Reisefieber
Reisefieber 3. Teil
http://www.lawrenceglatz.com/germ2110/reisefieber3.mp3
Erzählerin: Erich und Erika Mustermann haben bei der Fernsehshow „Reisefieber” eine Reise durch Deutschland gewonnen. Die Reise ist für eine Familie mit Kindern, aber die Mustermanns haben ein kleines Problem: Sie haben keine Kinder. Deshalb haben sie ihre Nachbarn eingeladen, ein junges, frischverheiratetes Paar: Horst und Marianne Schultz. Zusammen müssen sie in einer Woche acht verschiedene Orte in Deutschland besuchen. Und sie müssen selbst herausfinden, welche Orte das sind. Wenn sie in einer Woche alle Rätsel lösen und zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle sind, gewinnen sie den Hauptpreis in der nächsten Sendung von „Reisefieber”. Ihre nächste Aufgabe ist: Besuchen Sie das Geburtshaus des Mannes, der diese Musik komponiert hat. (Musik fadeup,
„Freude, schöner Götterfunken”)
Draußen, Straße
Horst: Wagner!
Erika: Mozart!
Marianne: Bach!
Erich: Schubert!
Horst: Wagner!
Erika: Mozart!
Marianne: Bach!
Erich: Schubert!
Erika: Taxi!
Marianne: Wie bitte?
Erika: Taxi!
Horst: Das ist doch kein Komponist!
Erika: Nein. Aber da kommt ein Taxi!
Erich: Wo?
Erika: Na, da!
Alle zusammen: Taxi!
Kurze Übergangsmusik. Akustikwechsel: im Taxi
Taxifahrer: Guten Tag. Wohin möchten Sie?
Erich: Nach … wo ist Schubert geboren?
Taxifahrer: Franz Schubert, der Komponist?
Erich: Genau der.
Taxifahrer: In Lichtenthal bei Wien, am 31. Januar 1797.
Marianne: Und Bach? Wo ist der geboren?
Taxifahrer: Johann Sebastian Bach. Geboren in Eisenach. Am 21. März 1685.
Horst: Wagner?
Taxifahrer: Richard Wagner, geboren am 22. Mai 1813 in Leipzig.
Horst: Bitte alle mal lächeln für die Kamera!
Erich: Doch nicht jetzt!
Erika: Und Mozart?
Taxifahrer: Wolfgang Amadeus Mozart? Aber sagen Sie mal, wohin wollen Sie denn eigentlich? Das Taxameter läuft!
Erich: Also, wenn ich ganz ehrlich bin …
Marianne: Wir wissen es nicht.
Taxifahrer: Sie wissen nicht, wohin Sie wollen? Warum nehmen Sie denn ein Taxi?
Horst: Ist doch klar! Weil wir es eilig haben!
Erika: Sehr eilig sogar! Sie müssen uns helfen!
Taxifahrer: Also, dann erzählen Sie mal. Langsam, der Reihe nach.
Erich: Wir haben die Reise gewonnen.
Erika: Bei „Reisefieber”.
Taxifahrer: „Reisefieber”? Das ist doch diese komische Fernsehshow!
Horst: Genau.
Erich: Wir sind die Mustermanns.
Erika: Mit zwei „n”.
Erich: Und unsere Aufgabe ist: Besuchen Sie das Haus, in dem dieser Komponist geboren ist.
Taxifahrer: Welcher Komponist?
Marianne: Augenblick … Wo ist die Kassette?
Erika: Hier!
Taxifahrer: Geben Sie mal her. Das haben wir gleich!
Der Taxifahrer steckt die Kassette in den Recorder. Es erklingt „Freude schöner Götterfunken”.
Erich: Das ist Schubert!
Erika: Nein, das ist Mozart!
Horst: Quatsch! Wagner!
Marianne: Nein, Bach! Ganz bestimmt! Bach!
Der Taxifahrer stellt den Recorder ab.
Taxifahrer: Also, der Fall ist klar. Ich weiß, wer das ist.
Erich: Und?
Erika: Sagen Sie schon!
Taxifahrer: Das ist „Freude schöner Götterfunken”, komponiert von Ludwig van Beethoven. Geboren am 17. Dezember 1770.
Horst: Und wo? Wo ist er geboren?
Taxifahrer: In Bonn.
Marianne: Sind Sie sicher?
Taxifahrer: Natürlich bin ich sicher!
Erika:
Sagen Sie, woher wissen Sie das denn eigentlich alles?
Taxifahrer: Was? Woher weiß ich was?
