Lesen Die geistlichen Briefe
Ich bleibe an deiner Seite
Herbert Brokering
Diese Briefe sind für Sie geschrieben.
Jeder Brief beleuchtet einen Schritt - eine Erfahrung - auf dem Weg der Genesung.
Die folgende Liste der Brieftitel mag hilfreich sein, wenn Sie Texte zu bestimmten
Situationen oder Themen suchen, die Sie gerade beschäftigen. Ganz gleich, ob
Sie einzelne Geschichten herauspicken oder das Buch von A bis Z durchlesen - ich
wünsche mir, dass Sie Worte des Trostes, der Klarheit, der Verheißung und Hoffnung
finden, die Sie daran erinnern, dass Sie auf diesem Weg nicht allein sind.
Inhalt
Ein Wort des Autors |
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Ich möchte, dass es dir gut geht |
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Wieder zu Hause |
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Die Nacht ist schön |
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Heilende Bilder |
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Der Herr ist mein Hirte |
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Eine einmalige Chance |
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Eine Zeit des Weinens |
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Die Tür zum inneren Frieden |
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Das Leben lieben |
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Die Schönheit der Schöpfung |
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Lebendiges Zuhören |
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Zeit der Nähe |
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Wo ist Gott? |
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Willkommen daheim! |
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Ein gesunder Geist |
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Sei gesund! |
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Ein Strauß bunter Luftballons |
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Nimm deinen Schmerz an |
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Das Geschenk des Vergessens |
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Ich hab dich lieb |
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Stelle Fragen |
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Von Heilung umgeben |
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Auch Angehörige haben Angst |
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Leben in Beziehungen |
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Entfernungen überbrücken |
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Wir sind nicht allein |
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Komm mich besuchen! |
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Ich möchte helfen |
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Familienbande |
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Heilen und geheilt werden |
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Alte Hausmittel |
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Der Wille Gottes |
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Gott wacht über uns |
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Lass den Schmerz los |
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Angst und Liebe |
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Nimm die Chance wahr |
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Ein Segen für dich |
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Spielen im Dunkeln |
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Über das Beten |
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Das Geschenk eines Lächelns |
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Im Gebet vereint |
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Herz und Verstand |
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Lachen ist Medizin |
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Was uns stark macht |
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Ruhe und Schlaf |
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Heilung im Wandel der Jahreszeiten |
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Der Duft frisch gebackenen Brotes |
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Was gibt es Neues? |
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Die Kraft der Farben |
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Festhalten und Loslassen |
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Zeit - ein Geschenk Gottes |
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Entdeckerfreude |
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Heilung von innen |
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Die heilende Kraft der Musik |
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Licht und Schatten |
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Behalte deinen Namen lieb |
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Der Segen des Dankens |
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Die Welt in voller Blüte |
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Der Kreislauf der Heilung |
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Pflanze einen Baum der Freude |
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Ein Wort des Autors
Die Entstehung dieser Briefe nahm ihren Lauf, lange bevor ich sie niederschrieb. Es war 1983. Als ich von einer Reise nach Japan und China zurückkehrte, bekam ich plötzlich ernste Herzbeschwerden. Während des 13-stündigen Fluges nach San Francisco war Barbara, die Leiterin unserer Reisegruppe, für mich wie ein Schutzengel. Die ganze Zeit über wich sie nicht von meiner Seite. Ich konnte spüren, wie Gott durch sie über mich wachte. Und ich fragte mich: Woher hatte diese Frau ihr mitfühlendes, herzliches Wesen? Wer waren ihre Eltern? Dieser Flug legte den Grundstein für dieses Buch. Zwölf Jahre später schrieb ich die Briefe an Barbaras Mutter Bonnie.
In San Francisco wurde ich in eine Klinik gebracht, in der ich eine Woche lang zur Untersuchung blieb. Der Krankenhaus-Seelsorger, der mich besuchte, legte seinen Finger auf meine Stirn und sagte: „Herb, konzentrieren Sie sich auf diesen Punkt (er verstärkte sacht den Druck), wenn man Sie in die medizinische Mangel nimmt." Er riet mir, angesichts der bevorstehenden Tortur meinen Blick bewusst auf das Wesentliche - auf meine Mitte - zu richten. Noch heute fühle ich den Druck seines Fingers auf meiner Stirn - dort, wo mich seinerzeit der Finger des Pastors bei meiner Taufe berührte. Diese Berührung erinnerte mich an die Gegenwart Gottes. Es war genau das, was ich brauchte: Ich hatte meinen „Mittelpunkt" gefunden.
Nach den Untersuchungen wurde ich in meiner Heimatstadt am Herzen operiert. In der Zeit vor und nach meiner Operation waren Freunde und Verwandte für mich wie ein Sakrament der Gnade. Der Hausarzt unserer Familie erzählte mir von der Kraft der Enzyme, die durch Freude und Lachen freigesetzt werden. Er beschrieb meine Heilung in Bildern und erklärte mir die einzelnen Schritte meiner Genesung. Er hielt den Schutzengel in mir am Leben. Meine Familie legte weiterhin einen Finger an meine Stirn und erinnerte mich daran, dass meine Heilung zu einem großen Teil hier stattfand - in der Kraft, die Gott mir gegeben hatte, mich eins mit ihm und meinem Körper zu fühlen.
Vor drei Jahren musste ich mich wegen Prostatakrebs einer weiteren Operation unterziehen. Als ich das Wort „Krebs" hörte, suchte ich tief in meinem Inneren (mit dem Finger auf meiner Stirn) nach dem Reservoir der heilenden Kraft Gottes. Ich rief mir Gesundheit, Schönheit, Musik und Liebe in Erinnerung, ich stellte sie mir bildhaft vor. Vor allem die Liebe: Gesichter, Menschen, Orte und Dinge, die ich liebe -und, über allem anderen, einen liebenden Gott.
Eine Welt neuer Zusammenhänge hat sich mir eröffnet. Der Rückflug von Japan, der Finger auf meiner Stirn, die Bestätigung, dass Freude und Lachen Medizin sind, die heilende Kraft der Berührung und des Gebets - all das hat mich gelehrt: Gottes Engel sind real, sie sind mitten unter uns und sie tragen menschliche Züge.
Zwölf Jahre nach meiner Asienreise verbrachten wir unseren Familienurlaub am Nordufer des Lake Superior. Ich erfuhr, dass Barbaras Mutter Bonnie sich derselben Herzoperation hatte unterziehen müssen wie ich und sich nur sehr schwer erholte. Wir hatten uns nur kurz kennen gelernt, als sie einmal in Minneapolis zu Besuch war. Wieder musste ich an jenen Flug nach San Francisco denken und an die Reiseleiterin, die nicht eine Sekunde von meiner Seite gewichen war. Mir fiel wieder ein, wie ich mich damals gefragt hatte: „Wer waren ihre Eltern? Woher hatte sie diese Selbstlosigkeit und Güte?"
Der Oktober ließ die Blätter an den Ufern des Lake Superior in ihren schönsten Farben leuchten. Die Luft war klar und kühl, eine frische Brise wehte, Möwen schrien und spielten mit dem Wind. Alles, was mich umgab, und alles, was in mir war, war so voller Kraft, Stärke und Liebe. Dies wollte ich nicht für mich behalten. Und ich wollte an Bonnie weitergeben, was ihre Tochter für mich getan hatte. Ohne lange zu überlegen, fasste ich den Entschluss, zwölf Tage lang täglich einen Brief an Bonnie zu schicken. Noch am selben Tag begann ich zu schreiben.
Während ich schrieb, tauchten Bilder der Heilung vor meinem geistigen Auge auf, Bilder aus meiner Kindheit. Die Liebe und die Freude, von einer kreativen Familie umgeben zu sein, gaben meinem Schreiben Nahrung. Jeder einzelne Brief war ein Stück Heilung für mich, jeder Text eine Andacht.
Die zwölf Tage waren bald herum. Wochen und Monate vergingen, und ich schrieb immer weiter. Manche Briefe schickte ich ab, andere behielt ich. In Gedanken jedoch waren meine Briefe immer an Bonnie gerichtet - und an alle, die sie einmal lesen würden, so wie Sie es jetzt tun.
Alles in allem wurden es 150 Briefe. Davon erscheint eine Auswahl von sechzig in diesem Buch. Diese Briefe, die damals alle mit „Liebe Bonnie" begannen, tragen heute den Titel „Ich bleib an deiner Seite".
Diese Briefe sind an alle meine Leser gerichtet. Es ist wirklich so, dass ich bei meinen Pilgerfahrten rund um die Welt - und ich reise sehr viel - oft an meine Leser denke. Auch während ich diese Worte schreibe, hier in Minnesota, wo ich seit 35 Jahren zu Hause bin und wo unsere vier Kinder groß geworden sind, bin ich in Gedanken bei Ihnen.
Vielleicht haben Sie dieses Buch von jemandem geschenkt bekommen - von jemandem, der Ihnen nahe steht, der Sie liebt. Die Worte „Ich bleib an deiner Seite" sind sein Versprechen. Vor allem aber sind sie ein Versprechen Gottes - ein Echo der wunderbaren Verheißung im Schlussvers des Matthäus-Evangeliums: „Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende."
Wenn Sie diese geistlichen Briefe der Hoffnung und Heilung lesen, tun Sie es mit einem „Finger an der Stirn", und denken Sie immer an das Versprechen:
ICH BLEIB AN DEINER SEITE.
Ich möchte, dass es dir gut geht
Dies ist mein erster Brief an dich.Weitere werden folgen. Ich habe einen guten Grund, dir zu schreiben: Ich möchte, dass es dir gut geht und du bald wieder gesund wirst. Gesund werden ist ein persönliches Abenteuer, und ich will dir in allen Briefen, die ich noch schreiben werde, nahe sein. Der erste Brief ist mein Versprechen, in deinem Kranksein und bei deiner Heilung an deiner Seite zu sein, denn das möchte ich gern. Ich habe mir vorgenommen, dir regelmäßig zu schreiben. Auf dem Weg deiner Genesung will ich dir meine besten Gedanken senden und im Gegenzug dafür deine Gedanken aufnehmen.
Im Geist miteinander vereint, werden wir deiner Heilung zuversichtlich entgegensehen. Menschen werden dir mit guten Wünschen und Gedanken zur Seite stehen. So will ich es auch tun.
Ich male mir aus, wie froh du darüber bist, Post zu erhalten, und wie du dich freust, dass ich dir schreibe. Ich stelle mir vor, dass es dir bereits in irgendeiner Form besser geht, während ich schreibe, ja, während du die ersten Zeilen dieses Briefes liest. Ich glaube von ganzem Herzen, dass wir einander durch diese Briefe Frieden schenken können.
