Reisefieber
Reisefieber 10. Teil
http://www.lawrenceglatz.com/germ2110/reisefieber10.mp3
Erzählerin: Erich und Erika Mustermann haben bei der Fernsehshow „Reisefieber” eine Reise durch Deutschland gewonnen. Die Reise ist für eine Familie mit Kindern, aber die Mustermanns haben ein kleines Problem: Sie haben keine Kinder.
Deshalb haben sie ihre Nachbarn eingeladen, ein junges, frischverheiratetes Paar: Horst und Marianne Schultz. Sie müssen in einer Woche acht verschiedene Orte in Deutschland besuchen. Und sie müssen selbst herausfinden, wie die Reise weitergehen soll.
Wenn sie nach einer Woche alle Rätsel lösen und zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle sind, gewinnen sie den Hauptpreis. Als letzte Aufgabe sollen sie das wichtigste Tor der deutschen Geschichte besuchen. Wenn sie um 20 Uhr am richtigen
Ort sind, sind sie die Stars der nächsten Sendung von „Reisefieber” und gewinnen den Hauptpreis.
Außenakustik, Moderator mit leichtem Mikrofonhall
Moderator: Achtung! Sendung in fünf Sekunden! Vier – drei – zwei – eins …
Es erklingt die Erkennungsmelodie von „Reisefieber”.
Moderator: Einen wunderschönen guten Abend und herzlich willkommen, liebe Zuschauer, liebe Gäste hier am Brandenburger Tor in Berlin und natürlich zu Hause vor den Fernsehgeräten!
Applaus. Der Helikopter nähert sich.
Moderator: Heute heißt es wieder: „Reisefieber”!
Applaus. Der Helikopter landet. Unsere vier Helden steigen aus, der Helikopter verstummt.
Moderator: Ah, da kommen unsere glücklichen Gewinner! Willkommen und herzlichen Glückwunsch! Sie haben es geschafft!
Erika: (außer Atem) Wir sind die Mustermanns. Mit zwei „n”! Und das sind unsere Kinder!
Moderator: Ich weiß, meine Dame, ich weiß. Applaus für die Mustermanns!
Applaus
Horst: Vati!
Erich: Horst!
Marianne: Horsti!
Erika: Schatz!
Erich: Schatz!
Horst: Marianne!
Erich: Mutti!
Horst: Was?
Marianne: Wir haben es …
Erika: Wir haben es geschafft!
Moderator: Die Mustermanns aus Frankfurt am Main!
Erich: Frankfurt … Frankfurt am Main?
Moderator: Ja. Sie wohnen doch in der Musterstraße 5, oder?
Erika: Ja, schon, aber …
Erich: Aber
nicht in Frankfurt am Main.
Moderator: Also, ich verstehe nicht ganz …
Erika: Wir wohnen in Frankfurt an der Oder.
Moderator: Frankfurt an der Oder? Moment mal … Dann … dann sind Sie ja die Falschen! Sie sind die falschen Mustermanns!
Horst: Die falschen Mustermanns? Was soll denn das heißen?
Marianne: Horsti, nicht!
Horst: Nein, Marianne, jetzt reicht's! Dieser Herr Mustermann hat uns eine Woche lang herumkommandiert, und jetzt ist er der Falsche! Ich will jetzt sofort wissen, was hier los ist!
Marianne: Horsti, ich bin schwanger!
Horst: Was? Schwanger?
Marianne: Ja, Horst. Ich bekomme ein Kind.
Horst: (aufbrausend)
Ein Kind? Von wem?
Marianne: Von dir natürlich, du Idiot!
Moderator: Wie bitte? Sie bekommen ein Kind von Ihrem Bruder?
Marianne: Nein, natürlich nicht von meinem Bruder!
Moderator: Ja, von wem denn dann?
Erika: Ich bitte Sie! Das geht Sie doch nichts an!
Moderator: Und ob mich das was angeht! Hier stimmt doch etwas nicht! Sie sind Betrüger! Sie wollen den Hauptgewinn kassieren, obwohl Sie die Falschen sind! Ich rufe die Polizei!
