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in Antwort regrem 17.02.16 17:53, Zuletzt geändert 14.03.16 12:16 (regrem)
ICH SCHLENDERTE durch die Stadt, es war bereits Nachmittag, ich war unruhig und immer noch angespannt, die Aufregung des Mittags wirkte unangenehm nach, es war, als steckte eine Art Kobold in mir oder als fuchtelte eine verkleinerte Gestalt des Dottore Alberti weiter vor mir herum. Ich wollte zurück ins Hotel, verlangsamte aber, ich hätte gern mit jemand Fremdem über das Treffen mit Alberti gesprochen, meine Wut und mein Hass mussten heraus, bevor ich Franca wieder begegnete, ich wollte meine Bitterkeit loswerden, ich wollte wieder bereit sein für die Stunden mit ihr. Ich ging zur großen Piazza zurück und setzte mich irgendwo auf einen Stuhl, ich nahm mein Handy heraus und wählte Rudolfs Nummer, ich wartete, ich zählte die Freizeichen, nach dem sechsten Mal hörte ich seine Stimme, sie klang müde und abwesend, ich sah ihn plötzlich in seiner Münchener Wohnung, er war dem Großstadtnachmittag ausgewichen, er langweilte sich, oder er döste, hier meldet sich ein herumstreunender Tourist, sagte ich, endlich rufst Du an, sagte er, ich wusste, dass Du erst anrufen würdest, wenn es Dir schlechtgeht, geht es Dir schlecht? Ja, sagte ich, es geht mir schlecht, ich habe mich eben duelliert, mit wem? fragte Rudolf, mit meinem Rivalen natürlich, sagte ich, er lebt aber noch, und Du bist verletzt? fragte er, ja, sagte ich, es handelt sich um eine schmerzhafte Streifwunde. Hör jetzt auf damit, rief er, ist wirklich etwas passiert, ist es schlimm?, ja, sagte ich, ich glaube, ich werde mich jetzt betrinken, schade, hörte ich ihn lachen, schade, dass ich nicht bei Dir bin, ich hätte eben doch kommen sollen. Ich hatte keine Lust mehr, mit ihm zu telefonieren, ich hielt das Handy nur noch ungeduldig in meiner Hand, wann fährst Du zurück? wollte er wissen, Dienstagmittag, sagte ich, so spät? fragte er, ja, sagte ich, ich bleibe eben bis zur letzten Sekunde. Bringst Du sie mit? hörte ich ihn fragen, ich gebe keine weiteren Auskünfte mehr, sagte ich. Ich ärgerte mich, dass ich ihn angerufen hatte, für Gespräche, die einem aus einer Not halfen, war er noch nie der richtige Gesprächspartner gewesen, im Grunde war er plump und fahrig, aber als ich bemerkte, dass ich anfing, auch ihn zu beschimpfen, sagte ich mir, hör auf, es hilft alles nichts, es gibt niemanden, der Dir helfen kann, und sich zu betrinken, ist auch kein guter Gedanke, höchstens zu zweit wäre das vielleicht etwas. Ich stand auf, ich machte mich auf den Weg, ich ging langsam zurück zum Hotel, ich stieg leise die Treppe hinauf und öffnete oben vorsichtig die Tür. Sie lag angekleidet auf dem Bett, sie schlief fest, das Fenster stand noch immer offen, ich betrat ruhig den Raum und näherte mich, dann kauerte ich mich vor dem Bett auf den Boden. Ich betrachtete sie genau, es war so einfach, ich brauchte doch nur in ihrer Nähe zu sein, dann war die Unruhe fort und die hässlichen Nebengedanken waren verflogen, sie lag lang ausgestreckt auf der Decke, sie atmete regelmäßig und tief, die Erschöpfung hatte sie niedergestreckt. Am liebsten hätte ich mich neben sie gelegt, ich wollte sie aber nicht wecken, sie hatte, wie ich genau wusste, am Mittag kaum etwas gegessen und vielleicht auch nur wenig getrunken -plötzlich wusste ich, was ich zu tun hatte, ich wollte ihr etwas zu essen und zu trinken besorgen, ich wollte einkaufen für uns beide, ich dachte an einen stillen Abend in diesem Hotelzimmer, vollkommen zurückgezogen, nur zu zweit. Ich wusste nicht, warum dieser Gedanke mir kam, er wirkte jedenfalls