Reisefieber
Reisefieber 1. Teil
http://www.lawrenceglatz.com/germ2110/reisefieber1.mp3
In einer Wohnung. Im Wohnzimmer läuft der Fernseher, man hört das Gebrüll eines Stadions voller Fußballfans. In der Küche pfeift ein Wasserkessel.
Erich: (aus der Küche) Schatz?
Erika: (im Wohnzimmer) Ja?
Erich: Möchtest du auch einen Tee?
Erika: Ja, gern!
Der Wasserkessel verstummt, Geschirr klappert. Erich kommt ins Wohnzimmer. Er stellt Tassen und Teller auf den Sofatisch. Das Gebrüll der Fußballfans geht inzwischen weiter.
Erich: Hier. Ich habe uns auch ein paar belegte Brote gemacht.
Erika: Aber doch nicht mit Butter?
Erich: Nein, Schatz. Mit Margarine.
Erika: Danke, Schatz. Das ist lieb.
Erich: Schalt' doch
mal um, bitte. Es fängt gleich an.
Erika wechselt mit der Fernbedienung den Kanal. Man hört die Erkennungsmelodie der Show „Reisefieber”.
Moderator: Hallo und herzlich willkommen, liebe Zuschauer! Jetzt heißt es wieder: „Reisefieber”!
Studioapplaus
Moderator: Wie immer schicken wir auch heute eine Familie mit Kindern auf eine spannende, spontane Reise durch Deutschland. Aber erst wiederholen wir noch einmal die Regeln unseres Reise- und Ratespiels. Regel Nummer eins: Sie müssen sofort losfahren, noch heute abend. Nicht lange packen, sondern einfach los! Und eine Videokamera müssen Sie mitnehmen. Wenn Sie keine haben, leihen oder kaufen Sie sich eine. Sie müssen ihre Rätselreise filmen, damit wir dem Publikum zeigen können, wie Sie die Aufgaben gelöst
haben.
Studioapplaus
Moderator: Regel Nummer zwei: Die Reise dauert genau eine Woche lang und hat acht Stationen. An jeder Station finden Sie einen Hinweis, einen Tip, ein Rätsel. Sie müssen selbst herausfinden, was Ihr nächstes Reiseziel ist. Und wenn Sie alle Rätsel richtig lösen, treffen wir uns in einer Woche bei unserer nächsten Sendung. Und: Sie gewinnen den Hauptpreis!
Studioapplaus
Moderator: So, und jetzt die Postkarten, bitte!
Trommelwirbel. Ein großer Sack mit Postkarten wird ausgeschüttet.
Moderator: Sie sehen, wir haben auch diesmal Tausende von Postkarten bekommen. Wer wird gewinnen? Wer geht heute abend auf Reisen?
Trommelwirbel
Moderator: Unsere Gewinner heißen … Augenblick, die
Schrift hier ist sehr schwer zu lesen: Mö … nein, der Name ist „Mustermann”! Ja, Mustermann mit zwei „n”. Familie Mustermann aus Frankfurt! Frankfurt in der Musterstraße 5. Herzlichen Glückwunsch, Familie Mustermann!
Fanfare und sehr langer Studioapplaus. Erich und Erika verschlucken sich an ihren belegten Broten, husten und prusten.
Moderator: Bevor wir die erste Aufgabe für die Familie Mustermann verraten, sehen wir uns erst einmal den Film an, den die Gewinner der letzten Woche gemacht haben. Film ab, bitte!
Der Film beginnt. Erich und Erika erholen sich langsam von ihrem Hustenanfall.
Erika: Das …
Erich: Das …
Erika: Das sind doch …
Erich: Das sind
doch wir!
Erika: Schatz? Hast du …
Erich: Ja, Schatz?
Erika: Hast du die Postkarte geschrieben?
Erich: Nein! Warst du das nicht?
Erika: Ich? Nein!
Erich: Moment mal – das muß ein Fehler sein. Ein Irrtum!
Erika: „Familie Mustermann aus Frankfurt, Musterstraße 5”. Nein, Schatz. Das sind wirklich wir!
Erich: Aber – wer hat die Postkarte geschrieben?