Ich strecke mich nach dir aus, um dich zu berühren, dich zu hören, bei dir zu sein. Kannst du meine Gegenwart spüren? Sei offen für die heilende Kraft der Berührung, wenn heute jemand zu dir spricht und dir zuhört. Lass die Menschen dir nahe sein, so wie ich dir nahe bin in diesem Brief. Lass dich von ihnen umarmen, berühren, trösten. Sei offen für ein freundliches Wort, ein Lächeln. Sei offen, wenn sie zu dir kommen, schüchtern und unsicher, um dich mit etwas Besonderem zu beschenken. Erspüre die Menschen, die auf dich zugehen wollen. Empfange sie so, wie du mich empfangen würdest. Heilung ist ein Geben und Nehmen, eine Brücke, ein Kreis.
Ich schreibe diesen Brief von Mensch zu Mensch, von Herz zu Herz. Ich schreibe dir gern. Ich möchte dir meine innersten Gedanken mitteilen. Ich wünsche mir, dass dieser Brief einen Zugang findet zu deinem Denken und Fühlen. Ich möchte teilhaben an dem Wunder deiner Heilung. Dies ist mein größter Wunsch.
Leichter Regen fällt. Der frische Salat zeichnet sich im Garten als frühlingsgrüne Linie ab. Sonne und Regen haben die Saat aufgehen lassen. Die Schattierung dieses Grüns ist zauberhaft. Richte deine Gedanken auf all das, was lebt und wächst.
ICH BLEIB AN DEINER SEITE.
Wieder zu Hause
Es tut gut, wieder zu Hause zu sein, umgeben von den vertrauten Pflanzen und Blumen. Wir verreisen und kehren wieder heim. Das Usambaraveilchen wartet. Die Pflanzen warten, bis wir zurückkommen; sie warten auf uns, denn sie wollen uns eine Freude machen. Manche warten auf unsere Heimkehr, dann erst blühen sie. Es ist gut, dass du wieder daheim bist und die Blumen sehen kannst.
Bei uns nisten Zaunkönige. Das erste Nest in diesem Frühjahr. Während sie an ihrem Nest arbeiten, singen sie unentwegt. Kannst du sie hören? Sie singen, ob sie Baumaterial suchen oder auf Beutefang sind. Ihr ganzes Leben ist ein Konzert. Sie singen, singen, singen. Das Singen gehört für sie zum Kreislauf der Jahreszeiten.
Heute möchte ich dir zwei Verben senden: Singen. Blühen.
Singen: Zaunkönige brauchen es zum Leben. Blühen: Blumen brauchen es zum Leben. Leben ist etwas Natürliches für Vögel und Blumen. Blühen - innere Schönheit zu entfalten - fällt mir nicht immer leicht. Blumen blühen einfach. Zaunkönige singen einfach.
Wir Menschen haben die Wahl, uns für oder gegen das Leben zu entscheiden. Die Natur lebt einfach. Wir entscheiden, ob wir uns öffnen wollen oder nicht; Pflanzen öffnen ganz selbstverständlich ihre Knospen. Wir entscheiden, ob wir uns äußern wollen oder nicht; Vögel zwitschern munter drauflos. Wenn ich Worte und Gefühle ausdrücke, gleicht das Ergebnis nicht immer einem fröhlichen Gezwitscher. Aber ich habe die Möglichkeit, mich auszudrücken - meine Trauer, meine Wut, meine Freude.
Es gehört zum menschlichen Dasein, dass wir manchmal festgelegt und manchmal frei sind. Vögel und Blumen haben diese Möglichkeit nicht; sie sind gefangen in festen Verhaltensmustern. Wir dagegen brauchen nicht, wie die Rosen und Zaunkönige, wieder und wieder dasselbe zu tun.
Durch Krankheit erleben wir eine innere Veränderung. Manche Verhaltensmuster und Umstände ändern sich. Wir können mit dem Neuen wachsen und zugleich Altes, lieb Gewordenes festhalten. Ich wünsche dir in diesem Brief, dass du heute einen Vogel singen hörst oder sehen kannst, wie sich eine Blüte öffnet.
Vögel müssen singen!
Die Nacht ist schön
Schon als Kind mochte ich die Nacht. Sie war gut zu mir. Die Nacht bedeutete für mich Freude, Ruhe und Erholung; sie war der Inbegriff alles Geheimnisvollen.
Wie sind deine Nächte? Wie empfindest du die Dunkelheit? Ich bin der Meinung, wir sollten uns die Nacht zum Freund machen. Sie will auch dein Freund sein.
Weißt du noch, wie du als Kind draußen spieltest, bis es dunkel wurde -ja, wenn möglich noch länger, bis es stockfinster war? Erinnerst du dich an die Sonnenuntergänge von damals, die reine Schönheit des Abendhimmels, wenn die Rosa- und Blautöne sacht und allmählich von einem stillen, dunklen Horizont verschluckt wurden? Kannst du noch sehen, wie sich der Himmel dunkelviolett verfärbte und in der Ferne ein Licht nach dem anderen aufstrahlte wie glitzernde, tanzende Sternschnuppen? Als Kinder liebten wir die Nacht.
Auch heute noch besitzt die Nacht eine ihr eigene Schönheit und Stille. Die Nacht ist bedeutungsvoll, für unser Denken, unsere Gefühle, unseren Geist. Die Nacht ist majestätisch, geheimnisvoll, einzigartig. In der Nacht sind wir uns selbst näher und denen, die wir lieben. Wir sind Gott näher. Die Nacht ist ein Sabbat, eine Zeit des Ausruhens. Die Nacht ist heilig. Die Nacht ist dazu geschaffen, uns ein Freund zu sein.
Weißt du noch, wie es als Kind war, sich im Kreis der Familie im nächtlichen Haus geborgen zu wissen? Die Nacht ist Sicherheit, Geborgenheit. Ich wünsche dir, dass du dich in dieser Nacht ganz geborgen fühlen magst.
In einem meiner nächsten Briefe möchte ich dir schreiben, wie wir die Nacht nutzen können, wenn Schlaflosigkeit uns quält.
Die alte Eiche vor meinem Fenster wirft im hellen Mondlicht breite Schatten. Am deutlichsten sieht man die Schatten im Winter, wenn der Baum seine Blätter verloren hat. Dann sehe ich, wie stark die Eiche ist, wie fest verwurzelt sie steht und wie ausladend ihre prächtigen Äste sind. Jetzt, im Frühjahr, mit den neuen Blättern, sind die Schattenrisse ihrer Äste noch immer klar und stark, doch zugleich weich und grazil.
ICH WÜNSCHE DIR EINE GUTE NACHT.
Heilende Bilder
Vielen Dank für deinen Brief. Ja, ich weiß, wie schnell Angst und Sorge die Oberhand gewinnen wollen. Und ich wünsche mir, dass du die Medizin der Schönheit entdeckst. Dass du lernst, dir Schönes vorzustellen und es wahrzunehmen, wo es dir begegnet. Innere und äußere Bilder der Schönheit sind heilsam.
Als ich nach meiner Herzoperation vor zwölf Jahren auf dem Weg der Genesung war, ging ich in Gedanken durch unser Tal in Minnesota und suchte nach heilenden Bildern. Als Erstes stellte ich mir eine Schar Wildgänse hoch oben am Septemberhimmel vor. Ihre Stimmen schwollen zu dem typischen, immer lauter werdenden Reisegesang an, ihre Flügel schlugen wie Segel gegen den Wind. Doch die Laute und Bilder waren zu stark für mich. Ich selbst war noch zu schwach. Meine Gedanken und Gefühle konnten nicht mit dem kraftvollen Flug der Wildgänse Schritt halten.
Also suchte ich mir ein ruhigeres Bild. Ich malte mir die Gegenwart eines Menschen aus, den ich sehr schätze und bewundere. Die ganze Person, sozusagen in Nahaufnahme. Beim Gehen konzentrierte ich mich auf das Gesicht dieses Menschen und auf seine wohltuende Gegenwart. Mein Atem wurde gleichmäßiger, tiefer, ruhiger. Ich hatte ein heilendes Bild gefunden. Ich ließ mich von diesem Bild tragen, spürte seinen Trost.
Dann stellte ich mir vor, welche Mut machenden Worte dieser Freund wohl zu mir sagen würde: „Du schaffst es." Ich wiederholte die Worte laut für mich - „Du schaffst es!" - so, wie er sie betonen würde. Der Klang der Worte tat mir gut, beruhigte mich.
Ein heilendes Bild will dich durch das Tal der Schatten tragen, durch das du gehst. Das Bild eines Freundes aus der Ferne vor Augen, in deinem Inneren, kann ein Segen sein. Heilende Bilder kommen oft am leichtesten in der Stille zu uns, wenn wir die Augen geschlossen halten. Versuche es. Vertraue darauf, dass sich das richtige Bild einstellen wird. Erwarte es. Und warte. Dein Bild wird kommen.
Ich möchte dir Mut machen, dich darauf zu freuen, dass du wachsen und gesund werden kannst. In deinem Brief fragst du nach dem Usambaraveilchen. Ich habe ihm einen Fensterplatz gegeben, wo es sich wohl fühlt, wo es die Sonne sehen kann. Das Veilchen hat vier weiße Blüten bekommen.
Finde ein Bild für deine Heilung.
Der Herr ist mein Hirte
Wir sprachen über Bilder, die in unserem Inneren eine heilende Wirkung freisetzen. Wenn wir uns Dinge bildhaft vorstellen, tun wir damit dem ganzen Körper gut. Wie rasch ein positives Bild oder ein treffendes Wort wirken können! In meinem letzten Brief schrieb ich dir, wie mir nach meiner Operation ein Bild geholfen hat, gesund zu werden. Das. Thema „heilende Bilder" scheint mir so wichtig, dass ich heute noch einmal darauf zurückkommen möchte.
Vor einiger Zeit hielt ich eine biblische Andacht über die Worte aus Psalm 23 „mein Becher fließt über" und bat meine Zuhörer, zu beschreiben, welches Bild sie bei ihnen auslösten. Eine Frau sagte: „Bei einem überfließenden Becher sehe ich eine große Schale voll Geduld. Das ist es, was ich sehe: Geduld. So viel Geduld, dass sie über den Rand der Schale fließt." Die Frau neben ihr beugte sich zu ihr hinüber mit den Worten: „Darf ich meine Finger in die Schale tauchen? Ich kann Geduld gut gebrauchen." Damit tauchte sie ihre Hand in die imaginäre Schale ihrer Freundin und schöpfte eine Hand voll Geduld heraus. Während sie das tat, schien sich auf einmal ihr angespannter Gesichtsausdruck zu lösen. Beide Frauen sagten hinterher, die bildliche Vorstellung dieses Bibelverses hätte bei ihnen ein Stück Heilung bewirkt.
