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Почитаем?

17.02.16 18:34
Re: Почитаем?
 
regrem патриот
в ответ regrem 17.02.16 17:53, Последний раз изменено 14.03.16 12:09 (regrem)
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SEHR FRÜH am Morgen brach sie auf, noch in der Dunkelheit machte sie sich zu Fuß auf den Weg, ich konnte nicht mehr schlafen und lag lange Zeit bewegungslos auf dem Rücken, das Fenster stand offen, die Läden ließ ich noch eine Weile geschlossen. Ich sah zu, wie das Sonnenlicht sich herantastete und dann immer stärker in den Raum strömte, der Lichtandrang war schließlich kaum noch zu ertragen, ich erhob mich und stieß die Läden auf, ich erschrak, als ich das Meer sah, es lag direkt unterhalb, als könnte ich mit einem weiten Sprung in ihm untertauchen. Ich duschte, ich kleidete mich an, dann ging ich nach unten, anscheinend waren die anderen Gäste schon längst aufgebrochen, jedenfalls saß ich draußen allein in diesem strahlenden Licht, man brachte mir einen Kaffee und ein kleines Frühstück.
Ich drehte Tisch und Stuhl so, dass ich aufs Meer schauen konnte, ich konnte den Blick gar nicht abwenden von dieser weiten und jetzt so einladenden Fläche, das Blau war von goldenen Adern durchsetzt, die sich zu feinen Rissen verjüngten und weiter verzweigten, das starke Sonnenlicht ließ laufend neue Muster entstehen, so, dachte ich, stelle ich mir die Schöpfung vor, Licht und Wasser sind die Ur-elemente. Ich saß eine Weile allein, der Padrone trat immer wieder aus der Tür und schaute unschlüssig zu mir hinüber, schließlich kam er über den schmalen Kiesweg zu mir, er stützte sich mit beiden Händen auf einen Stuhl, ich spürte, wie neugierig er war. Er fragte, ob ich noch eine Nacht bleiben wolle, und ich sagte, nein, das ist leider unmöglich, dann erkundigte er sich nach meinem Wagen, und ich sagte, wir sind zu Fuß hinaufgekommen. Er tat verwundert und ließ nicht nach, bis er erfahren hatte, woher ich kam und was mich genau an diese Küste führte, ich bot ihm mehrmals einen Platz an, aber er wehrte immer wieder ab, als gehörte es sich nicht, dass er sich schon am Morgen neben einen Gast setzte. So hielt er weiter die Lehne des Stuhls in beiden Händen, er schwang sie vor und zurück, es ließ ihm anscheinend keine Ruhe, wie wenig wir am Abend gegessen hatten, jedenfalls erwähnte er es, er sprach von der picenischen Küche und der Küche der Marken, und plötzlich hörte ich aus seinem Mund die alte Formel, la terra marchigiana, auch Franca hatte sie in dem Dorf in den Bergen mehrmals benutzt. La terra marchigiana hörte sich an wie eine Zauberformel, es reizte mich sofort, ihn danach zu fragen, bitte, sagte ich, nehmen Sie doch endlich Platz, was hat es auf sich mit la terra marchigiana und was mit den Pkenern, erzählen Sie einem Fremden davon, ich bin Ihnen dankbar.
Er schaute mich an, als prüfte er die Ernsthaftigkeit meines Wunsches, dann sagte er, wenn Sie sich Zeit nehmen, etwas aus der Küche zu probieren, setze ich mich zu Ihnen, jetzt? fragte ich, so früh am Morgen?, ah, antwortete er, es ist gegen Elf, nicht mehr früh am Morgen, heute ist unser Ruhetag, der einzige Tag, an dem niemand mich hetzt. Er wartete meine Antwort nicht einmal mehr ab, er stand auf und verschwand im Haupthaus, geben Sie mir zehn Minuten, rief er mir über die Schulter hin zu, ich war glücklich, glücklich über seinen Eifer, diesen Morgen, die Nacht, bin ich jemals so glücklich gewesen wie jetzt? dachte ich und rührte mich minutenlang nicht, als könnte schon die geringste Bewegung alles zerstören.
