das aber nicht gut möglich sein, dennoch, ich schluckte ein wenig, mir war nicht wohl, ich redete mir ein, jetzt starken Hunger und noch stärkeren Durst zu haben. Was war wirklich in den letzten Tagen geschehen? Lebte ich am Ende in einer Geschichte, die ich mir nur selbst ausgedacht hatte, während die Mitspieler sich auf ein ganz anderes Stück verständigt hatten? Ich nahm mir die Kamera vor, ich hielt sie etwas höher, ich wollte mich durch die Arbeit ablenken, als ich aus den Augenwinkeln die Gestalt Gianni Albertis bemerkte. Ich erwischte sein Bild nur für den Bruchteil einer Sekunde, er musste irgendwo weit im Abseits zwischen den letzten Ständen stehen, aber ich erkannte ihn, und ich sah, dass sein wacher, konzentrierter Blick auf mich gerichtet war, ich war nun derjenige, der streng fixiert wurde, er wollte mich wohl einer genauen Analyse unterziehen. Ich beschäftigte mich mit der Kamera, ich veränderte einige Einstellungen, dann ging ich weiter, ich war sicher, dass er mir folgte, nun war ich an der Reihe, meine Rolle zu spielen. Ich stieg auf einige Obstkisten und filmte den Markt aus erhöhter Position, ich schlängelte mich durch die dichten Reihen, ich dirigierte einige Verkäufer für eine Gruppenaufnahme zusammen und nötigte sie, ihre Waren in Händen zu halten, schnell geriet ich in einen Aufnahmefuror, ich kam mir vor wie ein Kamera-Kaspar, der sich bemühte, den Profi zu spielen. Ich ahnte nicht, wie das alles auf Alberti wirkte, ich wollte ihn nur von meinem Vor-haben überzeugen, er sollte fest glauben, dass ich mit nichts anderem als dem Film beschäftigt war, mit absolut nichts anderem. Mehr als zwanzig, beinahe dreißig Minuten verfolgte er mich, ich bemerkte genau, wie stümperhaft er hinter mir her war, ich interessierte ihn, das war klar, etwas an mir interessierte ihn sogar sehr, ich hätte etwas darum gegeben, zu wissen, was genau es wohl war. Schließlich sah ich ihn davonziehen, er wirkte müde und verbraucht, er schleifte seinen Einkaufskorb beinahe neben sich her, nichts mehr war geblieben von dem genießerischen Gang des in die Jahre gekommenen Mannes, längst war er auch nicht mehr »auf dem Sprung«, er war nur noch eine Gestalt, deren Abgang man mitleidig verfolgte. Ich packte die Kamera sofort weg, ich wich in die leeren Seitenstraßen aus, plötzlich überfiel aber auch mich eine starke Erschöpfung, als hätte ich mit Gianni Alberti mein eigentliches Kraftfeld verloren. Ich hatte keine Lust, zurück ins Hotel zu gehen, ich trabte eine Weile durch die nüchternen Straßen, kaum ein Mensch begegnete mir, in einem Tabakladen beschaffte ich mir eine Packung Toscanelli, ich setzte mich vor eine Bar, ich begann zu rauchen, als der Kellner erschien, bestellte ich mir einen Aperitif. Während ich trank und rauchte, hatte ich immer mehr das Gefühl, mich allmählich von dem ganzen Liebesdrama zu trennen, ich kümmerte mich nicht mehr um die Dramaturgien, nichts beunruhigte mich mehr, ich saß da und schaute die schmale Straße entlang: Die Radfahrer, meist ältere Männer, mit ihren langsamen, verzögerten Bewegungen, die Blumenkübel vor den Hauseingängen, die grünen Fensterläden wie seit Ewigkeiten geschlossen, die Katze, die die Straße überquerte und ihr Fell an der Wand einer Mauer rieb, etwas Radiomusik aus einem der wenigen geöffneten Fenster - es war der Stillstand des Lebens, ein durch nichts gebrochener Alltag, das Leben in nuce, Tag für Tag, mit seinen Wochenenden und Feiertagen, mit seinen Rad fahrenden älteren Männern und tropfenden Blumenkästen unterhalb der geschlossenen Fensterläden, mit seinen Frauen, die dabei waren, die Straße zu kehren, mit Hunden auf der Suche nach Abfällen, mit dem Duft des Brotes und der metallenen Kühle der Metzgereien, provisorisch war alles und doch von unveränderlicher Gleichförmigkeit. Ich spürte, wie sich eine tiefe Melancholie in mir absetzen wollte, ich stand auf, nichts da! murmelte ich und gab mein Glas an der Theke zurück. Ich ging noch einmal in die Marktgegend, ich schaute den Händlern zu, die ihre Stände zusammenräumten und die Waren, Tische und Stände in ihre Lieferwagen verstauten, die Müllabfuhr war längst hinter ihnen her, Schwärme von Möven kreisten über dem weiten Gelände, ich suchte nach einem Lokal, in dem man sich jetzt noch traf, ich erkannte es auch auf den ersten Blick, es war ein winziges Ecklokal, ich hörte die lauten Stimmen der Verkäufer, die von drinnen heraus-drangen, frittura, las ich, mit Kreide war es auf eine große Tafel am Eingang geschrieben, frittura, erfuhr ich drinnen, war das einzige, was man hier zu einem Glas Wein servierte. Ich setzte mich, ich bestellte, eine junge Frau brachte das Glas und die goldgelbe Frittura, sie lag verstreut auf einem dünnen Papier, das ihr Fett sofort aufsog. Ich griff mit den Fingern danach, ich aß frittierte Tintenfische und zupfte die Spindeln von den frittierten Garnelen, frittura, dachte ich laufend, es kam mir vor wie ein Kommentar zu diesem Morgen. Als ich gegessen hatte, nahm ich mein schwarzes Notizbuch hervor, ich hatte noch etwa eine Stunde Zeit bis zur Abfahrt des Zuges. Ich trank einen Schluck Wein, dann schrieb ich: Ich bin Gianni Alberti begegnet, ich konnte nicht feststellen, was er empfand, ich durchschaue ihn nur für kurze Momente, und jedes Mal ergibt das ein anderes Bild. Etwas an ihm lässt ihn undurchsichtig erscheinen, vielleicht ist er sich selbst sogar fremd, auf mich macht er jedenfalls den Eindruck eines alle möglichen Rollen spielenden Mannes, der sich noch für keine wirklich entschieden hat. Er ist Dein Rivale, dachte ich mehrmals und musste doch über das lächerlich dröhnende Wort grinsen. Seim Männlichkeit ist mir zuwider, seine Alltäglichkeit stößt mich ab, er ist ein rigider, narzisstischer Typ, solche Typen verabscheue ich. Irgend-wann werde ich Franca fragen, warum sie sich gerade für ihn entschieden hat, nach dem ersten Satz ihrer Antwort werde ich Genaueres wissen über Gianni Alberti, über sie und vermutlich auch über mich. |