Als ich wegen einer Rückenoperation im Krankenhaus war, lag im selben Zimmer ein Mann, der viel von heilenden Bildern sprach. Wir tauschten uns darüber aus, was wir in den Worten „Der Herr ist mein Hirte" sahen. Er war bei der Marine gewesen und sah den Kapitän, der während der Schlacht neben ihm an Deck des Zerstörers stand. Sie hatten sich gut gekannt. Der Kapitän war ein weiser und verantwortungsvoller Mann gewesen, ein guter Hirte. Er hatte meinem Mitpatienten das Leben gerettet - und das Leben der ganzen Besatzung. Dies war sein heilendes Bild für den „Guten Hirten". Ich hatte ein ganz anderes Bild. Bei den Worten „Der Herr ist mein Hirte" musste ich an unsere Nachtschwester denken. Die Schwester, die im Dunkeln meinen Namen sprach und mich fragte, wie es mir ginge. Ich konnte sämtliche Verse des dreiund-zwanzigsten Psalms lesen und sie darin erkennen.
Warum gewinnen diese Psalmworte für viele Menschen gerade in Zeiten der Krankheit an Bedeutung? Die Bibel ist ein Buch der heilenden Bilder.
Zum Schluss noch einige einzelne Worte, die für mich eine heilende Wirkung haben: „Hirte", „Ja!", „Rosen", „Wasserfall", „Decke", „Klee", „Danke!"
ICH DANKE DIR.
Eine einmalige Chance
MANCHMAL VERSTECKE ICH MEINEN SCHMERZ hinter Smalltalk. Ich mache leichte Konversation oder eine witzige Bemerkung, damit niemand merken soll, wie es mir wirklich geht. Ich gebe mich tapfer, um Menschen auf Distanz zu halten. Wenn ich spüre, wie die Tränen in mir hochsteigen wollen, wechsle ich schnell das Thema. All das ist töricht. Denn es hilft uns nicht weiter.
Wenn es uns am schlechtesten geht, ist es höchste Zeit, wahrhaftig zu sein. Dann ist es Zeit, die Maske fallen zu lassen. Ist das nicht die Chance unseres Lebens? Eine solche Gelegenheit kommt vielleicht nie wieder. Krankheit ist eine besondere, eine wichtige Zeit in unserem Leben.
Welche Gedanken bewegen dich in Zeiten des Leids?
Zeiten der Krankheit sind dazu da, um über das zu reden, woran wir glauben, was uns wichtig ist - über Werte, Prinzipien, persönliche Überzeugungen. Zeiten der Krankheit geben uns Gelegenheit, Dinge zu prüfen, schätzen zu lernen, zu festigen, loszulassen, zu glauben.
Zeiten der Krankheit bieten uns die Chance, unsere Beziehungen zu Menschen und zu Gott zu festigen, offen zu sein, eine Wahl zu treffen, zu handeln, zu entscheiden.
All das mündet in die Frage, die für mich die allerwichtigste ist: „Wer bin ich?" Dies ist die Zeit, über Hoffnung, Gesundheit, das Leben, die Liebe, die Seele, Erlösung und Zukunft zu sprechen und sie sich auszumalen. All dies sind heilende Bilder. Und jedes einzelne davon ist ein Teil meiner selbst. Wenn ich krank bin, habe ich Zeit und einen Grund, über diese Seiten meines Wesens nachzudenken - um zu erkunden, wie sie aussehen, wie sie zusammenwirken und sich ergänzen.
In dieser Zeit ist es von großer Bedeutung, was du sagst und hörst. Diese Zeit der Krankheit kann das Beste in dir hervorbringen.
ICH WÜNSCHE DIR OFFENHEIT.
Eine Zeit des Weinens
SEIT UNSEREM LETZTEN GEDANKENAUSTAUSCH Steht für mich fest: Manchmal muss man einfach weinen dürfen. Manchmal müssen wir uns eingestehen und auch aussprechen: „Ich habe Angst. Ich bin traurig. Ich möchte weinen. Lass mich weinen. Weinen ist ein Teil meiner Geschichte."
Wie fühlst du dich, wenn wohlmeinende Leute sagen: „Weine nicht!" oder „Du brauchst keine Angst zu haben!" oder „Es sieht gar nicht so schlecht aus!" oder „Es könnte schlimmer sein!"?
Ich bekomme „Weine nicht!" zu hören, wenn Weinen das Einzige auf der Welt ist, was ich in dem Moment brauche. Man sagt mir: „Hab keine Angst!", wenn die Angst jede Faser meines Körpers aufzufressen droht.
Wenn wir ehrlich sind, weinen und unsere Ängste zulassen, dann öffnen wir damit ein Fenster zu unserem wahren Erleben, zu unserer wahren Geschichte. Diese Fenster helfen uns - und den Menschen, denen wir etwas bedeuten - diese wahre Geschichte zu entdecken und zu verstehen.
Wie bleibt man mit seinem wahren Selbst in Verbindung? Ich kann dir schildern, was mir persönlich dabei hilft. Wenn ich die Worte „Du brauchst dich nicht schlecht zu fühlen!" höre, sage ich: „Aber ich fühle mich schlecht! Jawohl, schlecht." Wenn ich „Weine nicht!" höre, entgegne ich: „Mir ist aber zum Weinen zumute. Ich weine, weil ich es brauche. Lass mich bitte weinen."
Wenn deine ehrlichen Tränen von einem „Weine nicht!" unterbrochen werden, dann weine umso mehr. Es gibt eine Zeit des Weinens. Wenn diese Zeit für mich gekommen ist, gebe ich keine Erklärungen ab, keine Entschuldigungen.
In Therapiezentren gibt es extra Räume zum Schreien und Weinen. Auch unser Körper ist ein solcher Raum.
Und es gibt eine Zeit, um mit dem Weinen aufzuhören. Eine Zeit, wenn alle Tränen versiegen. Eine Zeit, in der das Weinen keinen Platz mehr hat. Dein Kopf und dein Herz werden wissen, wann diese Zeit gekommen ist.
Die Bibel berichtet uns, dass Jesus weinte, als er vom Tod seines geliebten Freundes hörte. Niemand sagte ihm, er solle nicht mehr weinen. Jesus weinte, und er hörte auch wieder damit auf. Bei beidem wusste er, wann die Zeit dafür war.
ICH WÜNSCHE MIR FÜR DICH, DASS DU ES AUCH WEISST.
Die Tür zum inneren Frieden
Wie kommt es, dass ich all diese Briefe schreibe? Wie werden Fremde zu Freunden? Vor diesem Briefwechsel kannten wir uns kaum. Wir lernten uns an einem Sommertag kennen und sprachen nur wenige Minuten miteinander.
Dann kam deine Operation und die Zeit deiner Genesung. Ich hörte, dass dein Geist schwach und verzagt war; ich wollte helfen, ihm neue Flügel zu verleihen. Ich wusste, dass dein Körper Schmerzen litt; ich wollte deinen Schmerz mittragen. Diese Briefe haben meinen eigenen Geist beflügelt und meinen eigenen Schmerz gelindert. Ich hoffe, sie haben dasselbe auch in dir bewirkt.
Dein Geist liegt mir am Herzen. Wenn der Geist heilt, tritt eine innere Veränderung ein. Das Wort „Geist" steht für Hauch, Atem, Wind, Leben. Dein Geist wird heil werden. Wenn der Körper heilt, tritt eine äußere Veränderung ein. Das Wort „Körper" steht für Haus, Bauwerk, Gestalt. Dein Haus wird heil werden.
In der alten Geschichte im 1. Buch Mose wurden Adam und Eva zwei Söhne geschenkt: Kain und Abel. In dem Namen Abel steckt die Bedeutung „Hauch", „Geist"; Kain bedeutet „Besitz", „Haus und Habe". Diese beiden Kinder sollten in Frieden und Einklang miteinander leben. Das Haus, das Äußere, sollte Frieden haben mit dem Geist, dem Inneren. Aber es kam ganz anders. Wir wissen, wie die Geschichte ausging.
Bei deiner Heilung schließen Geist und Körper miteinander Frieden. Der Schöpfer hat uns dazu bestimmt, dass wir unser Leben mit Zeiten der Erholung, in Ausgewogenheit und Frieden verbringen. Meine Briefe sind der Versuch, eine Tür zu diesem inneren Frieden aufzuschließen. Dabei ist das Schreiben an sich nur der halbe Brief. Dein Lesen, deine Reaktion ist die andere Hälfte. Gemeinsam öffnen wir die Tür zu einem heilenden Frieden.
Draußen weht ein starker Wind. Alle Bäume biegen sich im Sturm. Die Weide berührt mit ihren Ästen die Erde, als tanze sie. Das Leben in den Ästen, das „innere" Leben, steht im Einklang mit der kräftigen, faserigen Rinde außen. Die Trauerweide singt im Wind - eine Melodie des Friedens.
Friede sei mit Dir.
Das Leben lieben
"Ich will leben." Das sagtest du mir am Telefon. Ich konnte, dich hören. Du willst leben.
Ich möchte, dass du weißt, wie glücklich es mich gemacht hat. Ich freue mich, dass du dein Leben liebst. Ich freue mich, dass du leben willst. Unser Leben ist viel umfassender, als wir meinen. Wir leben in Menschen, deren Namen wir längst vergessen haben. Wir leben in den Geschichten, die man von uns erzählt, in Fotos vergangener Tage und in den Gedanken der Kinder, die einst unsere Spielgefährten waren.
Ja, ich freue mich, dass du leben willst. Und ich danke Gott, dass er uns das Leben geschenkt hat. Jedes Leben ist einzigartig. Wir kennen Zeiten und Orte, die niemand außer uns erlebt und gesehen hat, Bilder, die uns allein gehören, intensive Gefühle, die nur wir gefühlt haben. Du trägst ein ganzes Leben in dir, es war dein Leben in all den Monaten und Jahren, in guten und schlechten Zeiten. Das Leben, das uns gegeben ist, wird niemals enden. Wenn wir sterben, ist damit nicht alles aus. Das ist ein Versprechen Gottes. Wie dankbar bin ich für deine Liebe zum Leben.
Ich möchte dich aus deinem Leben erzählen hören - von deinem Glaubensweg, deinen glücklichsten Zeiten, deinen schwersten Entscheidungen; von Wundern, die du erlebt hast, von deinen besten Freunden, deinen Vorfahren. Ich möchte alles erfahren, was dazu gehört, Anekdoten, Krisen, Lieblingsblumen, Träume. Ich möchte deine Empfindungen für das Leben teilen; fühlen, was du dir wünschst, was dir lieb und teuer ist. Ich möchte mehr über dein Leben hören - Dinge, über die du bisher nicht sprechen mochtest. Erzähl mir mehr aus deinem Leben.
„Ich will leben." Wir haben ein Recht, das Leben zu wollen, zu erwarten, zu lieben. Schließlich gab Gott uns diesen Durst, diese Sehnsucht nach dem Leben. Wir sollten täglich so leben, als bestünde es aus diesem einzigen Tag. Unser Leben ist eine Kette einzelner Tage, einzelner Stunden. Gott verspricht uns, dass wir leben und das Leben in Fülle haben werden. Diese Verheißung gilt für dich und mich, für alle Menschen. Dein Wunsch zu leben erfüllt diese Verheißung für mich mit neuer Gewissheit.