Horst: Ich bin die Polizei! Und ich bin der Vater des Kindes!
Ein paar Leute im Publikum beginnen, zögerlich zu applaudieren. Das Klatschen ebbt aber sofort wieder ab.
Erika:
(schluchzt) Es ist alles aus. Wir müssen die Wahrheit sagen.
Moderator: Allerdings! Sie müssen die Wahrheit sagen! Los, raus mit der Sprache!
Erich: (resigniert) Also, wir haben uns schon die ganze Zeit gewundert, daß wir gewonnen haben.
Erika: Weil wir doch gar nicht mitgemacht haben.
Moderator: Wie bitte? Sie haben gar nicht mitgemacht?
Erich: Nein. Wir haben gar keine Postkarte geschickt.
Erika: Und wir haben auch gar keine Kinder. Weil Erich doch immer nur an seine Arbeit gedacht hat! Und jetzt sind wir zu alt!
Moderator: Sie haben gar keine Kinder? Und wer sind diese zwei jungen Leute?
Horst: Wir sind die Nachbarn.
Ich heiße Horst Schultz. Und das ist meine Frau Marianne Schultz.
Marianne: Mit „tz”.
Erich: Wir … wir haben Horst und Marianne … also … wir haben die beiden ausgeliehen. Für die Reise.
Marianne: Wir sind frisch verheiratet. Und wir dachten, das sollte unsere Hochzeitsreise sein.
Erika: (schluchzt wieder) Und jetzt ist alles aus!
Moderator: Also … unter diesen Umständen … Sie gewinnen natürlich nichts! Das ist ja wohl klar. Sie haben Glück, daß die richtigen Mustermanns nicht hier sind. Das ist ja ein Skandal! Verlassen Sie sofort die Sendung! Verschwinden Sie!
Jemand im Publikum beginnt zu skandieren: „Mus-ter-mann, Mus-ter-mann …” Andere fallen ein, bis das ganze
Publikum dröhnen skandiert: „Mus-ter-mann, Mus-ter-mann, Mus-ter-mann, Mus-ter-mann …”
Moderator: Ich bitte Sie, liebes Publikum! Das geht doch nicht! Das sind doch die falschen Mustermanns!
Das Publikum hört nicht auf.
Moderator: Ja, sollen wir etwa die falschen Mustermanns gewinnen lassen?
Das Publikum johlt und pfeift Zustimmung.
Moderator: Aber das geht doch nicht!
Marianne: Warum eigentlich nicht?
Erika: Genau! Wir haben doch alle Aufgaben richtig gelöst!
Erich: Und die richtigen Mustermanns haben gar nicht gemerkt, daß sie gewonnen haben!
Das Publikum applaudiert.
Moderator: Tja, also, liebe Zuschauer, ich muß sagen, so etwas ist mir in all den Jahren bei „Reisefieber” noch
nie passiert! Aber das Publikum hat ja schließlich immer recht. Also – Frankfurt am Main oder an der Oder, schwanger oder nicht, Bruder oder Schwester – die Mustermanns gewinnen den Hauptpreis! Herzlichen Glückwunsch!
Das Publikum tobt.
Moderator: Aber bevor ich verrate, was die Mustermanns gewonnen haben, wollen wir uns erst einmal den Film ansehen, den sie unterwegs gemacht haben. Herr Mustermann?
Erich: Ja?
Moderator: Haben Sie die Videokasette?
Horst: Moment … hier.
Der Moderator steckt die Kassette in das Abspielgerät.
Moderator: Na dann, Film ab!
Der Film beginnt.
Horst: Marianne! Ein Kind? Wir bekommen ein Kind?
Marianne: Ja, Horsti!
Horst: Ich bin ja so … so … ich … ich … bin ja so …
Erich: (scharf) Horst!
Horst: Ich bin ja so glücklich!
Erika: (gerührt) Schatz?
Erich: Ja, Schatz?