plötzlich sehr überzeugend auf mich, ich war völlig sicher, dass sie keine Lust haben würde, noch einmal nach draußen zu gehen und sich unter die Leute zu mischen, auch ich verspürte dazu nicht die geringste Lust, ich suchte die Abgeschiedenheit, ich war mir gewiss, dass sie genauso empfand. Als ich kurze Zeit später mit den Einkäufen wieder zurückkam, war sie wach, sie hatte sich umgezogen, sie stand am Fenster und blätterte in einem Buch. Sie schaute zu, wie ich durchs Zimmer ging und die Sachen auf den kleinen Tisch stellte, sie lächelte, als beobachtete sie etwas amüsiert die Tätigkeiten eines fleißigen Kindes, dann sagte sie leise, Du hast meine Gedanken erraten, ich habe eine ganze Weile geschlafen, jetzt habe ich großen Hunger. Ich weiß, sagte ich und packte die Einkäufe aus, ich hatte Brot, Käse, Oliven und Wein besorgt, ich nahm alles aus seiner Verpackung und drapierte es auf dem Verpackungspapier. Sie blieb weiter am Fenster stehen, sie hörte nicht auf zu lächeln, sie wartete, bis ich fertig war, ecco!, sagte ich und trat einen Schritt zurück, der Tisch sah jetzt aus wie ein naives Gemälde, der Geruch von Käse und frischem Brot erfüllte den ganzen Raum. Ich öffnete die Flasche, ich goss etwas Wein in zwei Gläser, dann ging ich zu ihr und hielt ihr eins hin, salute, sagte ich, ich bin nahe daran, mich zu betrinken. Sie nahm das Glas, wir stießen an, dann sagte sie, war es so schlimm? Ja, sagte ich, es war unangenehm, ich hätte mir das lieber erspart, stell Dir vor, sagte sie, er hat Dich einen cretino genannt, mehrere Male, cretino, cretino, es hörte sich scharf an und klirrend, als werfe er Steine gegen ein Fenster, von wem spricht er nur? dachte ich laufend, er benutzte lauter Worte und Wendungen, die er sonst nie gebraucht. Ich habe mit ihm triff a in bianco und kleine gesüßte Ravioli gegessen, sagte ich, was? sagte sie, ihr habt wirklich zusammen gegessen?, ja, sagte ich, es hatte etwas ungemein Tröstliches, ich dachte, er ist gar nicht »der Rivale«, er ist ein Freund, unglücklicherweise liebt ihr eben nur dieselbe Frau, anfangs saßen wir einander gegenüber wie Geheimbündler, als tauschten wir über Dich Geheimnisse aus, so war es jedenfalls zu Beginn des Gesprächs, da war ich noch in dem guten Glauben, es könnte so vernünftig weitergehen, im Grunde hatten wir uns doch etwas zu erzählen, ja wir hätten in diesem Lokal sitzen können wie zwei Experten, die sich über eine einzigartige, nur ihnen bekannte Materie klug unterhalten. Materie gefällt mir, sagte sie, als Materie fühle ich mich wohl, ich bin sogar ausgesprochen gerne Materie ..., Gianni würde sich aber nie so mit Dir unterhalten, und zwar nicht aus Scheu, sondern weil ihm kaum etwas einfallen würde, was wollte er denn überhaupt von Dir, was wollte er wissen? Er behauptete, er wolle sich einen Eindruck verschaffen, sagte ich, und was meinst Du, fragte sie, welchen Eindruck hat er gewonnen? Ich habe ihm gesagt, antwortete ich, dass es in meinen Augen die große Liebe ist, es war plötzlich ganz still im Raum, sie regte sich nicht mehr, es sah aus, als erstarre sie oder horche dem nach, was ich gesagt hatte, dann ging sie wieder zum Fenster und schaute hinaus, das hast Du wirklich gesagt? hörte ich sie leise fragen, ja, sagte ich, ich weiß, es klingt hilflos, aber ich habe es trotzdem gesagt, keine andere Wendung bezeichnet es eben derart genau. Und? fragte sie weiter, noch immer in diesem leisen und vorsichtigen Ton, wie hat er reagiert? Er hielt es für Poesie, sagte ich, er war an pragmatischen Themen interessiert, an welchen? fragte sie, er wollte ganz detailliert wissen, wie es