Danke für die wunderbaren Worte „Ich will leben". Ich wünsche mir, dass alle Menschen dies aus ganzem Herzen sagen könnten.
Behalte das Leben lieb.
Die Schönheit der Schöpfung
GESTERN SAH ICH ETWAS SEHR ZARTES, Schönes, das ich normalerweise wohl übersehen hätte: eine einzelne Blume am Wegesrand. Ich nahm das Bild ihrer Blüte in mich auf.
Ich hatte mich aufgemacht, um kleine, unscheinbare Dinge zu entdecken - solche, die mir entgehen, wenn ich nicht bewusst nach ihnen Ausschau halte. Eine Welt der winzigen Wunder erschloss sich mir. Ich wünschte, du hättest dabei sein können. In diesem Brief befinden wir uns gemeinsam auf jenem Streifzug.
Es war ein ruhiger, wundervoller Spaziergang. Als ich aufbrach, sagte ich mir: „Herb, geh los und halte die Augen offen! Öffne dein Herz für die Schönheit der Schöpfung. Halte Ausschau nach etwas Kleinem und Schönem. Freue dich daran. Präge dir das Bild ein. Erzähle jemandem davon." Meinen Fotoapparat ließ ich zu Hause, um das Schauen zu üben.
Und ich schaute. Ich möchte dir davon erzählen, was ich sah. Da war eine einzelne Blüte. Sie sprach zu mir, sprach mich an: „Hallo! Hallo!", und ich fühlte mich herzlich gegrüßt. Ich war verzaubert von einer winzigen weißen Blüte. Sie brachte Licht in meinen Tag, schöner als ein ganzer Blumenstrauß, und doch war sie nur eine von vielen Entdeckungen und Überraschungen.
Ich ging weiter und beugte mich dabei immer wieder hinunter zu winzigen Werken zarter Schönheit. Jedes einzelne wartete in seiner ganzen Pracht auf mich und sagte: „Ich grüße dich. Hier bin ich – für dich." Schönheit verschwindet oft im Getriebe des Alltags. Doch kann sie in ihrer ganzen Pracht sichtbar werden, wenn wir uns Zeit nehmen, sie von nahem zu betrachten.
Bei meinem nächsten Erkundungsgang stellte ich mir eine Aufgabe: Ich wollte vier verschiedene Zeugen der Schönheit entdecken. Und du wirst es kaum glauben, vier waren erst der Anfang! Mein gewohnter Spaziergang war zu einem völlig neuen, aufregenden Erlebnis geworden. Mein ganzer Tag erstrahlte in einem neuen Licht.
Ich wünsche mir für dich, dass du dasselbe tun kannst: einfach loszugehen und zu schauen. Lass dich heute von einem winzigen Zeugen der Schönheit grüßen. Lass dich von der Natur überraschen, berühren. Zeige jemandem, was du gesehen hast, oder erzähle davon. Entdecke ein kleines Stück Schönheit, und du wirst sehen, wie es deinen ganzen Tag in leuchtende Farben taucht.
Heute sind diese bekannten Worte Gottes für mich neu geworden: „Dies ist der Tag, den der HERR macht; lasst uns freuen und fröhlich an ihm sein."
Ich hoffe, die Blumen, die ich sah, werden dich fröhlich machen. Die Eiche vor meinem Fenster trägt nun ihr grünes Frühlingskleid.
„Hier bin ich."
Alles, was lebt, kennt diese worte.
Lebendiges Zuhören
Heute möchte ich über zarte, verletzliche Dinge schreiben: das Herz, die Seele, unsere tiefsten Gefühle. (Ich frage mich, warum wir vom Herzen sprechen, wenn wir Gefühle und Gemütsregungen meinen.)
Heute habe ich im Gespräch mit Freunden einfach zugehört, aufmerksam und mit ganzem Herzen. Ich hörte sie über ihre Gefühle reden. Ich versuchte nicht, dem Gespräch eine bestimmte Richtung zu geben oder ihre Bekenntnisse als Aufhänger zu benutzen, um von mir selbst zu erzählen. Ich hörte ihrem Herzen zu, und ich hörte auf mein eigenes Herz.
Ich bekam Einblick in ihre Herzen, in das, was sie bewegt. Was sie mir enthüllten, war zart und verletzlich, zerbrechlich, lebendig. Zum ersten Mal hörte ich wirklich intensiv zu; ich ließ das Gesagte ganz nah an mich heran.
Was hörte ich? Ich kann dir nur sagen, dass es eine wunderbare Erfahrung war. Es war einer jener geschenkten Augenblicke, in denen man sich einander öffnet und ganz nahe fühlt. Ich bin froh, dass ich diese Zeit nicht mit meinen eigenen Aufgaben und Terminen ausgefüllt hatte.
Als ich aufmerksam zuhörte, entdeckte ich, warum ich diese Freunde so sehr mag - und warum sie mich mögen. Ich sah in ihre Herzen.
Viele Menschen, die uns begegnen, sind in ihrer Seele sehr empfindsam und verletzlich. Wir sind ein Geschenk für sie, wenn wir zuhören und mitfühlen können. Es ist eine Gabe, sich in die Gefühle anderer hineinversetzen zu können. Wir alle haben eine empfindsame Seite. Es braucht Zeit und Sorgfalt, um diese Seite zum Blühen zu bringen.
Heute habe ich ein Tulpenbeet aus nächster Nähe betrachtet. Je näher ich kam, desto reichhaltiger entfaltete sich die Schönheit der Blumen. Haben alle Tulpen die gleiche Anzahl Blütenblätter? Geben Tulpen Laute von sich? Manchmal halte ich einfach zu viel Abstand.
Ein Freund ist jemand, der dir nahe ist.
Zeit der Nähe
Wann waren wir uns jemals näher? Wann haben wir jemals besser verstanden, was den anderen bewegt, als nun in dieser Zeit der Genesung?
Räumliche Entfernung kann gute Freunde nicht trennen. Nähe entsteht und lebt in unserem Inneren.
Dies ist unsere Zeit der Nähe. In Gedanken sind wir den Menschen nahe, die uns wichtig sind. Denk an die Freunde in der Ferne und stell dir vor, sie seien bei dir - stell dir ihre Worte vor, ihre Hand auf deiner Schulter, ihre Bereitschaft zum Zuhören, ihren Blick. Tauche ein in das Bild eines Menschen, den du vermisst, dessen Nähe du ersehnst und brauchst, den du liebst.
Dies ist die Zeit der Nähe im Gespräch. Fasse die Gefühle der Nähe in leise Worte, in die Worte des Menschen, an den du denkst. Sprich sie mit Bedacht. Forme bewusst jedes Wort mit den Lippen - und Gefühle, welche die Worte in dir wachrufen, werden lebendig. Lausche auf gute Antworten, die deine Freunde, deine Angehörigen, dein(e) Geliebte (r) dir gaben. Höre die Laute der Nähe. Nähe lebt in unseren Gedanken und Herzen.
Dies ist die Zeit der liebevollen Worte. Sprich von Liebe erfüllte Worte zu denen, die dich besuchen. Habe immer ein freundliches Wort für Menschen, die dir helfen. Sprich Gebete für die Menschen, die du liebst. Schreibe jemandem einen liebevollen Brief. Rufe jemanden an, der dir am Herzen liegt, und lass euer Gespräch von Liebe durchdrungen sein. Lass deine Gefühle der Nähe zu und zeige sie, so dass geliebte Menschen darum wissen, dir vertrauen und dir nah bleiben können.
Bleibe auch Gott nah. Ruf dir Worte aus der Bibel in Erinnerung und sprich sie laut aus. Singe oder summe Zeilen von Kirchenliedern, die du gern magst. Halte ein Wort fest, das dir Ruhe schenkt. Ruhe dich aus in Gottes Wort.
Bleibe dir selbst nah. Freue dich an deinen liebsten Erinnerungen. Verweile in Augenblicken, in denen du dich gesund und glücklich fühltest. Sieh dich selbst als vertrauten, geschätzten, liebenden, liebenswerten Menschen. Bleibe dir selbst nah.
Sei den Menschen nah, denen du dein Vertrauen schenktest: dem Lehrer, der in deinem Leben eine besondere Rolle spielte; jemandem, der dich im Gebet trug; einem Freund, der dir das Gefühl gab, zur Familie zu gehören. Sei jemandem nah, der dich in Gottes Nähe führte.
Unter der alten Eiche blühen die Veilchen. dies ist die zeit der nähe.
Dies ist die Zeit der Nähe
Wo ist Gott?
Heute las ich einen Psalm. Wenn ich die Psalmen langsam lese, klingen sie beinahe wie Spirituals. Sie dringen in mein Herz. Und in das Herz Gottes.
Ich habe gehört, dass es dir nicht gut geht. Du bist verzweifelt und entmutigt, deine Genesung geht nur in winzigen Schritten voran. Gott scheint so weit weg.
Vielleicht fragst du dich: „Wo ist Gott? Warum hilft er mir nicht?"
In Zeiten der Not will ich wissen, wo Gott ist, was er für mich empfindet und was er für mich tut. Das ist sehr menschlich. Ich glaube, wir alle reagieren so. In Krisenzeiten fragen wir nach Gott. Was kann ich dir dazu schreiben? In diesem Brief nur so viel: Sage Gott, dass du enttäuscht und mutlos bist. Sage ihm, wie es dir zumute ist. Lass Gott teilhaben an deiner Wut, deiner Angst. Sage ihm, was du denkst und fühlst. Tu es. Danach werden wir weiter darüber sprechen.
Ist es in Ordnung, zornig auf Gott zu sein? Ich war es. Und ich bin es auch heute noch manchmal. Wenn ich nicht die richtigen Worte für meinen Zorn finde, lese ich in der Bibel. Da sind die Psalmen, in denen die Psalmsänger Gott heftig anklagen; sie schreien ihre Verzweiflung heraus, weinen, protestieren. Blättere im Buch der Psalmen und höre die zornigen Worte, nach denen du vielleicht suchst.
Wenn du deiner Wut und Verzweiflung bei Gott Luft gemacht und ihm deine Meinung gesagt hast, bleibe im Gespräch mit ihm. Bleibe in Verbindung mit Gott. Und höre auf deine folgenden Worte. In den Psalmen wirst du feststellen, dass ihre Verfasser, nachdem sie Gott angeklagt und ihren Schmerz herausgeschrien haben, weiter mit Gott sprechen. Nach anfänglichem Aufbegehren und wildem Protest werfen sie sich in Gottes liebende Arme. Nach allem Aufbäumen wenden sie sich Gott wieder vertrauensvoll zu.
