Lesen Die geistlichen Briefe
Auch Angehörige haben Angst
In diesem Brief möchte ich dir von meinen Freunden Mavis und Gary erzählen. Du kennst sie und magst dich fragen, wie es ihnen geht. Mavis wird morgen früh operiert. Ich habe heute mit ihr gesprochen, und sie hat keine Angst vor dem Eingriff. Sie weiß, wie es um sie steht, und sie sieht den Tatsachen ins Auge. Nicht nur das - sie kann ihre schwere Krankheit annehmen. Das war schon immer ihre starke Seite.
Gary, ihr Mann, mag nicht darüber reden. Deshalb wollte sie mit mir sprechen. Gary will es nicht hören, wenn sie versucht, offen mit ihm über ihre Krankheit zu reden. Er weigert sich, das Wort „Krebs" in den Mund zu nehmen. Vielleicht sollte er es einfach einmal laut und deutlich aussprechen: „Krebs." In dieser Hinsicht unterscheiden sich Mavis und Gary. Er neigt dazu, alles Unangenehme zu verdrängen; sie sieht der Realität ins Gesicht. Inzwischen weiß ich auch, warum das so ist.
Heute Abend am Telefon erzählte mir Mavis, dass Garys Mutter oft krank gewesen sei, als er noch ein Kind war. Krankheit hatte damals schon etwas Bedrohliches für ihn, und so ist es heute noch. Krankheit macht ihm Angst, deshalb verschließt er seine Augen davor. Er wechselt das Thema, sobald Mavis von der bevorstehenden Operation spricht. Für ihn ist alles viel schlimmer als für sie. Er hat panische Angst.
Manchmal ist unsere Krankheit für die Menschen, die uns nahe stehen und mitleiden, wesentlich schwerer zu ertragen als für uns selbst.
Als mich die Schwestern vor meiner Bypass-Operation in den Operationssaal rollten, sang ich in meinem Bett. Ich glaube nicht, dass meinen Angehörigen zum Singen zumute war. Der Eingriff dauerte insgesamt acht Stunden. Während der ganzen Zeit kümmerten sich Freunde, die ähnliche Erfahrungen hinter sich hatten, um meine Familie. Sie brachten Essen vorbei und erzählten von ihrer eigenen Operation und vom Wunder ihrer Genesung. Meine Operation und die darauf folgenden Tage waren für meine Angehörigen schlimmer als für mich.
Vergiss nie, für andere zu beten. Auch die Menschen, die dich besuchen und für dich sorgen, bedürfen des Gebetes und der Fürsorge. Selbst diejenigen, die körperlich gesund sind, haben ihre Sorgen, Schmerzen und Ängste.
Es ist jetzt neun Uhr abends. Gary wird bald vom Krankenhaus zurückkommen. Ich werde ihn anrufen, ihm zuhören. Ruf mich an, wenn du es möchtest.
Manchmal brauche ich deinen unerwarteten Anruf