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Почитаем?

17.02.16 18:32
Re: Почитаем?
 
regrem патриот
в ответ regrem 17.02.16 17:53, Последний раз изменено 22.02.16 13:16 (regrem)
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ICH VERLIESS das Hotel, ich nahm nichts mit, ich wollte ziellos gehen, ohne mich mit irgendetwas zu beschweren, und schauen, wie sich alles wieder ordnete. Der Verkehr floss langsam wieder, an einigen Stellen wurden die Straßen gereinigt, sie trockneten in der schon wieder einsetzenden Schwüle sehr schnell, nur auf den Kieswegen standen noch große Wasserlachen. Ich blieb nirgends stehen, vielleicht wollte ich mich doch beruhigen, irgendeine dumme Empfindung wollte ich jedenfalls loswerden.
Als ich am frühen Abend im Hotel eintraf, wartete Carlo schon auf mich, er war gut gelaunt, das schlimme Wetter war längst vergessen, einige Hotelgäste feierten noch im Speisesaal, dass das Gewitter überstanden war. Wir machten uns sofort auf den Weg, das Pescatore war nur wenige hundert Meter entfernt, es war bereits schwach erleuchtet, die Glastüren waren zur Meerseite hin geöffnet. Wir nahmen Platz, diesmal kamen die Kellner gleich in kleinen Gruppen, sie kannten Carlo natürlich, einige hatten, wie er sagte, sogar einmal bei ihm gearbeitet und waren jetzt abtrünnig geworden, im Pescatore wurden sie besser bezahlt.
Was wollen wir essen? fragte ich, wir essen scorfano, sagte Carlo, scorfano, gedünstet unter einer Lage stark gesalzener, hauchdünn geschnittener Kartoffeln, den passenden Wein bestelle ich, lassen Sie mich einmal machen. Er rief einen Kellner herbei und beriet sich leise mit ihm, ich schaute nach draußen ins Dunkel, das Meer rauschte dort lauter als sonst, als wäre die Gefahr noch nicht ganz gebannt. Carlo erzählte von den Strandlokalen, er hatte sie noch als kleine Getränkebuden in Erinnerung, jetzt waren sie berühmt in der ganzen Region und Anlaufstellen für Fischorgien am Wochenende. Eine Flasche Weißwein wurde gebracht und entkorkt, wir kosteten beide, ich wollte nicht länger warten und fragte ihn schließlich ganz direkt, was er mit mir bereden wolle. Er rückte seinen Stuhl an den Tisch, er beugte
sich etwas vor, dann sagte er, er wolle mit mir über die Dottoressa sprechen. Über die Dottoressa? fragte ich, was gibt es da zu besprechen? Carlo genoss es, gefragt zu werden, ich erkannte es deutlich, er plusterte sich mit seinem Wissen etwas auf, er wollte mir eine Geschichte präsentieren und hatte sich mit mir auch deshalb verabredet, um sie effektvoll zu erzählen.
Während er sprach, lauschte ich weiter auf das Rauschen aus der Dunkelheit, Carlos Stimme und das leise Dröhnen des Meeres überlagerten sich abwechselnd, meist konnte er das Meer übertönen, manchmal aber verstand ich ihn nicht, weil sich das Meer stärker bemerkbar machte, ich musste den Kopf stillhalten, ich durfte ihn nicht nach einer Seite hin neigen.
Carlo begann beinahe feierlich, eh, ich erinnere mich gut, ich kenne Franca seit ihrer Kindheit, von den ersten Jahren an hatte sie etwas Strahlendes, sie fiel auf, keiner konnte sie übersehen, sie war ein besonderes Kind, beinahe makellos schön, so etwas bringt Gott, der Herr, in jeder Generation nur einmal hervor. Ihr Vater war ein Dottore, ein Kinderarzt, um es genau zu sagen, ein ruhiger, liebevoller Mann mit einer starken musikalischen Neigung, kein Konzert hier war ihm gut genug, mindestens Ancona musste es sein oder besser noch Macerata, jedes Jahr fuhr er zu den dortigen Opernaufführungen im Freien, man munkelte sogar, er habe die Callas gekannt, die Callas der Pescatori di perle, me voila seule, nicht wahr?, das brauche ich Ihnen nicht zu erklären ..
