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Lesen Die geistlichen Briefe

03.08.18 19:13
Re: Lesen Die geistlichen Briefe
 
regrem патриот
в ответ regrem 03.08.18 18:45, Последний раз изменено 09.08.18 10:35 (regrem)

Herz und Verstand

Du fragst, ob bei mir Herz und Verstand jemals im Wider­streit stehen, sich erhitzen, Funken sprühen. Oh ja. Das tun sie sehr wohl. Ist dies der Fall, versuche ich in Worte zu fassen, was ich angesichts meiner Gedanken empfinde und wie ich über meine Gefühle denke.


In diesem Brief möchte ich gern zwischen Denken und Fühlen eine Brücke schlagen.


„Sie haben Krebs", sagte der Arzt zu mir. Augenblicklich wurde ich von Angstgefühlen überrollt. Ich war bestürzt und verstört, wusste nicht, was ich sagen sollte. Meine Gedanken griffen nicht mehr ineinander, drehten sich im Leerlauf. Gefühle brachen auf, gipfelten im Chaos und malten in meinem Inneren ein Bild wie ein dichtes, zum Leben erwach­tes Wandgemälde. Meine Gedanken verschmolzen zu einem riesigen, verwischten Ölbild, frisch und nass, bei dem die Farben zerflossen und wild durcheinander liefen. Meine geistige Leinwand drehte sich, meine Gedanken verschwammen. Ich griff nach dem rotierenden Bild und hielt es fest. Ich hielt mich selbst fest, schaute mich an: Mein Äußeres war ein Spiegel jenes chaotischen inneren Bildes.


Dann trat jemand zu mir in dieses Chaos hinein, hielt mich fest, flößte mir Ruhe ein. Gemeinsam schauten wir das Krebs-Bildnis an. Wir schwiegen. Es bedurfte keiner Worte. Der wilde Strudel der Farben kam zum Stillstand. Konturen wurden sichtbar. Meine Anspannung ließ nach. Ich spürte Frieden. Das Leben erschien mir wieder lebens­wert.


Als der Arzt sagte: „Sie haben Krebs", wirbelte meine Seele durch­einander wie eine Feder im Sturm. Mein Blick war verzerrt. Ich ließ alles los. Ich befand mich im freien Fall, doch in einer merkwürdigen Hochstimmung. Ich wusste: Ich bin sterblich. Ich fühlte: Ich bin sterb­lich. Doch gleichzeitig wusste und fühlte ich: Ich bin unsterblich. Ich fiel in Gottes Hand. Flüsternd wiederholte ich: „Ich habe Krebs." Es war eine Tatsache, die mich von nun an beschäftigen und mein Denken und Fühlen beeinflussen würde und mit der ich leben musste.


Wenn du Worte zu hören bekommst, die du schon immer gefürchtet hast, dann wünsche ich dir einen freien Fall - freudig, tollkühn und hoffnungsvoll - in Gottes ausgestreckte Hand. Wenn wilde Farben in deinem Inneren bersten, dann mögen sie zu einem Regenbogen werden.


Meine Gedanken sind bei dir, und ich fühle mich dir nahe.

 

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