Horst: Na, das mit den Komponisten. Und wo sie alle geboren sind.
Taxifahrer: Das ist ganz einfach. Ich bin eigentlich gar kein Taxifahrer.
Erich: Kein Taxifahrer? Was sind Sie denn?
Taxifahrer: (seufzt schwer) Tja, ich bin selbst Komponist und Kapellmeister. Mein Name ist Rockhausen. Mit „ck”. Aber Sie wissen ja, wie schwer es heutzutage ist, als Künstler Arbeit zu finden. Ich habe sieben Kinder und vier Ex-Frauen. Das kostet eine Menge Geld. Darum muß ich Taxi fahren. Also, wohin wollen Sie?
Horst: Nach Bonn!
Marianne: Und zwar schnell!
Taxifahrer: Bonn? Das wird aber teuer! Das sind 500 Kilometer!
Erich: Egal! Macht nichts. Das Fernsehen bezahlt alles!
Erika: Bitte, geben Sie Gas!
Taxifahrer: O.K., wie Sie wollen!
Das Taxi fährt mit quietschenden Reifen los. Übergangsmusik „Freude schöner Götterfunken”. Nach einer Weile bremst das Taxi, wieder mit quietschenden Reifen.
Taxifahrer: Bitte sehr! Da sind wir! Das Beethoven-Haus in Bonn.
Erika: Danke!
Erich: Na, dann los! Wir haben keine Zeit zu verlieren!
Taxifahrer: Moment mal!
Erich: Ja, was ist denn?
Taxifahrer: Herr Mustermann! Sie haben etwas vergessen!
Erich: Ich? Was denn?
Taxifahrer: Die Rechnung! Das macht
siebenhundertundvierundneunzig Mark und zwanzig Pfennig!
Marianne: Wie bitte?
Taxifahrer: Siebenhundertvierundneunzig Mark und zwanzig Pfennig.
Erich: Aber ich möchte eine Quittung. Hier. (Er bezahlt.) Danke. Der Rest ist für Sie. Das Fernsehen bezahlt alles.
Taxifahrer: Danke! Danke! Einen schönen Tag noch!
Man hört das Taxi abfahren. Übergangsmusik. Innenakustik, im Beethoven-Museum.
Horst: Vorsicht, Kamera!
Marianne: Hier drin darf man nicht filmen. Das ist doch ein Museum!
Horst: (beleidigt) Ich darf ja nie filmen! Ihr seid gemein!
Beethoven: (er spricht sehr laut und sehr voll von sich selbst) Meine Damen und Herren, mein Name ist Ludwig van Beethoven, mit zwei „e” und „v”. Herzlich
willkommen in meinem Haus in Bonn. Hier sehen Sie das Klavier, auf dem ich früher immer gespielt habe. Hier habe ich meine frühen Werke komponiert. Wie Sie ja sicher wissen, bin ich dann mit 22 Jahren als fertiges Genie nach Wien umgezogen, im Jahre …
Jemand klimpert die ersten Töne von „Für Elise” auf dem Klavier.
Beethoven: (laut und ärgerlich) Hallo! Bitte lassen Sie das! Bitte das Piano nicht anfassen! Wo war ich stehengeblieben?
Erich: (flüstert wütend) Horst, Finger weg! Du bist doch kein kleines Kind mehr!
Horst: (flüstert wütend zurück) Herr Mustermann, sprechen Sie nicht in diesem Ton mit mir! Ich bin schließlich Polizist!
Erich: (flüstert) Das ist
mir vollkommen egal, ob du Polizist bist! Jetzt bist du sieben Tage lang mein Sohn, und wenn ich sage: „Finger weg!”, dann nimmst du die Finger weg, verstanden?
Horst: Jawohl, Herr … Vati.
Beethovens Mobiltelefon piepst (Melodie: „Für Elise”), er nimmt ab.
Beethoven: (telefoniert laut) Ludwig van Beethoven … Ah, guten Tag Herr Breitkopf! … Gut, danke. Und Ihnen? Was? Die letzten 100 Takte der neuen Sinfonie? … Also, wissen Sie, ich habe überhaupt keine Inspiration. Burnout, verstehen Sie. Mir fällt überhaupt nichts ein. Absolut nichts. … Herr Breitkopf, ich habe eine Idee! Nennen Sie die Sinfonie doch einfach die „Unvollendete”! Wie bitte? … Ach so, die „Unvollendete” gibt es schon. Von Franz Schubert.