Ich schüttelte den Kopf, nein, er brauchte es mir nicht zu erklären, obwohl ich nicht verstand, was er mir sagen wollte, es machte nichts, ich wollte ihn jetzt nicht unterbrechen. Insgeheim hatte ich auch meine Freude daran, wie er sprach, er holte aus wie zu einer langen Erzählung, ich sah Franca beinahe vor mir, in Gestalt eines bunten Kinderbildchens aus ihren frühen Tagen, die langen blonden Haare vor dem wachen, erstaunten Gesicht, und daneben der Vater, ein stolz lächelnder Mann ganz in Schwarz. Hatte Gianni Alberti mir einen Vortrag gehalten, so schlüpfte Carlo in die Rolle des alten Erzählers, die vielen Jahrzehnte mit seinen Gästen waren eine gute Schule gewesen, Carlo beherrschte das Erzählen, schon während des nächtlichen Austernessens war mir das aufgefallen.
Eh, fuhr er fort, das muss ich sagen, der Dottore war ein angenehmer Gesellschafter, ein nobler, belesener Herr, er liebte seine schöne Tochter über die Maßen, leider hat er den Buben, ihren jüngeren Bruder, das spüren lassen. So zog sich der Junge denn auch von ihm zurück und geriet der Mama in die Hände, o Gott, der Mama!, was soll ich sagen, sie war eine kapriziöse Erscheinung, niemand verstand, was dem Dottore an ihr gefiel, nach Meinung der Leute war sie für ihn nicht die Richtige, sie war ein Fehlgriff, nein, sie war ein Alptraum, aber sie haben es bis heute ausgehalten zusammen, dabei wäre eine Frau wie die Callas, eine Frau mit einem ähnlichen Stolz und einer ähnlichen Noblesse, für den Dottore bestimmt besser gewesen.
Nun gut, ich will von Franca erzählen, Franca wurde schöner und schöner, die Burschen der ganzen Stadt waren hinter ihr her, aber sie gab darum nicht viel, sie lebte ihr eigenes Leben, zurückgezogen, nur in Maßen gesellig, so recht durchschaut hat das keiner. Irgendwann jedenfalls geriet sie uns ganz aus den Augen, sie studierte, Kunstgeschichte natürlich, was konnte eine so schöne junge Frau schon sonst studieren, nur Kunstgeschichte kam da in Frage, nur die Geschichte des Schönen. Rom, Padua, wohl auch Venedig, wir hörten, dass sie an den besten Universitäten studierte, zu sehen bekamen wir sie nicht mehr, schließlich hörten wir sogar von dem Gerücht, sie habe geheiratet, nein, noch genauer, ein portugiesischer Adliger habe sie endlich erobert, portugiesisch und adlig, das passte genau, denn es beschrieb, wie weit sie von uns fort war, verschwunden in irgendeinem Olymp.
Wir hatten sie also vergessen, nein, nicht vergessen, wir hatten sie aufgegeben und glaubten sie in sehr fernen Ländern, da tauchte sie wieder auf, unerwartet, und natürlich strafte sie alle Gerüchte Lügen, sie war nicht verheiratet und sie hatte nach dem kunsthistorischen Studium noch ein zweites Studium absolviert, Meeresbiologie, ausgerechnet nun das. In Neapel, am berühmtesten meeresbiologischen Institut des ganzen Landes, hatte sie ihren Doktor gemacht, und nun bewarb sie sich hier, in San Benedetto, um die Leitung des hiesigen Instituts, was soll ich sagen, sie machte das Rennen, wir hatten auch mit nichts anderem gerechnet, eine wie sie konnte man sich auf einem zweiten Platz doch nicht vorstellen, es war einfach unmöglich.
Nur eine Frage, ganz kurz, sagte ich und sprach rasch, um Carlo nicht allzu lange zu unterbrechen, das heißt, man hat ihr gegenüber Dottore Alberti den Vorzug gegeben?
O nein, antwortete Carlo, das doch nicht, Dottore Alberti ist einer der besten Meeresbiologen des ganzen Landes, eine Kapazität. Damals war er zweiter Direktor am Institut von Ancona und wartete darauf, der erste Direktor zu werden, in Ancona aber gab es die Regel, einen Mann aus den eigenen Reihen nicht zum Direktor zu wählen, man drängte, um sich nicht untreu zu werden, darauf, dass er für kurze Zeit woanders hingehen solle, deshalb wechselte er für einige Zeit hierher, nach San Benedetto. Diese Zeit ist wohl bald um, er wird nach Ancona zurückgehen und dort das werden, was er immer werden wollte, erster Direktor und Leiter aller Institute dieser Provinz, Sie verstehen?