So beginnt etwa Psalm 22 mit der Frage: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Ich schreie, aber meine Hilfe ist ferne." Aber er endet mit den Worten: „Ihn allein werden anbeten alle, die in der Erde schlafen; vor ihm werden die Knie beugen alle, die zum Staube hinabfuhren und ihr Leben nicht konnten erhalten. Er wird Nachkommen haben, die ihm dienen; vom Herrn wird man verkündigen Kind und Kindeskind. Sie werden kommen und seine Gerechtigkeit predigen dem Volk, das geboren wird."
Gott, wo bist du in meinem Schmerz? Sage ihm, was du fühlst, wenn du ihm diese Frage stellst. Rede mit Gott. Unsere Worte ändern die Gefühle Gottes für uns und seine Gedanken über uns nicht. Aber wenn wir mit Gott reden, können sich unsere Gefühle für ihn und unsere Gedanken Gott gegenüber ändern. Auch das gehört zum Heilungsprozess. „Wo bist du, Gott?"
ICH WILL NICHT AUFHÖREN, NACH IHM ZU SUCHEN.
Willkommen daheim!
Neulich erhielt ich einen Anruf von Dan. Er erinnerte mich an die Zeit, als seine Kinder noch klein waren - drei Mädchen. Als ich einmal unerwartet zu Besuch kam, lagen die Schuhe der Mädchen im ganzen Flur verstreut herum. Dan war die Unordnung etwas peinlich. Ich sagte: „Wenn ihre Schuhe da sind, weißt du wenigstens, dass sie zu Hause sind." Noch heute, nach achtzehn Jahren, erinnert sich Dan an diesen Satz.
Du bist zu Hause.
Nach all den Tagen ist es kaum zu glauben, dass du wieder daheim bist. Unser Zuhause ist eine Zuflucht. Such dir eine gemütliche Ecke, einen Platz am Fenster, einen bequemen Stuhl, einen Ort der Heilung. Sei gut zu dir. Mach es dir behaglich und fühl dich zu Hause.
Sieh dich in aller Ruhe um. Sieh, wie sehr du für dich sorgen musst: Du brauchst ein Zuhause, eine Schlafstätte, Essen, Freunde, Beistand. Lass etwas in deinem Zimmer für dich zum Zeichen der Hoffnung werden. Sieh in jeder Blume einen ganzen Strauß. Sieh in einer Grußkarte einen lieben Besucher. Freu dich über frisches Wasser, über ein weiches Kissen. Lass einen Gegenstand in deinem Zimmer zum Symbol für Gottes Liebe und seine Verheißung werden.
Vielleicht habe ich dir schon einmal von Julie erzählt. Als sie schwer krank war und im Streckverband lag, konzentrierte sie sich auf zwei Risse in der Zimmerdecke. Sie hatten die Form eines Kreuzes. Dies wurde für sie zum geistlichen Symbol, zum Zeichen für Gottes Liebe. Es erinnerte sie an seine Nähe und gab ihr Kraft. Sie fühlte sich geborgen - zu Hause.
Vielleicht suchst du schon heute in deinem Zimmer nach einem Zeichen für Gottes Liebe. Ich werde dasselbe tun. Wir werden uns in Gott geborgen fühlen. Wir wissen, dass Jesus uns versprochen hat: „Ich bin bei euch alle Tage." Lass uns etwas finden, das uns an jene Verheißung erinnert, damit wir nicht vergessen: Wir sind zu Hause. In dieser Verheißung liegt heilende Kraft.
Weißt du, wann immer ich eine Eiche sehe, fühle ich mich zu Hause. Die Bäume sind einander so ähnlich; sie erinnern mich an die Eiche draußen vor meinem Fenster - meine Eiche.
Willkommen daheim.
Ein gesunder Geist
MEINE EICHE HAT EINEN ABGESTORBENEN AST. Ich werde jemanden fragen, was ich da tun kann. Jemanden, der sich mit Bäumen auskennt.
Vor vielen Jahren spielte ich mit Freunden am Atlantik am Strand. Plötzlich spürte ich einen Schmerz in meinem linken Bein. Zuerst dachte ich, es hätte mich jemand mit dem Ball getroffen. Aber es war eine Thrombose. Der Arzt riet mir, mein Bein zwei Monate lang hochzulegen. Ich schummelte. Ich hätte das Bein wickeln und regelmäßig bewegen sollen. Ich schummelte. Mir fehlte einfach die Zeit dafür. Ich beschloss, es so zu machen, wie ich dachte. Das Bein würde schon heilen. Heute, vierzig Jahre später, trage ich noch immer Kompressionsstrümpfe - der Preis für meine Nachlässigkeit.
Manchmal handeln wir töricht, weil wir merken, dass die Dinge aus dem Ruder laufen. Verzweifelt versuchen wir, sie wieder in den Griff zu bekommen - selbst wenn wir uns oder anderen damit schaden.
Es gibt körperliche Symptome und Gebrechen, die sich nicht ändern lassen. Es gibt Zeiten, da ist es das Beste, sich mit den Umständen zu versöhnen. Wir haben die Wahl, ob wir unsere Situation annehmen oder den Schmerz noch schlimmer machen und die Heilung verzögern, weil wir gegen die Realität ankämpfen.
Ich weiß, wovon ich rede. Meine Krebsoperation brachte viele Veränderungen mit sich. Ich leide unter Nebenwirkungen, mit denen ich nicht gerechnet hatte. Die ich nicht gewollt hatte und auf die ich nicht vorbereitet war. Über Nacht wurde ich inkontinent. Ich konnte die Situation nicht ändern, hatte keinerlei Einfluss darauf. Ich lernte, meine Inkontinenz zu akzeptieren und mich damit zu versöhnen. Heute bin ich offen für neue Methoden und Chancen der Heilung.
Es gibt jedoch einen Bereich, in dem wir großen Einfluss haben: den geistlichen. Unserem geistlichen Wachstum sind keine physischen Grenzen gesetzt. Während körperliche Kräfte schwinden, kann geistliche Energie erneuert werden, können Hoffnung und Glaube an die Zukunft wachsen.
Strebe sowohl nach körperlicher als auch nach geistlicher Gesundheit. Haben wir eine körperliche Funktion verloren, kann unser Geist uns helfen, diesen Verlust anzunehmen und darüber Frieden zu finden.
Trotz ihres abgestorbenen Astes tanzt die Eiche ruhig und gemessenen Schrittes im Wind. Auch die Weide tanzt ihren Walzer nach derselben Melodie des Windes.
Wenn wir uns das nächste Mal treffen, dann lass uns tanzen.
Sei gesund!
Au! Das tut weh." Die Worte sind dir gut bekannt. Wünschst du dir auch, du könntest den Schmerz sehen? Möchtest du dir nicht manchmal bildlich vorstellen, wie dein Körper gesund wird? Ich schon. Ich brauche Bilder von dem, was mit mir geschieht.
Ich sah ein solches Bild, in aller Klarheit, nach meiner Wirbelsäulenoperation. Damals wusste ich, ich würde den Schmerz aushaken, wenn ich das Problem visualisieren könnte. Ich war überzeugt, ich würde schneller gesund werden, wenn ich „sehen" könnte, wie der betroffene Bereich heilt. Also bat ich Harley, meinen Hausarzt, mir ein Bild dieses Vorgangs zu zeichnen. Er griff zu Papier und Bleistift. Unmittelbar danach konnte ich sehen, worauf ich einen Einfluss hatte, und was außerhalb meiner Kontrolle lag. Ich „sah" den Schmerz.
Ich studierte diese Zeichnung wie ein Architekt seine Pläne. Ich entdeckte Zusammenhänge, Ursachen, Auswirkungen, Möglichkeiten. Ich sah, wie alles in meinem Körper zusammenwirkte, damit ich gesund wurde. Ich begann, vor meinem geistigen Auge heilende Bilder ablaufen zu lassen wie einen Film, wieder und wieder. Die Bilder erschienen in Farbe.
Ich sah den Schmerz, und ich sah darüber hinaus. Denn jenseits des Schmerzes lag der Weg der Heilung. Die Reihenfolge war wichtig.
Die visuelle Darstellung des Schmerzes kam zuerst, dann das Bild der Genesung. Bitte jemanden, dir beim Visualisieren des Schmerzes zu helfen. Mache dir ein klares Bild von der heilenden Körperstelle, denn dies ist der Punkt, auf den sich dein inneres Auge besonders konzentrieren wird. Als Nächstes heißt es „Film ab" für deine heilenden Bilder. Lass den Film in deinem Inneren ablaufen wie eine private Vorführung. Sei mehr als bloß Zuschauer - sei Regisseur, sei Schauspieler. Mach den Film zu einem Teil von dir, so dass du ihn verstehen, fühlen, genießen kannst.
Glaube an die Bilder deiner Genesung. Als Jesus sagte: „Sei gesund!" (Matthäus 8,3), glaubten ihm die Leute; sie sahen sich selbst als Genesene. Mit dem Glauben kam die Heilung.
Übrigens, manchmal schreibe ich kleine Gedankensplitter auf wie diesen: „Fühlst du dich von Schnee umgeben, dann leg dich auf den Rücken, freu dich am Himmel und zeichne mit Armen und Beinen einen Engel in den Schnee." Wie findest du das?
Die Eiche wächst weiter; und dennoch sieht sie noch ziemlich genauso aus wie vor dreißig Jahren.
Sei gesund.
Ein Strauß bunter Luftballons
MANCHMAL, WENN ES MIR NICHT GUT GEHT, wünsche ich mir einen Luftballon - oder auch zwei oder drei. Ich binde sie an meinem Bett fest. Ein bunter Ballon, der in die Luft steigt, verändert einen ganzen Raum.
Als ich mutlos und deprimiert in meinem Krankenhausbett lag, brachte mir jemand ein Dutzend rote Luftballons mit, einen Luftballon-Strauß. Der Strauß schwebte über mir in der Luft. Schwestern, Ärzte und Besucher schauten auf, wenn sie mein Zimmer betraten. Ihr Gemüt erhellte sich, ihr Ton untereinander - und mir gegenüber - wurde freundlicher. Die schwebenden Ballons hatten eine erhebende Wirkung auf uns alle.
Am Abend war nur noch einer übrig. Ich hatte jedem Besucher einen Ballon aus dem Strauß geschenkt. In jener Nacht schwebte in elf Häusern ein roter Ballon. Und einer über meinem Bett. Es war ein bisschen wie ein jüdischer Sabbat. Die Ballons waren wie die Kerzen, wenn der Tag zur Neige geht. Überall in der Stadt erhellten sie die Häuser und vereinten sie zu einer großen Familie. Und ich glaube, jeder rote Ballon, der in einem Zimmer hochstieg, erhellte die Stimmung in jenem Raum.
Hier ist ein roter Luftballon für dich. Nimm ihn mit in dein Zimmer. Lass ihn über dir in die Höhe steigen. Schau hinauf. Tippe ihn mit den Fingern an. Lass ihn die Nacht über bei dir bleiben. Begrüße ihn am nächsten Morgen. Und gib ihm die Freiheit zurück: Verschenke ihn weiter.