Ich nahm mein Handy hervor und wählte ihre Nummer, das Wahlzeichen erklang nur kurz, dann hörte ich schon ihre Stimme, sie klang warm, ruhig und sehr vertraut, wie soll ich arbeiten, sagte sie, ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen, dann nimm Dir doch einfach frei, sagte ich, nimm Dir frei und komm mit einem Wagen hierher zurück, das geht nicht, sagte sie, Gianni ist nicht hier, Dottore Alberti, den meine ich, ja, antwortete ich, er ist nicht da?, nein, sagte sie, er ist in Ancona, deshalb muss ich heute bleiben, verstehst Du? Ja, sagte ich, ich verstehe, danke, Liebster, sagte sie, danke, dass Du so schnell verstehst und dass Du Geduld mit mir hast, ich schlage vor, wir treffen uns gegen Fünf, geht das, gegen Fünf? Natürlich, sagte ich, ich bin frei, ein freier, glücklicher Mann, vielleicht sogar noch um Fünf. Mach keine Witze, sagte sie, und sag, bist Du glücklich, bist Du es wirklich? Ja, sagte ich, ich war es die ganze Nacht und bin es noch, ich sitze draußen vor dem Hotel, der Padrone hat mich eingeladen zu einem Imbiss, da Du nicht da bist, wird mir nichts anderes bleiben als ihn zu umarmen und ihm mein Glück zu gestehen, mit irgendwem muss ich schließlich darüber reden. Behalt es für Dich, sagte sie, rede nach Fünf mit mir darüber, ich bin eine Expertin in solchen Dingen, gut, sagte ich, ich denke darüber nach, und wo treffen wir uns?, wo? sie zögerte einen Moment, wo? ach, wir treffen uns in der kleinen Bar, mitten im Hafen, auf der schwimmenden Insel, tust Du mir den Gefallen? Um Fünf sitze ich in der kleinen Bar auf der schwimmenden Insel und trinke einen Aperitif, sagte ich. Danke, sagte sie, und kommst Du auch zurecht, schaffst Du es, allein hierher zu kommen? Machen Sie sich darüber keine Gedanken, Dottoressa, sagte ich, ich werde da sein, pünktlich, um Fünf.
Der Padrone kam zurück an meinen Tisch, er schien zu ahnen, mit wem ich telefoniert hatte, ich bemerkte, dass er mich etwas fragen wollte, aber er rückte noch nicht damit heraus. Gianni bringt uns gleich etwas zu essen, sagte er, der Kellner heißt Gianni? fragte ich, ja, sagte er, Gianni verehrt die Signora, mit der Sie gestern Abend hier waren, so? tut er das? fragte ich, ja, sagte der Padrone, er verehrt sie nicht nur ihrer Schönheit wegen, er verehrt sie noch aus einem anderen Grund, ich werde es Ihnen später erklären.
Ich hakte nicht weiter nach, ich gab mich damit zufrieden, ich hatte nicht den Willen und nicht die Lust, jemanden zu drängen oder gar hartnäckig zu werden, ich war entspannt, völlig entspannt, ich wollte nur noch zuhören und zuschauen. Der Padrone nahm nun wirklich neben mir Platz, er setzte sich etwas umständlich hin, als machte er es sich an einem fremden Ort nur vorübergehend bequem, er hatte eine Karte der Region dabei und entfaltete sie gleich auf dem Tisch. Es war eine alte, an den Rändern leicht eingerissene Karte, er glättete sie mit dem flachen Handrücken und legte los, sein Zeigefinger stolzierte die Linien entlang, schauen Sie, das Hinterland der Berge, zweitausend, dreitausend Meter hoch, von dort geht es in sanften Schwüngen bergab, bis zur Hügellandschaft hier vor der Küste, bis zu den steilen Felsen und bis hinab zum Meer. Er hielt die Karte nur noch mit der Linken, mit der Rechten zeichnete er die Konturen der Landschaft, immer wieder setzte er mit den Berghöhen an und malte die Hügelkuppen nach, dann kam er zur Karte zurück und sprach von den Flüssen, die von weither, von den Bergen, hinab zum Meer stürzten, an diesen Bächen und Flüssen hatten sich die ersten Siedlungen gebildet, in frühester Zeit waren die Marken das Land der Picener gewesen.