Ich verstehe. … (er seufzt) Na dann … In Ordnung. Ich schicke Ihnen die letzten 100 Takte nächste Woche … nächste Woche, ja. Alles klar, Herr Breitkopf. Auf Wiederhören!
Beethoven beendet das Telefongespräch.
Erika: Schau doch mal, Schatz! Diese süßen Hörner da an der Wand!
Marianne: Herr van Beethoven! Ich wußte gar nicht, daß Sie auch Horn gespielt haben!
Beethoven: (laut) Was? Sprechen Sie lauter!
Marianne: (brüllt ihn an) Ich wußte gar nicht, daß Sie auch Horn gespielt haben!
Beethoven: (laut und indigniert) Das sind keine Hörner, meine Dame. Wie Sie vielleicht wissen, bin ich schon sehr jung krank geworden. Ich habe mein Gehör verloren, was für
einen Komponisten natürlich ziemlich unangenehm ist. Seit dem Jahr 1819 bin ich fast völlig taub. Und diese Hörner, meine Dame, sind meine Hörrohre.
Man hört ein langgezogenes Tuten, wie aus einem Alphorn.
Beethoven: (laut und schrill) Bitte nichts anfassen! Wissen Sie, was diese Objekte wert sind? Sie sind unschätzbar!
Erich: Horst!
Horst: (kleinlaut) Entschuldige, Vati. Bitte verzeihen Sie, Herr van Beethoven.
Beethoven: (halbwegs beruhigt) Wenn Sie mir bitte folgen wollen. Vorsicht, die Tür ist sehr niedrig. In diesem Zimmer wurde ich 1770 geboren. Sie sehen, daß ich als Baby sehr einfach lebte. Mein einziger Luxus war diese Babybadewanne aus Porzellan. Diese Badewanne hat das Beethovenhaus hier in Bonn erst vor
einem Jahr vom Beethoven-Museum in Wien gekauft, für die horrende Summe von einer Million …
Die Babybadewanne fällt mit lautem Gepolter auf den Boden.
Erich: (tobt) Horst!
Horst: Ich hab' gar nichts gemacht! Wirklich, ich schwör's! Ich hab' das Ding nicht angefaßt! Die ist ganz von selbst …
Beethoven: (außer sich vor Wut) Gehen Sie! Raus! Alle vier! Verschwinden Sie aus meinem Haus! Und kommen Sie nicht wieder! Raus!
Akustikwechsel: draußen, Straße. Die vier gehen zu Fuß die Straße entlang. Man hört einen Straßenmusiker auf einer schlecht gestimmten Gitarre spielen. Er spielt eine jämmerliche Version von „Freude schöner Götterfunken”. Die vier kommen näher, die Musik wird lauter.
Marianne:
(den Tränen nahe) Horst! Das ist alles deine Schuld!
Horst: Aber Liebling, ich hab' doch gar nichts gemacht!
Marianne: Ach was! Immer mußt du alles anfassen!
Erich: Den Hauptpreis, den können wir vergessen. Und das schon am zweiten Tag unserer Reise.
Erika: Was machen wir denn jetzt?
Erich: Ja, das war's dann wohl. Wir fahren nach Hause.
Marianne: Unsere Hochzeitsreise! Horst, du hast alles kaputtgemacht!
Horst: Vorsicht, Kamera! Lächelt mal, ihr drei!
Marianne: (wütend) Gib die Kamera her, Horst! Jetzt!
Die vier stehen jetzt unmittelbar vor dem Straßenmusiker.
Erika: Schatz!
Erich: Erika?
Erika: Gib doch dem jungen
Mann eine Mark, damit er Musikunterricht nehmen kann.
Erich: Na gut. Hier ist eine Mark.
Er wirft dem Musiker eine Mark in den Hut. Der Musiker hört auf zu spielen.
Musiker: Herr Mustermann?
Erich: Ja?
Musiker: Herzlichen Glückwunsch! Sie haben die zweite Aufgabe gelöst! Ihre nächste Aufgabe ist: Finden Sie das älteste Auto der Welt.
Erich: (verwirrt) Was?
Musiker: Suchen Sie das älteste Auto der Welt! Das ist alles!
Erika: Moment, warten Sie doch! Was ist das für ein Auto? Hallo? Warten Sie doch!
Marianne: Weg ist er.
Erich: (grübelt) Hm … das älteste …
Horst: …
das älteste Auto der Welt!
Studioakustik
Erzählerin: Das ist also die nächste Aufgabe für die Mustermanns: Finden Sie das älteste Auto der Welt.
Schlußmusik