mit uns weitergeht, sagte ich. Und wie geht es mit uns weiter? fragte sie und drehte sich zu mir um, ich vermute, Du hast es Dir längst überlegt, sagte ich, ja, sagte sie, ich habe mir etwas überlegt. Ich stellte mein Glas auf den Boden und legte mich auf das Bett, sie schaute mir zu und tat dann dasselbe, wir lagen nebeneinander auf dem Rücken und blickten zum offenen Fenster hinaus, es war wieder still, ab und zu trank einer von uns einen kleinen Schluck Wein und setzte das Glas vorsichtig wieder zurück auf den Boden, ich hätte gerne gewusst, was ihr jetzt durch den Kopf ging, aber ich wollte abwarten, bis sie es mir von sich aus sagte. Am Ende hat Dottore Alberti mir sogar gedroht, sagte ich, er sprach von starken Verbündeten, die sich auf seiner Seite befänden, und davon, dass er das alles nicht hinnehmen werde, er hatte vor, mit meinem Vater zu telefonieren, sagte sie, das macht mir die größten Sorgen, ich habe ihn gebeten, meinem Vater nichts von uns zu sagen, er weiß aber, dass mein Vater der wunde Punkt ist, ich musste Gianni also zuvorkommen, es ist unmöglich, dass er Vater unterrichtet, Vater würde das nicht verstehen und mir nie verzeihen, ich musste ihn also selbst informieren, das war nicht leicht, ich habe es am Nachmittag von diesem Zimmer aus aber getan. Was hat Dein Vater gesagt? fragte ich, er war vollkommen ruhig, antwortete sie, er hat mir zugehört und mich gebeten, morgen früh noch einmal anzurufen, er werde sich die Sache durch den Kopf gehen lassen, so ist er nun einmal, er ist sehr zurückhaltend, er hat sich noch nie in meine Angelegenheiten gemischt, er wird es auch diesmal nicht tun, aber er will genau wissen, was in mir vorgeht, er will es bis in die letzten Nuancen begreifen. Es dunkelte, wir schauten weiter beinahe regungslos zum Fenster hinaus, manchmal hörte man ein helles Sirren von Vogelschwärmen, die in tiefem Flug ums Haus schwirrten, langsam wurde draußen auch das Menschen Geraune lauter, vereinzeltes Lachen, hingemurmelte, gedämpfte Gespräche, es klang oft ganz nah, dann verebbte es wieder, es kam mir so vor, als befänden wir uns auf einer Insel, ringsum regte sich eine bedrohliche Welt, vielleicht waren wir nicht nur erschöpft, vielleicht hatten wir uns aus einer dunklen Furcht heraus so zurückgezogen, vielleicht duckten und kauerten wir uns in der Nacht an diesen geheimen Ort. Die große Liebe ..., sagte sie plötzlich, wieder sehr leise, ich hätte so etwas nicht sagen können, ich hätte es nicht über die Lippen gebracht, ich habe noch zu keinem Menschen von Liebe gesprochen, nur in der Kindheit, da hatte ich einmal einen Freund, der von mir verlangte, ich solle Ich liebe Dich sagen, er hatte es bei seinen älteren Geschwistern gehört und hielt die Wendung für einen Schlüssel zur Erwachsenenwelt, weil ich meine Ruhe haben wollte, sagte ich schließlich Ich liebe Dich, aber er beschimpfte mich und nörgelte nur, Du hast es nicht richtig gesagt. Ich hebe Dich, sagte ich, ist etwas anderes als Die große Liebe, ich habe Ich liebe Dich auch nie gesagt, ich war aber auch nie richtig verliebt, es hätte nirgends gepasst, meine Eltern haben sich früh getrennt, ich war das einzige Kind, ich war früh auf mich selbst angewiesen und sehr skeptisch gegenüber sogenannten großen Gefühlen, vor allem aber gegenüber der Liebe, das alles, glaube ich fest, hat mich von Liebe nicht reden lassen, ich war sogar richtiggehend immun gegen Koseworte und jedweden Liebeszauber. Ich habe Hunger, flüsterte sie, wir sprachen sehr leise, als wollten wir nicht auf uns aufmerksam machen, ich stand auf, sammelte die Gläser ein und stellte sie auf den