Ich hoffe, dieser Ballon wird deine Seele erheben und dich fröhlich machen und dich an die Worte aus Psalm 121 erinnern: „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe? Meine Hilfe kommt vom HERRN, der Himmel und Erde gemacht hat."
Der Ballon schwebt auf und nieder. Er erinnert mich an die Zeile aus einem bekannten Spiritual: „Sometimes Fm up, sometimes I'm down. Oh yes, Lord." Ja, Herr, ich habe meine Höhen und Tiefen.
Viel Spaß mit dem Ballon.
Lass dich von ihm in die Höhe tragen.
Nimm deinen Schmerz an
In der Eiche entdeckte ich ein nagelneues Nest. Die Blätter des Baumes sind üppig und dunkelgrün; sie schirmen das Nest gegen die Sonne und den Ostwind ab. Der Pirol singt. Dies ist sein zweites Nest. Am Montag brach ein Sturm einen Ast ab und fegte das erste Nest vom Baum. Der Pirol trauerte nicht lange. Nun ist die Luft erfüllt von seinem Gesang. Du kennst den Klang seines Liedes.
Du schreibst, dass du manchmal Schmerzen verspürst, von denen du glaubtest, sie seien vorüber. Du sagtest: „Der Schmerz war wieder da, und ich konnte ihn annehmen." Genau das hörte ich dich sagen. Du hast dem Schmerz ins Gesicht gesehen, ihn begrüßt und ihm die Tür geöffnet. Du versuchtest nicht, ihn auszusperren und ihn zu bekämpfen wie einen Feind. Du nahmst ihn auf, als einen Teil von dir, um ihn zu heilen.
Der Pirol sang, während er sein neues Nest baute. Er sang, obwohl sein Heim zerstört war. Er singt immer noch.
Einmal litt ich unter Schmerzen, die nicht weichen wollten. Es war nach einer Verletzung, und Muskeln und Nerven lieferten sich eine Schlacht. Als die Verletzung verheilt war, gab es keine eigentliche Ursache mehr für die Schmerzen. Doch die Schlacht tobte weiter. Es tat mir weh. Schließlich richtete ich das Wort an den Schmerz. „Du hast keinen Grund mehr, hier zu sein", sagte ich, „die Schlacht ist vorbei, ein letztes Stündlein hat geschlagen." Die Muskeln und Nerven fühlten sich offensichtlich ertappt. Sie begruben das Kriegsbeil. Meine Schmerzen wichen.
So stellte ich mir das Szenario der heilenden Körperteile vor. Und es hat mir geholfen.
Du hast deinen Schmerz begrüßt. Du beschriebst mir, wie er sich anfühlt. Du gabst ihm einen Namen, er wurde greifbar für dich. Du nahmst ihn auf, um ihn heil zu machen. Ich bin froh, dass du deinen Schmerz auf diese Weise annehmen kannst.
Atme bewusst durch den Schmerz hindurch, nicht außen herum oder darüber hinweg. Atme mittendurch. Lass den Schmerz wissen, dass du da bist. Und dann gebiete ihm zu heilen. Dein Glaube und die Kraft Gottes sind größer als der Schmerz.
Der Pirol hat ein neues Zuhause. Er singt in den Zweigen der Eiche.
Es gibt ein Gefühl, das stärker ist als der Schmerz.
Das Geschenk des Vergessens
Danke Gott für das Geschenk des Vergessens. Später wirst du dich an deine Krankheit weniger deutlich erinnern als an deine Heilung. Vieles, was dir jetzt widerstrebt, was du nicht ertragen kannst, wird verblassen. Das Gute ist langlebiger. Deine positiven Gedanken werden über die negativen siegen. Deine Erinnerung wird erfüllt sein von Gedanken der Heilung und der Freude.
Vielleicht hast du Ähnliches erlebt: Jemand, den ich seit Jahren nicht gesehen habe, kommt auf mich zu und sagt: „Herb, wie geht's deinem Rücken?" Meinem Rücken? Ach ja, jene Operation vor fünfundzwanzig Jahren. Ich hatte sie ganz vergessen. Oder es fragt mich jemand: „Was macht dein Herz?" Mein Herz? Ich hatte seit Monaten nicht mehr an meine Herzschwäche gedacht. Diese Operation lag zwölf Jahre zurück.
Habe offene Augen für alles, was um dich herum geschieht. Sieh nicht nur auf deinen Schmerz. Richte deinen Blick auf das Gute - die Freundlichkeit, mit der man dir begegnet, eine teilnahmsvolle Berührung, liebevolle Geschenke, Gebete von Freunden. Nimm all das in dich auf. Das Gute wird Schmerzen und Tränen überdauern.
Sei sensibel für die Wirklichkeit, die dich umgibt, und für alles Echte in dir. Gestehe dir deine Gefühle ein, deine Unsicherheit, deine Einsamkeit, deine Wut. Öffne dich dem Schmerz, damit er nicht im Verborgenen weiterbohrt. Sieh negativen Gefühlen ins Gesicht, und dann lass sie durch dich hindurchziehen und entlasse sie. Fürchte sie nicht. Sie sind schwächer als das Heilende, schwächer als dein Glaube, dein Lachen.
Später werden dich die Leute fragen: „Wie geht es dir?" Sie werden sich an deine Krankheit und dein Leiden erinnern. Du wirst dich an die Freude deiner Genesung erinnern. Das ist der Lauf des Lebens.
Die Krähen lassen sich gerne in der Eiche nieder. Wenn sie singen, dann passen ihre rauen Lieder zu der Urtümlichkeit des Baumes.
Ich denke positive Gedanken über dich.
Ich hab dich lieb
Manchmal tut es weh, wenn Verwandte oder Freunde unser Krankenzimmer verlassen. Sie gehen nach Hause oder verreisen für ein Wochenende oder länger. Wir bleiben allein zurück.
Welches sind die besten Abschiedsworte für dich, wenn die Besuchszeit vorüber ist? Ich weiß noch, was ich sah, sagte und tat, wenn mein Besuch aus dem Zimmer ging. Ich winkte. Ich hob die Hand und hielt sie in der Luft. Ich machte ein Kreuzeszeichen. Ich starrte vor mich hin. Ich schaute weg. Ich lächelte. Ich hielt die Tränen zurück. Ich sagte Worte wie: „Bis bald!", „Mach's gut!", „Kommt bald wieder!", „Danke!", „Ruf mich an!"
Ich vermied gewichtige Worte wie „Lebe wohl!" oder „Gott sei mit dir". Sie schienen mir so unpassend in einem Krankenzimmer, so endgültig.
Ich will dir sagen, welche Abschiedsworte mir am wohlsten taten, als ich krank war. Es waren die Worte: „Ich hab dich lieb." Ich beschloss, dass dies gute Abschiedsworte für mich waren. Gute Worte, wenn man das Beste sagen will, das es zu sagen gibt.
„Ich hab dich lieb." Dieser kleine Satz bleibt in der Luft hängen, klingt nach, lebt in den Gedanken weiter, kehrt in der Nacht zurück, bleibt bis zum Morgen und schenkt neues Leben.
Die Worte bringen Erinnerungen zurück. „Herbert, ich hab dich lieb." Dies war der stärkste Satz meiner Kindheit. Mein Name „Herbert" und die Worte „Ich hab dich lieb" in ein und demselben Satz. Jene Worte, ihr Klang und die Gefühle, die sie auslösten, haben mich nie verlassen.
„Ich hab dich lieb." Dies sind deine Worte, mit denen du das Gespräch beendest, wenn wir am Telefon miteinander sprechen. Schöne Abschiedsworte.
Heute pflanzte ich einen Baum und nannte ihn Phileo, das bedeutet „Freund". Gemeinsam werden wir zusehen, wie der Baum wächst.
Ich hab dich lieb!
Stelle Fragen
Krankheit kann bei unseren nächsten Angehörigen eine gewisse Hilflosigkeit auslösen. Plötzlich müssen sie ungewohnte Dinge tun. Es ist neu für sie, uns zu bedienen, lange Stunden allein zu Hause zu sitzen, sich ihr Essen allein zu kochen, Dinge allein zu organisieren, den Haushalt in Ordnung zu halten. Sie wollen es tun, aber sie schaffen es nicht.
Manchmal wundern wir uns über die Gefühle und das Verhalten der Menschen, die wir am meisten lieben. Sie sind auf einmal aufbrausend, reizbar, gelangweilt oder scheinen uns nicht mehr zu verstehen. Ich weiß es. Ich habe es selbst erlebt.
In diesem Fall ist es besser, einfach Fragen zu stellen, so dass sie ihre Gefühle und Bedenken äußern können. Die Menschen, die dir nahe stehen, sind vielleicht besorgt, enttäuscht, wütend oder gestresst. Sie mögen sich hilflos und überfordert fühlen. Vielleicht denken sie sogar, sie hätten in irgendeiner Form zu deiner Krankheit beigetragen.
Aber wir können fragen - und dann zuhören. Krankheit ist eine besondere Zeit, eine Zeit, in der wir einander besser verstehen lernen. Mach es dir zum Grundsatz, möglichst einfach zu fragen und genau zuzuhören. Ich versuche zu fragen, ohne bereits die Antwort in den Mund zu legen. Solche einfachen Fragen sind zum Beispiel: „Was bedeutet meine Krankheit für dich? Was ist am schwersten für dich? Worauf freust du dich am meisten? Wie geht es dir damit? Wie kann ich dir am besten helfen? Was willst du jetzt tun?"
Eine hilfreiche Frage ist alles, was du brauchst. Erwarte keine große Diskussion. Sei einfach bereit zu hören. Lass die Atmosphäre zwischen euch offen und liebevoll sein.
Wie lernen wir gutes Fragen? Ich stellte einmal einem alten Baum sechs Fragen: „Wie heißt du? Wie geht es dir? Wer besucht dich? Seit wann bist du schon hier? Was war deine schwerste Zeit? Welches ist deine beste Jahreszeit?" Ein wenig abgewandelt und der Situation angepasst, sind all diese Fragen gut geeignet, um ein Gespräch zu beginnen. Lass dir Zeit, um eine gute Frage zu finden - eine, bei deren Formulierung du ein gutes Gefühl hast. Es lohnt sich.
Dieses Jahr werde ich wohl unter der Eiche viele Blätter zusammenrechen müssen. Früher war mir dies eine Last. Heute tue ich es gern.
Wie kann ich dir am besten helfen?
Von Heilung umgeben
Ich weiß, dass Gott in deinem Leben eine große Rolle spielt. Du sprichst von einem Gott, der in alle Richtungen weist - in die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Gestern hast du von Liedern aus dem Kindergottesdienst erzählt, von Gesprächen mit deinem Nachbarn, von einem Pfarrer und von einem Buch über Engel. Du sagtest: „Gott umgibt mich von allen Seiten."