IPiceni, hörte ich, und plötzlich klang er sehr belehrend, iPicetii, wiederholte er und dozierte ein wenig, der Name der Picener kam anscheinend von picus, der Specht, irgendwann waren die Picener von jenseits der Berge hierher gezogen, er sprach von ihnen, als stammte er in direkter Linie von ihnen ab, dabei handelte es sich wohl um ein mythisches Früh Volk, das vor beinahe dreitausend Jahren seine Spuren hier hinterlassen hatte, ich schloss einen Moment die Augen, ich konnte mir die Spuren gut vorstellen, ich sah moderne, neue Museen mit verglasten Wänden und unterirdischen
Gängen, ich sah kleine, tanzende Kriegerstatuen aus Bronze, mit Schwertern, Schilden und tellergroßen Hüten, ich sah Gefäße, Fibeln und Ketten, ich ging mit dem Padrone jetzt durch dieses Museum, wir verbeugten uns vor dem Mythos der Frühe und ehrten seine Ahnen durch einen Besuch.
Als Gianni, der Kellner, sich mit zwei großen Platten näherte, sprach der Padrone etwas schneller, er wollte seine historische Exkursion rechtzeitig beenden, alle Aufmerksamkeit gehörte nun den Speisen, ecco! rief er, Gianni, der Kellner, servierte, ich sollte mit den gefüllten und frittierten Oliven beginnen, mit den unvergleichlich weichen Oliven dieser Region, nach denen schon die Römer sich so verzehrt hatten, dass sie auf der Via Salaria nach Rom geliefert worden waren, kosten sollte ich aber auch diese Steinpilze in einer Limetten-Creme, Linsen mit dünnen Scheiben von Schweinsfuß, eine Bohnencreme mit Spuren von Anchovis ..., der Padrone schob den ganzen Reigen in meine Nähe, nehmen Sie das gute Brot, kosten Sie, was immer Sie wollen, Gianni, bring unserem Gast ein Glas Prosecco!
Ich kostete und ließ mir die Geheimnisse der Küche genau erklären, jetzt, durch diese Nachfragen, war ich endlich ein Gast, den der Padrone schätzte, ich war dabei, sein Lehrling und Schüler zu werden, die Raffinessen der Küche beschrieb er wie einen respektvollen Umgang mit der heimatlichen Landschaft und ihren Produkten, so wurde ich, indem ich aß, eingeweiht, so offenbarte sich der Klingklang, la terra marchigiana.
Da war es wieder, das schwärmerische, preisende Sprechen, das ich an manchen Italienern so mochte, es war wie eine gute Mischung aus Konkretem, Mythos und Volkslied, zwei begeisterte Männer saßen auf einem sonnenüberfluteten Felsplateau an der adriatischen Küste, tranken Prosecco und unterhielten sich, manchmal albern wie Kinder, darüber, ob man eine Thunfischpaste mit Butter und Zucker oder mit einer Spur Grappa und geriebenen Zwiebeln anreichern sollte.
Gegen Mittag beendeten wir unsere Debatten, ich hatte die ganze Vielfalt der picenischen Küche genossen, ich dankte dem Padrone und folgte ihm ins Haupthaus, um zu bezahlen, an der Rezeption schrieb er mir eine Quittung, als ich an einer seitlichen Wand die naiv gerahmte Kopie eines kleines Gemäldes erblickte. Ich stockte, ich schaute mit offenem Mund hin, die Ähnlichkeit war enorm, die junge Frau auf dem Gemälde glich Franca auf beinahe unheimliche Weise, sie war es, und sie konnte es doch nicht sein, denn anscheinend handelte es sich um ein altes, ja sogar mehrere Jahrhunderte altes Gemälde, das eine Heilige darstellte.