Erika: (noch gerührter) Können wir …
Erich: Ja, Schatz?
Erika: (extrem gerührt) Können wir Marianne und Horst nicht adoptieren?
Erich: Aber die sind doch schon erwachsen!
Horst: Was wollt ihr?
Erika: Wir wollen euch adoptieren.
Horst: Ja, Vati!
Marianne: Ja, Mutti!
Horst: Mutti!
Marianne: Vati!
Horst: Wir bekommen ein Kind!
Erika: Und wir bekommen
zwei Kinder!
Fadeup Video-Zusammenschnitt: Man hört das Ende des Films.
Moderator: Applaus für die Mustermanns!
Applaus
Moderator: Eine interessante Reise hatten Sie, das muß man schon sagen! Sind Sie fertig für den Hauptgewinn?
Die vier unisono: Ja.
Moderator: Sie gewinnen eine Weltreise für vier Personen!
Applaus
Moderator: Aber natürlich gibt es ein paar Regeln. Regel Nummer eins: Sie müssen sofort losfahren, noch heute abend. Nicht lange packen, sondern einfach los! Und eine Videokamera müssen Sie mitnehmen. Wenn Sie keine haben, leihen oder kaufen Sie sich eine. Sie müssen Ihre Reise filmen, damit wir dem Publikum zeigen können, wie Sie die Aufgaben gelöst haben.
Applaus
Moderator: Regel Nummer zwei: Die Reise dauert genau 100 Tage und hat 100 Stationen. An jeder Station finden Sie einen Hinweis, einen Tip, ein Rätsel. Sie müssen selbst herausfinden, was Ihr nächstes Reiseziel ist. Und wenn Sie alle Rätsel richtig lösen, treffen wir uns in 100 Tagen bei unserer nächsten Sendung.
Applaus
Erich: Also, Kinder, wenn ich ehrlich bin …
Erika: Ja, Schatz?
Erich: Mir reicht's mit dem Reisen. Ich hab' genug.
Marianne: Ich auch!
Erika: Und du wolltest den Kindern doch beim Einrichten helfen, Schatz!
Erich: Stimmt.
Horst: Ich will nach Hause, Vati.
Stille
Erich: Darf ich mal?
Moderator: Bitte.
Erich: (Er hat dem Moderator das Mikrofon abgenommen, jetzt hat er den leichten Hall) Liebes Fernsehpublikum, liebe Freunde. Es tut uns schrecklich leid, daß wir die falschen Mustermanns sind. Aber das ist ja nicht unsere Schuld. Wir freuen uns sehr, daß wir gewonnen haben. Aber wir … wir sind müde. Wir haben keine Lust mehr zu reisen. Wir wollen … wir wollen nach Hause.
Moderator: (ruft) Ja, aber die Reise? Was ist denn mit der Weltreise?
Erika: Wir äh … verschenken die Weltreise.
Marianne: Genau! Wir verschenken die Weltreise an …
Horst: Ja an … an wen denn?
Erich: An …
Die vier besprechen flüsternd die Schenkung.
Erika: (flüstert) An Frau Özgür, die Putzfrau im Goethe-Gymnasium?
Marianne: (flüstert) Oder an Klaus Störtebeker?
Erika: (flüstert) Oder an den musikalischen Taxifahrer, Herrn Rockhausen?
Erich: (flüstert) Oder vielleicht an Frau Vulpius, die Freundin von Goethe?
Horst: (flüstert) Oder an König Ludwig von Bayern?
Marianne: (flüstert) Ich hab's!
Moderator: Machen Sie's nicht so spannend! An wen verschenken Sie die Weltreise?
Marianne: Wir verschenken die Weltreise an die Familie Mustermann in Frankfurt am Main!
Frenetischer Applaus unter, fadeunder
Erich: Kommt, Kinder, komm, Erika. Wir gehen nach Hause.
Erika:
Hat … hat jemand ein bißchen Lakritz für mich?
Erich: (in Panik) Schatz?!
Fadeup Applaus, fadeover zu Schlußmusik