Damit erinnerst du mich an die Stunden, in denen ich in der Grundschule mit einem Zirkel Kreise zeichnete, um sie dann mit Halbkreisen und Blütenblättern auszufüllen. Welche Harmonie der Formen in diesem großen Kreis, der bis an die Ränder meines Schreibheftes reichte.
„Gott umgibt mich von allen Seiten." Deine Worte inspirierten mich zu einem Gebet. Du hast mir geholfen, es zu schreiben. Es handelt von dem großen Kreis Gottes, der alles Leben umspannt, und es gleicht einem irischen Segensgebet, das wir beide kennen.
Mein Gott,
sei vor mir, um mir den Weg zu zeigen,
sei unter mir, um mich hochzuheben,
sei für mich, um mich stark zu machen,
sei bei mir, um mich zu stützen,
sei hinter mir, um alles Erlebte zu segnen,
sei über mir, um mich zu dir zu ziehen,
sei in mir, um mich froh zu machen,
umgib mich von allen Seiten, um mich an Leib und Seele zu heilen.
Das Gebet enthält eine Menge Präpositionen. In der Grundschule mochte ich die Präpositionen, und ich mag sie heute noch. Sie handeln von Beziehungen - vor, unter, bei, über, in. Als Kinder lernten wir solche Wörter - „für, bei, neben, vor, um... herum" - spielerisch. Später lernten wir sie zu schreiben, zu buchstabieren und in Sätze einzubinden.
Heilung hat ebenfalls mit Präpositionen zu tun, mit Beziehungen. Alle Präpositionen zusammen bilden einen vollständigen Kreis. Du hast gesagt: „Gott umgibt mich von allen Seiten." Dies will auch das Gedicht dir sagen.
Freu dich am leben innerhalb jenes großen Kreises.
Auch Angehörige haben Angst
In diesem Brief möchte ich dir von meinen Freunden Mavis und Gary erzählen. Du kennst sie und magst dich fragen, wie es ihnen geht. Mavis wird morgen früh operiert. Ich habe heute mit ihr gesprochen, und sie hat keine Angst vor dem Eingriff. Sie weiß, wie es um sie steht, und sie sieht den Tatsachen ins Auge. Nicht nur das - sie kann ihre schwere Krankheit annehmen. Das war schon immer ihre starke Seite.
Gary, ihr Mann, mag nicht darüber reden. Deshalb wollte sie mit mir sprechen. Gary will es nicht hören, wenn sie versucht, offen mit ihm über ihre Krankheit zu reden. Er weigert sich, das Wort „Krebs" in den Mund zu nehmen. Vielleicht sollte er es einfach einmal laut und deutlich aussprechen: „Krebs." In dieser Hinsicht unterscheiden sich Mavis und Gary. Er neigt dazu, alles Unangenehme zu verdrängen; sie sieht der Realität ins Gesicht. Inzwischen weiß ich auch, warum das so ist.
Heute Abend am Telefon erzählte mir Mavis, dass Garys Mutter oft krank gewesen sei, als er noch ein Kind war. Krankheit hatte damals schon etwas Bedrohliches für ihn, und so ist es heute noch. Krankheit macht ihm Angst, deshalb verschließt er seine Augen davor. Er wechselt das Thema, sobald Mavis von der bevorstehenden Operation spricht. Für ihn ist alles viel schlimmer als für sie. Er hat panische Angst.
Manchmal ist unsere Krankheit für die Menschen, die uns nahe stehen und mitleiden, wesentlich schwerer zu ertragen als für uns selbst.
Als mich die Schwestern vor meiner Bypass-Operation in den Operationssaal rollten, sang ich in meinem Bett. Ich glaube nicht, dass meinen Angehörigen zum Singen zumute war. Der Eingriff dauerte insgesamt acht Stunden. Während der ganzen Zeit kümmerten sich Freunde, die ähnliche Erfahrungen hinter sich hatten, um meine Familie. Sie brachten Essen vorbei und erzählten von ihrer eigenen Operation und vom Wunder ihrer Genesung. Meine Operation und die darauf folgenden Tage waren für meine Angehörigen schlimmer als für mich.
Vergiss nie, für andere zu beten. Auch die Menschen, die dich besuchen und für dich sorgen, bedürfen des Gebetes und der Fürsorge. Selbst diejenigen, die körperlich gesund sind, haben ihre Sorgen, Schmerzen und Ängste.
Es ist jetzt neun Uhr abends. Gary wird bald vom Krankenhaus zurückkommen. Ich werde ihn anrufen, ihm zuhören. Ruf mich an, wenn du es möchtest.
Manchmal brauche ich deinen unerwarteten Anruf
Leben in Beziehungen
Du wolltest nie für andere eine Last sein. Du wolltest nicht, dass sie denken, du schaffst es nicht mehr allein. Du wolltest dir immer deine Selbständigkeit bewahren.
Warum denken wir, wir fallen unseren Mitmenschen zur Last, wenn sie für uns sorgen? Warum fühlen wir uns schuldig, wenn unser Leben plötzlich Forderungen an andere stellt? Warum haben wir den Anspruch, wir müssten es allein schaffen?
Leben besteht aus Beziehungen. Es ist ein Netzwerk, bei dem die Fäden wie bei einem komplizierten Stoffmuster ineinander greifen.
Erinnerst du dich noch an den See, den wir letzten Sommer besuchten? Weißt du noch, wie klar und sauber das Wasser war - ein gesunder, vielfältiger Lebensraum? Weißt du noch, wie wir darüber sprachen, wie alles Leben in dem See voneinander abhängig und miteinander verwoben ist? Wir sahen die Seerosen, das Wasser, die Kaulquappen, die Schildkröten, die Baumstämme, das Gras und die Enten als eine große Familie. Sie gehören zusammen. Zusammen bilden sie den See.
Genauso ist es bei uns Menschen. Wir sind wie jener See - miteinander verbunden, von Beziehungen abhängig, ein gemeinsames Ganzes. Wir leben nicht isoliert und abgeschnitten vom Rest der Welt.
Wir können nicht allein existieren. Weißt du noch, wie sehr wir diesen See liebten? Ich glaube nicht, dass wir dachten, irgendein Teil von ihm sei weniger wert als der Rest, gehöre nicht dazu oder habe sich schuldig zu fühlen, weil er von anderen Teilen abhängig ist. Verändert sich ein Bestandteil des Lebensraumes „See", passen sich die übrigen an und schaffen Ausgleich. Gemeinsam sind alle Teile in Bewegung und halten den See im Gleichgewicht und gesund.
Wir heilen gemeinsam. Wir werden gesund, wenn wir in Beziehungen eingebunden sind. Der Apostel Paulus schreibt in einem seiner Briefe, wenn ein Glied des Leibes Christi leidet, leiden alle Glieder mit. Umgekehrt, wenn ein Glied heil wird, werden alle Glieder gesund.
Wir sind wie jener See im letzten Sommer. Erinnerst du dich noch an den Frosch auf dem Seerosenblatt oder an die Schildkröte, die sich auf dem Baumstamm sonnte?
Ein Waldmurmeltier wohnt tief unter dem Wurzelwerk der Eiche. Ich sehe es oft zum Teich huschen, um zu trinken.
Denk an den See.
Entfernungen überbrücken
WIE VIELE KILOMETER sind es eigentlich, die uns trennen? Wie können wir uns nahe sein, wo wir so weit voneinander entfernt sind? Wie können wir uns einander verbunden fühlen, einander Kraft geben? Gibt es etwas Gemeinsames, das innerhalb unserer Reichweite liegt? Ich stelle diese Fragen, weil ich weiß, wie schmerzlich man jemanden vermissen kann. Ich weiß, wie sehr wir uns manchmal wünschen, einen geliebten Menschen an unserer Seite zu haben -besonders in Zeiten der Krankheit.
Wie lassen sich räumliche Entfernungen überbrücken? Ich denke da an einfache Dinge des täglichen Lebens, die verbindend sein können. Etwa bestimmte Uhrzeiten, Zeichen, Symbole, die uns wichtig sind und zu denen wir beide einen Zugang haben. Vielleicht finden wir etwas, woran wir jeden Tag gemeinsam denken können. Vielleicht gibt es eine Zeit am Tage, zu der wir wissen, dass der andere an uns denkt. Wann können wir uns einander nahe fühlen? Es gibt so viele Möglichkeiten:
bei Sonnenaufgang
bei Sonnenuntergang
um zwei Uhr nachmittags
wenn wir den ersten Stern am Himmel sehen
um sieben Uhr abends
während wir unser Nachtgebet sprechen
wenn wir unseren Morgenkaffee trinken
Dies sind nur einige der vielen Zeiten, die uns beiden gehören können. Vielleicht werden sie zu Meilensteinen in unserem Tageslauf, die uns näher zusammenführen.
Versuche, gemeinsam mit den Menschen, die du liebst, solche Zeiten der Nähe zu finden. Übe das Nahsein bei diesen Gelegenheiten. Erspüre die Gegenwart des anderen. Sende ihm gute, heilende Gedanken; betet gemeinsam. Habe ein offenes Ohr für alles, was kommen mag. In Zeiten der Krankheit und Genesung können wir uns näher sein als je zuvor.
In der Nähe der Eiche stehen noch sechs andere Bäume, dicht genug, um sie zu berühren. Oder ist es die Eiche, die sich nach den anderen Bäumen ausstreckt?
Auch während du diese Worte liest, bin ich dir nah.
Wir sind nicht allein
MANCHMAL MÖCHTE ICH ALLEIN SEIN, so richtig allein. Dann will ich mich am liebsten verstecken, einigeln, abkapseln und dem Rest der Welt den Rücken kehren. Aber es ist unmöglich, vollkommen allein zu sein.
Weißt du, was passiert, wenn ich wirklich allein sein will? Immer dann, wenn ich mich rigoros und vollständig zurückziehen will, denkt jemand an mich. Jemand will sich mit mir treffen oder braucht meine Hilfe. Jemand wiederholt Worte, die ich einmal gesagt habe, tut etwas, was ich einmal getan habe, weckt Erinnerungen. Und wieder ist es mit dem Alleinsein vorbei.
Wir können nie ganz und gar allein sein. Es ist unmöglich.
Wir werden in eine Welt hineingeboren, aus der es kein Entrinnen gibt. Wir können einsame Orte aufsuchen, um allein zu sein, aber nie können wir völlig losgelöst von Menschen und Erinnerungen sein.
Irgendwo lebt immer ein Teil von mir weiter an Orten, die ich besucht, in Dingen, die ich geschrieben habe, in den Gesprächen der Menschen. Bäume, auf die ich geklettert bin, spenden nun anderen Schatten. Blumen, die ich gepflanzt habe, erfreuen die Herzen anderer. Worte, die ich schrieb, werden gelesen. Man erinnert sich an Lieder, die ich träumte, an Gedanken, die ich ausdrückte, an Berührungen und Umarmungen.