Der Padrone bemerkte, dass ich das Bild anstarrte, er drehte sich zu ihm hin, ja, sagte er, da ist noch diese Sache, denken Sie jetzt gerade auch, was wir gestern Abend alle gedacht haben? Was? fragte ich, was hat wer gestern Abend gedacht?, gestern Abend, sagte er, kam Gianni, unser Kellner, plötzlich zu mir in die Küche und bekreuzigte sich, draußen, sagte Gianni, sitzt die heilige Magdalena, wie auf dem Bild, aber leibhaftig. Ich bin nach draußen geeilt, zu dritt standen wir vor der Tür und schauten zu Ihnen herüber, Sie haben uns nicht bemerkt, Sie waren zu sehr miteinander beschäftigt, ein Paar, das sich liebt, man sieht so etwas ja gleich. Um die Signora aus der Nähe zu betrachten, bin ich eigens an Ihren Tisch gekommen, ich erschrak beinahe, als ich sie sah, die heilige Magdalena, wie auf Crivellis Bild, nur in natura.
Das Bild ist von Crivelli? fragte ich, Crivelli ist der Name des Malers? Ja, antwortete er, Carlo Crivelli, er war Venezianer, verbrachte aber den Großteil seines Lebens hier in den Marken, nach einem Gefängnisaufenthalt floh er aus Venedig, er hatte die Frau eines Schiffers vor den Augen ihres Mannes entführt und sie monatelang gefangen gehalten, er hat ihr Gewalt angetan, Sie verstehen? Ja, sagte ich, wenn ich dieses Bild betrachte, verstehe ich es sofort, was meinen Sie? fragte er nach, ach, sagte ich, ich denke gerade an eine andere Geschichte, es ist nicht von Bedeutung, sagen Sie mir lieber, wo befindet sich das Original? Nicht weit von hier, in einer Dorfkirche, sagte der Padrone, mit dem Wagen brauchen Sie eine halbe Stunde, nur eine halbe Stunde? fragte ich, ja, sagte er, ich sehe, Sie würden gern hin, nehmen Sie doch meinen Wagen, schauen Sie es sich an, ich melde Giacomo, dass Sie kommen. Wer ist Giacomo? fragte ich, Giacomo, sagte er, ist der Custode der Kirche, er hat den Schlüssel, er weiß alles über das Bild, er kennt jedes Detail, fahren Sie! machen Sie keine Geschichten, Sie müssen das Bild sehen, auf dem doch die heilige Magdalena der Signora auf so verblüffende Weise gleicht.
Ich ging mit ihm hinaus, er zeigte mir den Wagen, er erklärte mir die Route und reichte mir die Schlüssel, ich bedankte mich und stieg ein, wenige Minuten später fuhr ich durch die picenische Landschaft, la terra marchiglana, dachte ich, als ich die blaugrünen Hügel mit ihren Weinbergen und Olivenbäumen erkannte, sie waren durchzogen von tiefen Spalten und Schluchten, wie schwere Falten reihten sie sich hinter- und gegeneinander, ich fuhr sie wie kleine Wellen ab, eine Landstraße hinauf, eine Krümmung, wieder bergab, eine weitere Krümmung, wieder hinauf, ich sah die dunklen Äcker mit ihren Traktorenspuren, verfallene Gehöfte auf einigen Hügelkuppen, die Fahrt war ein Tanz, nein, ein leichter Ritt, ich ritt vom Meer aus in kurzen Sprüngen bergauf, es ging noch einmal in die Berge, das kleine Dorf war schon aus der Ferne zu sehen.
Im Ort angekommen, stellte ich den Wagen ab, ich ging durch die Hauptstraße zur Kirche, sie war wie erwartet geschlossen, ich folgte einem Hinweisschild und klingelte nebenan bei dem Custoden. Der Custode zeigte sich erst nach mehrmaligem Klingeln, er war ein älterer, dunkelhaariger Mann, der gleich auf die Mittagszeit verwies, mittags, sagte er, sei die Kirche geschlossen, er mache nur dies eine Mal eine Ausnahme, auf Bitten eines guten, eines sehr guten Freundes. Ohne noch ein weiteres Wort zu sagen, ging er voraus zur Kirche, er öffnete ihre Tür, er schaltete die Beleuchtung einer Seitenkapelle zur Linken ein, dann trat er zurück und stellte sich hinter mich, er will jetzt beobachten, wie Du Dich dem Bild näherst, dachte ich.