Tisch, sie setzte sich und nahm sich etwas zu essen, ich schaute ihr zu, sie aß sehr langsam, als müsse sie sich an den Geschmack der Speisen erst wieder gewöhnen. Glaubst Du eigentlich, dass Gianni mich liebt? fragte sie, ich weiß es nicht, antwortete ich, er spricht so offiziell und gekränkt, er redet von repräsentativen Wohnungen in Ancona und davon, dass ich von Italien eben rein gar nichts verstehe, vielleicht mangelt es ihm auch einfach an einer bestimmten Form von Phantasie, deshalb zweifle ich daran, dass er Dich liebt. Ich nahm mein Glas und ging ans Fenster, ich wollte sehen, wie weit das Leben draußen so war, es war noch lauter geworden, aber kaum noch etwas zu erkennen, ein milchiger Sternenhimmel krümmte sich über der Stadt, ich war froh, nicht mehr ausgehen zu müssen, ich hatte gar keinen Sinn mehr für das Treiben, und ich spürte, es ging ihr genauso. Ich füllte uns Wein nach und leerte die Flasche, ich stand lange am Fenster und wartete, bis sie gegessen hatte, ich hatte einfach keinen Appetit mehr, sie aber aß weiter langsam und ruhig, ich hörte sie in regelmäßigen Abständen trinken, das Aufsetzen des Glases auf die Tischplatte ergab jedes Mal einen trockenen, dumpfen Ton. Ich versuchte, zusammenzubekommen, was heute geschehen war, ich hatte das Gefühl, als habe sich beinahe ohne mein Zutun sehr viel getan, die Gedanken entglitten mir aber, ich bekam keine Ordnung hinein, keine Folge, nicht einmal einen Anfang, ich trieb durch eine Melange von unerledigten oder stehen gebliebenen Sätzen, bis ich sie aufstehen hörte, noch einmal klopfte das Glas, etwas heftiger als zuvor, gegen die Platte, dann stand sie hinter mir, sie schmiegte sich an mich, sie legte ihre Arme um meinen Hals und drehte mich behutsam zu sich herum, geht es Dir gut? fragte sie, ja, sagte ich, komm, ziehen wir uns aus, sagte sie, wir ziehen uns aus und lassen das Fenster geöffnet, wir hören die Stimmen von draußen, den Wirbel, all diese Musik, und wir lieben uns, wir lieben uns diese Nacht, wir werden nicht mehr aufhören, uns zu lieben, noch wenn die Stimmen fort sind, werden wir es tun. Sie löste sich von mir, sie begann, sich zu entkleiden, ich wartete noch einen Moment, ich horchte, all diese Musik, ja, all dieser Wirbel, das Gemurmel von draußen hatte jetzt einen gleichmäßigen Pegel erreicht, die Vogelschwärme waren längst fort, manchmal nur schien man noch ein vereinzeltes Girren zu hören, ich zog mich aus, ich hörte sie leise flüstern, verstand aber nicht, was sie sagte, sie flüsterte mich anscheinend ins Bett, sie lockte mich, ich legte mich zu ihr, sie fasste nach meinen Händen und hielt sie eine Zeitlang, dann ließ sie mich los und legte den Kopf weit zurück, ihre vollen Haare fielen nach hinten, sie schloss die Augen, ein Flüstern, etwas wie Summen, sie lag weit ausgestreckt auf dem Rücken, als treibe sie auf dem Wasser, sie wartete darauf, dass ihr Körper leicht wurde, ich lag dicht neben ihr, ich fuhr mit der Hand langsam über ihren Bauch, meine Fingerkuppen berührten kaum ihre Haut, ich berührte sie wie ein schwimmendes, leicht verletzliches Wesen, dann beugte ich mich über sie und begann, sie einzuhüllen mit meinen Küssen, es war, als wolle ich sie zudecken, ich berührte sie nur mit den Lippen, langsam ließ ich ihren Körper verschwimmen, sie lag totenstill, ich hörte sie atmen, es klang regelmäßig und leise wie das Atmen eines sehr kleinen Tieres in einem Versteck, dann hörte ich, wie ihr Atem einen Sprung tat, eine Tonart höher hinauf, noch eine weitere, höher, einen Moment setzte er ganz aus, dann, nach dem erneuten Einsetzen, wurde er kräftiger, rascher. |