Ich nickte, die Geschichte war interessanter, als ich vermutet hatte, immerhin erhielt ich durch sie einige Aufschlüsse über Zusammenhänge, die ich sonst nur mühsam herausgebracht hätte. Bevor Carlo aber weitererzählte, wurde der scorfano serviert, der gebratene Fisch war wirklich unter einer leicht angebräunten Kartoffelkruste aus sehr dünnen Scheiben verborgen, wir machten uns daran, sie zu zerteilen, Carlo hatte bereits die zweite Flasche bestellt, er rückte seinen Stuhl noch etwas näher an den Tisch, er beugte sich weit zu mir vor, jetzt würde er, da war ich sicher, die Pointe auftischen, eine Pointe, auf die er sich freute, etwas Überraschendes, das auch mich vielleicht sprachlos machen würde.
Eh, begann er beinahe hinterhältig langsam, Franca war also Direktorin hier in San Benedetto, und Gianni Alberti war auf dem Sprung, erster Direktor in Ancona zu werden, so standen die Dinge, und diese Konkurrenz hätte böse ausgehen können, beide entschärften jedoch den drohenden Streit und begruben jeglichen Neid dadurch, dass sie sich verlobten.
Ich hörte auf zu essen, ich glaubte an einen Scherz, Sie wollen sagen, sie hat sich mit ihm verlobt, mit Gianni Alberti, ausgerechnet mit ihm? Aber ja, sie hat sich mit ihm verlobt, und sie ist noch immer mit ihm verlobt, wussten Sie das nicht?
Ich legte die Gabel beiseite, ich horchte wieder hinaus auf das Meer, irgendwo hatte ich die Pescatori di perle auch einmal gehört, wo bloß war das gewesen? Ist Ihnen nicht gut, fragte Carlo, nein, antwortete ich, mir ist nicht gut, vielleicht habe ich in den letzten Tagen zu viel Fisch gegessen. Er schüttelte den Kopf, es schien ihm ausgezeichnet zu schmecken, er konnte nicht ahnen, wie seine Erzählung auf mich wirkte.
Carlo, sagte ich nach einer längeren Pause, warum erzählen Sie mir das alles? Er aß weiter, er zerlegte den Fisch in kleine Stücke und belegte sie mit Teilen der Kartoffelkruste, ich konnte nicht hinschauen, so kindlich kam es mir vor. Ich erzähle es Ihnen aus einem ganz einfachen Grund, sagte er und blickte dabei ununterbrochen auf seinen Teller, ich erzähle Ihnen die Geschichte der Dottoressa, um Sie zu warnen. Es ist nur eine Vorsichtsmaßnahme, nichts sonst, ich will nicht, dass Ihnen etwas zustößt. Sie dürfen sich der Dottoressa jedenfalls auf keinen Fall nähern, Sie dürfen nicht einmal den leisesten Verdacht in dieser Hinsicht erregen, sonst bekommen Sie es nicht nur mit Gianni Alberti und seiner Familie zu tun, sondern mit der männlichen Bevölkerung der halben Stadt.
Carlo, sagte ich, warum glauben Sie, dass ich versuchen könnte, mich ihr zu nähern? Eh, sagte er und wendete ein Fischstück in Öl, eh, Sie waren mit ihr allein in den Bergen, im Grunde ist das schon ein Schritt zu weit, Sie mit der Dottoressa allein, mit einer verlobten Frau, so etwas geht nicht, hier in San Benedetto gehört sich so etwas noch immer nicht.
Er sprach jetzt wie ein Lehrer, ganz stur, wie einer, der mir eine Lektion erteilen wollte, er war sich der Wirkung seiner Worte sehr bewusst, vielleicht machte er sich sogar ein Vergnügen daraus, den Sittenwächter zu spielen. Natürlich wusste er nichts Genaues, er hatte nur auf Verdacht hin geplaudert, solche Rituale, sagte ich mir, sind in Italien beliebt, Du kennst so etwas aus anderen Fällen. Wenn Du klein beigibst, dachte ich weiter, verlierst Du seine Achtung, das genau ist jetzt die Minute, in der Du Dich entscheidest, Du wirst nicht um die Sache herumreden, nicht in der Manier, die er Dir hier vorgibt, es geht nicht um die Ehre von San Benedetto oder etwas ähnlich überholt Traditionelles, es geht um etwas viel Elementareres und Einfacheres.
Ich danke Ihnen, Carlo, sagte ich und sah, dass er aufschaute, noch hatte er ein Gesicht, das zu seinem Überlegenheitsgefühl passte, ich danke Ihnen, aber es ist wohl zu spät, Ihre Warnungen können mich nicht mehr erreichen, denn es ist die große Liebe, Carlo, die große Liebe, nur und genau das.
Ich sah, wie er die Augen zusammenkniff, als sähe er in ein blendendes Licht, ich sah, dass er mir erst nicht glauben wollte, dann diesen Gedanken verwarf und plötzlich zu ahnen schien, was uns allen bevorstand.

 

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