Ich nahm das kleine Fernglas aus meinem Rucksack, ich setzte mich in eine Bank und stellte die Schärfe des Glases ein, dann hielt ich es minutenlang still. Es schien ihm zu lange zu dauern, denn plötzlich hörte ich seine Stimme, sie war überlaut und klang sehr gepresst, er sprach seinen Text, er begann mit dem Namen des Malers, seinem Geburtsort, einigen Daten der Vita, dann kamen die Hauptwerke, endlich auch dieses hier, ein Altarbild mit, von links oben nach rechts unten, den heiligen Sowieso Sowieso, gemalt in einer für Crivelli charakteristischen Technik, ich wandte mich zu ihm und unterbrach ihn, ich fragte, ob er mich eine halbe Stunde mit diesem Bild allein lassen könne, ich sei bereit, dafür zu bezahlen. Er schaute mich an, als machte ich ein eher zweifelhaftes oder unsittliches Angebot, er schüttelte den Kopf, ich sagte, ich sei Kunsthistoriker und ein Kenner der italienischen Malerei, er schaute mich noch einmal prüfend an, aufweiche Maler sind Sie spezialisiert? fragte er, auf die venezianischen, antwortete ich.
Ich drehte mich wieder um, ich hörte, dass er wider Erwarten die Kirche verließ, ich verharrte zur Sicherheit noch einige Zeit dort, wo ich mich befand, dann holte ich meine Kamera hervor und begann zu filmen. Ich zoomte mich so nahe wie möglich heran, ich verweilte bei dem zur Seite blickenden Auge, das ganze Bild kreiste um dieses Detail, um ein scharfes, reizbares Auge, das die Umgebung wahrnahm und gleichzeitig wahrgenommen werden wollte, die Lippen waren zu einem leichten Lächeln geöffnet, der Hals und der starke Nacken lagen bloß, über die Nackenpartie und den Rücken hinab bis zum Gesäß aber flammte das blondrote Haar, nur an einer einzigen Stelle von einem Haarband zusammengehalten. Die Verbindung von Auge, Lippen und Haar machte die große Ähnlichkeit aus, von dieser Trias ging etwas Erotisches aus, die Farbe des Auges gab die Farbe der Haare vor, die helle, rötlich getönte Haut aber spannte zwischen Auge und Haar eine glimmende Leere, so etwas wie Erwartung, Verlangen, die geöffneten Lippen lockten, in einer kaum merklichen Vorform des ein verständigen Lächelns.
Regungslos filmte ich ihren Kopf, alle Details, ich fuhr sie, aus einer immer neuen Richtung kommend, ab, um noch näher an das Geheimnis zu gelangen, da hörte ich hinter mir wieder die überlaute und gepresste Stimme, das Filmen ist nicht erlaubt. Ich filme für private Zwecke, sagte ich, das Filmen ist generell nicht erlaubt, sagte er, ich habe Sie gut verstanden, rief ich, Sie sind ja nicht zu überhören. Ich packte die Kamera und das Fernglas wieder ein, kann ich ihnen eine Postkarte abkaufen? fragte ich, nein, sagte er, wir verkaufen keine einzelnen Karten, wie viele müssen es sein? fragte ich, zehn, antwortete er, ich nehme zehn, sagte ich, zehnmal die Heilige Magdalena, zehnmal nur sie.
Er verschwand in der Sakristei, er kam mit den zehn Karten zurück, irgendetwas in mir frohlockte, dass ich jetzt so viele besaß. Ich gab ihm ein Trinkgeld, er schaute nicht einmal nach, wieviel es war, er blickte mich noch immer so an, als fragte er sich, ob er mir eine Spezialisierung auf venezianische Maler wirklich zutrauen sollte. Ich wollte die Kirche verlassen, als er sich zu fragen traute, haben Sie den Vogel gesehen?, auf dem linken Ärmel, meinen Sie den? antwortete ich, ja, sagte er, er trinkt die Strahlen der Sonne, was sagen Sie dazu? Er ist fremd, sagte ich, das Motiv wirkt wie ein Implantat, nicht zufällig handelt es sich um ein Motiv auf dem Stoff eines Ärmels, Sie haben Recht, sagte er, ich halte das Motiv für sarazenisch. Ich nickte, sarazenisch war fabelhaft, genau das richtige Wort für diese Fremdheit, für den blau-weißen, von goldenen Strahlen durchsetzend Stoff, noch am frühen Morgen hatte ich genau diese Farben ge
sehen, sarazenisch, dachte ich, das war es.