Erika: Keine Ahnung! Aber das ist doch auch nicht wichtig. Hauptsache, wir haben gewonnen! Ist das nicht toll?
Erich: Ja! Endlich passiert mal etwas Spannendes! Wir müssen sofort packen! Wo ist meine Reisetasche?
Erika: Im Kleiderschrank im Schlafzimmer. Was soll ich
denn anziehen für die Reise?
Erich: Egal. Irgendwas. Wir können ja unterwegs etwas kaufen. Das Fernsehen bezahlt alles! Los geht's, Schatz, schnell!
Erika: Wenn wir es schaffen!
Erich: Natürlich schaffen wir das!
Musik. Studioapplaus
Moderator: Das waren also die Kandidaten der letzten Woche. Hoffentlich lösen auch die Mustermanns alle Rätsel richtig und sind nächste Woche hier in unserer Live-Sendung! Und hier ist die erste Aufgabe für die Mustermanns – aufgepaßt: Besuchen Sie den höchsten Berg Deutschlands. Essen Sie im Restaurant auf dem Gipfel. Dort bekommen Sie dann die zweite Aufgabe. Verstanden? Ich wiederhole: Besuchen Sie das Restaurant auf dem höchsten Berg Deutschlands. Essen Sie dort – natürlich sind Sie unsere
Gäste, das Fernsehen bezahlt alles. Oben auf dem Berg bekommen Sie die nächste Aufgabe. Sind Sie fertig für die Abreise? Also dann: Achtung – fertig – los!
Fanfare
Erich: Mach den Fernseher aus, Schatz. Wir haben genug gehört. Und wir haben es eilig!
Der Fernseher verstummt.
Erich: Der höchste Berg in Deutschland – was ist denn das für ein Berg?
Erika: Ich weiß: der Mount Everglade!
Erich: Nein! Erstens heißt der Mount Everest, und zweitens ist er irgendwo in Amerika! Darum hat er ja auch einen englischen Namen!
Erika: (erschrocken) Erich!
Erich: (grübelt) Hmmm?
Erika: Erich, Schatz, wir … wir können
nicht fahren.
Erich: Was? Warum nicht? Warum können wir nicht fahren?
Erika: Wir sind doch keine Familie.
Erich: Was meinst du?
Erika: Na, der Moderator hat doch gesagt: „Familie Mustermann”.
Erich: Na und?
Erika: Aber wir haben doch gar keine Kinder!
Erich: Ein schlechter Scherz.
Erika: (weinerlich) Was?
Erich: Na, wer immer die Postkarte geschrieben hat, hat sich einen schlechten Scherz mit uns erlaubt!
Erika: (fängt an zu heulen) Und alles nur wegen dir!
Erich: Was machen wir denn jetzt?
Erika: Na, Kinder natürlich! Oder wenigstens ein Kind!
Erich: (seufzt reumütig) Schatz, das schaffen
wir nicht! Wir müssen doch sofort abreisen!
Erika: (heult lauter) Da siehst du! Ich wollte immer Kinder haben! Und nur wegen dir haben wir keine. Du hast ja immer nur an deine Arbeit gedacht! Und jetzt, wo du pensioniert bist, guckst du den ganzen Tag Fernsehen!
Erich: (tröstend) Aber Schatz, reg' dich doch nicht so auf! Mir fällt bestimmt was ein.
Erich holt eine Bierdose aus dem Kühlschrank, reißt sie auf und nimmt einen riesigen Schluck. Dann atmet er erfrischt durch.
Erich: Genau!
Erika: Was?
Erich: Komm mit!
Übergangsmusik. Dann Akustikwechsel: Erich und Erika draußen, ruhige Wohngegend. Sie klingeln an der Tür des Nachbarhauses. Die
Haustür wird geöffnet.
Herr Schultz: Ja bitte?
Erich: Guten Tag. Bitte entschuldigen Sie die Störung. Wir sind Ihre Nachbarn. Wir wohnen hier neben Ihnen.
Erika: Wir heißen Mustermann. Mit zwei „n”. Das ist mein Mann Erich, und ich bin Erika Mustermann.
Herr Schultz: Guten Abend. Mein Name ist Schultz. Horst Schultz. Mit „tz”.