Ich hielt mich nicht länger in dem kleinen Ort auf, ich fuhr sofort zurück, im Hotel zeigte ich dem Padrone meine zehn Karten, er lachte und fragte, ob ich ihm eine schenken könne, ich gab ihm eine, er steckte sie gleich fort, als wollte er vermeiden, dass sie ein anderer sah. Er fragte mich, wie ich nun zurückkommen wolle, ich sagte, ich werde einfach wie gestern zu Fuß gehen, er lachte wieder und holte einen Zugfahrplan hervor, ich fahre Sie zur Station, sagte er, der Zug geht aber erst in anderthalb Stunden, dann setze ich mich noch eine Weile nach draußen, sagte ich.
Die Sonne stand nicht mehr über dem Meer, sie war längst weitergewandert und näherte sich bereits langsam den Hügeln des Hinterlandes, sarazenisch, dachte ich immer wieder, aus einem dunklen Grund kam ich von diesem Wort nicht los. Der Padrone kam noch einmal an meinen Tisch, wollen Sie noch etwas essen? fragte er, einen Teller der weichen, gefüllten Oliven, sagte ich, und dazu ein Glas Wein, Sie lernen ja schnell, sagte er.
Ich wartete, bis alles auf meinem Tisch stand, ich steckte mir eine Olive in den Mund, zerkaute sie langsam und trank einen Schluck, dann holte ich mein schwarzes Notizbuch hervor und schrieb: Diese Stille der Nacht, sie nistet noch immer in mir, wir waren beinahe lautlos, eine Lautlosigkeit in einem leeren und weiten Raum, dazu die Finsternis, die Augen gewohnten sich nur langsam an das Dunkel. War es Sex., war es das wirklich, nein, ich glaube nicht, Sex ist etwas anderes und hat mit dem Austarieren zweier Körper zu tun, Sex ist ein Ritual oder ein Spiel, eine Nummernfolge, ein Plan, eine Litanei, Sex vollzieht sich in Wiederholungen und Steigerungen, meist inszeniert sich ein Körper vor den Augen des anderen, bis dann der andere anspringt auf genau diese Rolle, die Einheit spielt beim Sex nur eine kurze und untergeordnete Rolle, obwohl gerade von ihr so geschwärmt wird ... Das Zusammensein mit Franca hatte aber etwas von dieser Einheit, ihr Körper und meiner gehörten zusammen und verharrten nach der ersten Berührung wie unter Choc, als hätten sie endlich, ja endlich, zueinandergefunden ...Es dauert Minuten, bis wir uns voneinander lösen, letztlich versuchen wir, dieses Glück der ersten Berührung zu wiederholen, wir sind süchtig danach, wir entfernen uns kurz voneinander und führen unsere Körper wieder zusammen, ich finde kein deutsches Wort für diese Nähe, »la tendresse« würde ich auf Französisch sagen, ja vielleicht: »la tendresse« ... Was ich dagegen mit Hanna erlebte, war Sex, immer wieder, seine Heftigkeit und seine meist plötzliche Inszenierung war stimmungsabhängig, so kam es vor, dass wir uns nach heftigem Streit in den Sex flüchteten, meist brach er aber von einem Moment zum ändern aus wie ein Fieber, wir kitteten damit unsere nicht zu leugnende innere Fremdheit, gerade wenn diese Fremdheit uns besonders schmerzhaft bewusst wurde, stürzten wir uns aufeinander, komm, lass uns ficken, sagte Hanna, fick mich, bitte fick mich, sie genoss es, »ficken« zu sagen, sie spuckte das Wort beinahe lustvoll aus, mit ihr zu »ficken« war ein scharfes und uns völlig verausgabendes Duell zweier Körper ...

 

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