Erich: Also, Herr Schultz, äh … wie soll ich es sagen …
Herr Schultz: Was ist los?
Erich: Sie sind doch erst letzte Woche hier eingezogen, oder?
Herr Schultz: Ja. Warum?
Erika: Und sie haben eine junge Frau, oder?
Herr Schultz: (argwöhnisch) Ja. Warum?
Erika:
Wie alt sind Sie? 20? 25?
Herr Schultz: (wird ärgerlich) Also, Moment mal. Was soll das eigentlich? Was ist los? Was wollen Sie?
Erich: Wir … wir … wir brauchen Kinder.
Herr Schultz: Was brauchen Sie? Wie bitte?
Erika: Wir möchten Sie einladen. Auf eine Reise.
Erich: Aber Sie müssen „Vati” zu mir sagen. Und Ihre Frau auch.
Erika: Und zu mir „Mutti”, bitte. Wir brauchen Sie!
Erich: Ach ja, noch etwas: Haben Sie eine Videokamera?
Herr Schultz: Marianne! Marianne! Komm doch mal bitte: Hier sind zwei Verrückte!
Erich: Bitte, Herr Schultz, hören Sie uns zu! Nur fünf Minuten! Wir sind
nicht verrückt.
Erika: Wir können alles erklären.
Marianne Schultz: Ja, Horst, was ist denn? Ah, guten Tag! Sie sind doch die Nachbarn von nebenan. Mustermann, stimmt's?
Erich: (erleichtert) Ja. Mit zwei „n”. Ich heiße Erich. Und das ist meine Frau.
Erika: Erika.
Marianne: Nett, daß Sie gekommen sind. Wir kennen noch niemanden hier in der Gegend. Kommen Sie doch herein!
Horst: Sei vorsichtig, Marianne. Die zwei haben nicht alle Tassen im Schrank.
Marianne: Ach, Horsti, sei doch nicht so unhöflich. Bitte entschuldigen Sie. Mein Mann ist Polizist. Er traut niemandem. Das ist eine Berufskrankheit. Bitte kommen Sie doch herein.
Horst: (schwächlich) Aber …
Erich und Erika: (unisono) Danke.
Die Haustür wird geschlossen. Übergangsmusik. Akustikwechsel: im Wohnzimmer der Familie Schultz.
Horst: Das ist ja eine unglaubliche Geschichte!
Erich: Unglaublich, aber wahr! Vielen Dank, daß Sie mitspielen!
Marianne: Ach, aber gern! Wir haben noch gar keine Hochzeitsreise gemacht. Wir sind ganz frisch verheiratet.
Erika: Oh, wie romantisch! Herzlichen Glückwunsch!
Horst: Danke, danke. Zum Glück habe ich sowieso gerade Urlaub. Eigentlich wollten wir erst einmal in Ruhe unser Haus einrichten!
Erika: Am nächsten Sonntag sind Sie wieder zu Hause. Dann kann Erich Ihnen beim Einrichten helfen. Stimmt's, Schatz?
Erich: Was? Ach so, ja natürlich. Gerne.
Marianne:
(sichtlich amüsiert) Tja dann, lassen Sie uns anstoßen!
Wein wird eingegossen. Im weiteren Gespräch stoßen die vier mit Weingläsern an.
Marianne: Prost, Frau Mustermann. Prost, Herr Mustermann!
Erich: Prost, Frau Schultz, also … ich meine, Prost Marianne. Prost, äh … wie war doch gleich dein Name, mein Sohn?
Horst: (immer noch leicht säuerlich) Horst. Prost, Herr Mustermann. Prost, Frau Mustermann!
Erika: Prost! Ach, ist das herrlich! Ich bin so glücklich, Schatz! Endlich haben wir Kinder!
Erich: Aber nur für eine Woche!
Horst: Übrigens … hier ist meine Videokamera. Nagelneu.
Marianne: Und der Akku, Horst?
Horst: Randvoll!
Studioakustik
Erzählerin: Die erste Aufgabe für die Mustermanns ist also: Besuchen Sie den höchsten Berg Deutschlands. Essen Sie im Restaurant auf dem Gipfel. Dort bekommen Sie die nächste Aufgabe. Na dann: viel Glück!
Schlußmusik