Nein, ich kann mich nicht vollkommen aus Beziehungen herauslösen. Niemand kann es - zum Glück nicht.
Es gibt Umarmungen und Küsse in meinem Leben, die spüre ich noch heute; ich schmecke noch den Wein, den ich mit jemandem teilte, sehe ein Lachen, weiß Worte auswendig, die ich einmal schrieb. Ich kann der Welt, in der ich lebe, und der Gemeinschaft, zu der ich gehöre, nicht entfliehen. Wenn ich allein sein will - wirklich allein - merke ich, wie stark ich in Beziehungen eingebunden bin.
Glaube nie, dass du völlig allein bist. Auch jetzt, in diesem Augenblick, denkt jemand an dich, spürt deine Gegenwart, auch jetzt wirst du vermisst, geliebt.
Vor Jahren hast du dich einmal bei mir für eine Flasche Wein bedankt. Ich denke noch oft an deinen Dank. Und ich denke an unser Telefongespräch über den Himmel.
Ruf mich mal an.
Es gibt jemanden, der an dich denkt.
Komm mich besuchen!
Wenn du dir Gemeinschaft wünschst, dann scheue dich nicht, diesen Wunsch offen zu äußern. Ich mag es, wenn du anrufst und sagst: „Du fehlst mir. Lass uns reden." Manchmal ist es der Kranke, der den Besuch einladen muss. Ich werde nie vergessen, wie mir ein langjähriger Freund schrieb: „Komm mich bitte besuchen."
Joe und ich kannten uns schon sehr lange. Als er vor einigen Jahren erkrankte, besuchte ich ihn hin und wieder. Doch als sich sein Zustand verschlimmerte, fiel es mir immer schwerer. Ich hatte Joe noch nie in so schlechter Verfassung gesehen. Ich wollte meine Gefühle nicht zeigen, um ihn nicht noch mehr zu deprimieren. So beschloss ich, mit meinem nächsten Besuch zu warten, bis es ihm besser ginge.
Aber je mehr Zeit verstrich, desto mehr musste ich an Joe denken. Ich fragte mich, ob er bemerkt hatte, dass ich immer seltener kam, ob er sich darüber Gedanken machte und meine Besuche vermisste. Dann erhielt ich seinen Brief, mit der Bitte, ihn zu besuchen. Eine Einladung. Ich fuhr sofort zu ihm und erzählte ihm von meinen zwiespältigen Gefühlen. Er beteuerte, wie viel ihm unsere Gespräche bedeutet hätten und wie sehr er sie vermisst habe. Er brauchte meine Besuche, und ich glaubte ihm.
Ich freute mich über seine Direktheit und Offenheit. Seine Ehrlichkeit war tröstlich für mich. Auch ich brauchte seine Gegenwart, und ich musste lernen, ihn mit neuen Augen zu sehen. Diese Besuchszeiten haben unser beider Leben sehr bereichert. Endlich konnten wir über Dinge reden, die wir in den vielen Jahren davor nie angesprochen hatten. Dabei kannten wir uns seit unserer Jugendzeit. Ich bin heute noch froh, dass er mich damals gebeten hat, ihn zu besuchen.
Vielleicht hast du bei Freunden und Verwandten ähnliche Reaktionen erlebt. Du fragst dich: „Warum kommen sie nicht? Warum melden sie sich nicht?" Sie ziehen sich zurück, obwohl ihr einander brauchen würdet. So war es bei Joe und mir.
Mach es wie Joe. Bitte Menschen, die dir am Herzen liegen, dich öfter zu besuchen, dir zu schreiben oder dich anzurufen. Sprich offen über deine Gefühle. Sag ruhig einmal: „Ich brauche dich. Ich brauche euch." Manchmal muss man als Patient den ersten Schritt tun und wird dann feststellen: Es war ein Segen für beide Seiten.
Hab keine Hemmungen, deine Bedürfnisse zu äußern und zu sagen: „Bitte, komm mich besuchen!" In der Bibel gibt es zahlreiche Beispiele von Kranken, die Jesus rufen ließen - und er zögerte keinen Augenblick.
Die alte Eiche ist heute ganz still. Es weht kein Wind.
In die Stille hinein flüsterte ich deinen Namen.
Ich möchte helfen
WAS IST EINFACHER: zu helfen oder Hilfe zu empfangen? Ich bin sicher, dass es jemanden gibt, der dir heute helfen möchte. Jemanden, der es möchte und der es braucht.
Wenn ich in dieser Lage bin, kannst du mir helfen, indem du mir sagst, wie ich helfen kann. Was kann ich dir geben, das du nötig hast? Was kann ich dir sagen, das du hören möchtest? Was kann ich tun, das dir Freude macht?
Das Helfen führt zu einer tieferen Frage. Wer bin ich für dich? Wie stehen wir zueinander? Welche Beziehung haben wir, und wie kann diese Beziehung dir jetzt eine Hilfe sein? Denke doch einmal darüber nach. Diese Fragen beschäftigen mich sehr.
Wir alle haben unsere Wünsche, Ansprüche, Bedürfnisse. Ich habe das Bedürfnis zu geben, zuzuhören, zu helfen, dich gesund zu machen. Ich möchte dich glücklich sehen. Ich möchte es, weil wir miteinander verbunden sind; Gott hat uns beide geschaffen. Und ich bin dein Freund. Wir sind zusammen durch dick und dünn gegangen. Wir kennen einander gut.
Du hast vielen Menschen durch Wort und Tat geholfen, auch wenn es dir selbst nicht bewusst war. Ich habe mit dem Schreiben begonnen, weil ich deinen Schmerz fühlen konnte und mir wünschte, dass du wieder gesund wirst. Ich dachte - und hoffte -, dass du mich brauchst. Deshalb schreibe ich dir diese Briefe. Ich möchte mich um dich kümmern, auf eine Art, die dir gut tut. Ich will es wirklich.
Lass mich etwas für dich tun. Ich möchte es so gern.
Unweit der großen Eiche wächst ein kleiner Ableger. Wenn der Herbst kommt, werde ich dem winzigen Baum einen eigenen Platz geben. Und ich weiß, er wird mich höchstwahrscheinlich überleben.
Bleib stark.
Familienbande
DENKST DU MANCHMAL, du seist eine Last für deine Familie? Lass uns einmal darüber nachdenken, was „Familie" bedeutet. Familie, das sind die Freunde. Wenn Fremde zu Freunden werden, dann gehören sie zur Familie. Familie, das sind Menschen, die geben und nehmen, die voreinander nichts zu verbergen haben, weder ihre guten noch ihre schlechten Seiten. Familie, das sind unsere Verwandten und das, was sie für uns bedeuten und wir für sie. Familie, das sind Menschen, die einander sehr gut kennen, die einander brauchen und zueinander stehen. In der Familie wird nicht über Soll und Haben Buch geführt. In der Familie kann man sich aufeinander verlassen.
Das Netzwerk der Familie bleibt bestehen, auch wenn wir krank sind. Familienmitglieder denken an uns, erinnern sich an unsere Wünsche und Gefühle und daran, wie wir sie beschenkt und was wir für sie getan haben. Wie auch immer es uns heute gehen mag, was immer wir tun und sind, wir bleiben eingebettet in die Familie. Wir sind Teil ihrer Geschichte, der einzelnen Lebenswege, Erfolge und Hoffnungen. Die Gebete unserer Familienangehörigen für uns geben ihrem eigenen Leben Kraft. Ihre Fürsorge erweitert ihren Horizont. Ihre Liebe zu uns bereichert ihr eigenes Leben.
Diese Zeit der Krankheit und Genesung ist die Zeit zu empfangen, zu danken, offen zu sein, sich anzulehnen, zu fordern. Öffne dein Innerstes für deine Familie. Schenke dich selbst. Gib ihnen, was du bist und was du in dieser Zeit geben kannst: deine Wünsche und Bedürfnisse, ein Lächeln, Worte des Dankes, eine Berührung. Gib ihnen, was du heute zu geben hast. Denn das ist alles, was wir einander geben können. Lass deine Familie für dich sorgen. Es wird ihr Leben reicher machen.
Auch meine Eiche gehört zur Familie. Heute frage ich mich, wie ich mich um sie kümmern kann. Eines ist sicher: Ich liebe die Eiche zu jeder Jahreszeit. Das ist es, was ich für sie tun kann.
Ich freue mich, dass ich zu deiner Familie gehören darf.
Heilen und geheilt werden
ALS ICH KLEIN WAR, wollte ich meiner Mutter helfen, wenn sie Migräne hatte. Eifrig massierte ich ihren Nacken, damit es ihr bald wieder besser ginge. Und während ich das tat, erfuhr ich ebenfalls ein Stück Heilung.
Heute, viele Jahre später, zehre ich noch immer von dieser heilenden Beziehung. Ich kann die Berührung spüren. Ich fühle noch heute, wie sie sich meinen kleinen Händen anvertraute.
Das ist es, was ich dir heute schreiben will: Heilung geschieht wechselseitig. Wenn wir Hilfe annehmen, helfen wir demjenigen, der sie uns schenkt. Heilung ist ein Kreis, eine Beziehung, die aus Geben und Nehmen besteht.
Ich massierte meiner Mutter den schmerzenden Nacken, ohne die Heilung in irgendeiner Weise erzwingen zu wollen. Sie ließ es geschehen, leistete meinen kleinen Fingern keinen Widerstand. Ich gab; sie nahm meine Gabe freimütig an. Und während dieser Zeit des gegenseitigen Heilens hörte ich bei jedem ihrer Atemzüge ihr leises Stöhnen: „Ahhmm. Ahhmm." Als Kind klang es damals für mich wie „Amen. Amen." Ich höre diesen heilenden Klang noch heute. Ahhmm - als ich noch klein war, hörte ich diesen Laut zum ersten Mal. Amen ist heute noch, viele Jahre später, ein heilendes Wort für mich.
Ich möchte dir aus ganzen Herzen "Amen" zurufen.
Alte Hausmittel
KANNST DU DICH NOCH an die Hausmittel und Bauernregeln aus deiner Kindheit erinnern? In unserer Familie gab es etliche davon. Manche kannten wir auswendig. Andere bewahrte meine Mutter in einem zerlesenen Gesundheitslexikon auf, das sie ebenso gut kannte wie den Katalog ihres Lieblingsversandhauses.
Bekamen wir Kinder auf dem Weg zur Schule Schluckauf, so wuss-ten wir, was dagegen half: „Wirf einen Erdklumpen über deine rechte Schulter und höre, wie er zu Boden fällt." Man vergesse nicht den Zusatz: „Je weiter man den Erdklumpen hinter sich wirft, desto größer sind die Chancen auf Heilung." Dies waren die medizinischen Rezepte, die man uns Landkindern gab.
Und wir glaubten daran. Jeder von uns, der auf dem Schulweg an Schluckauf litt, wurde kuriert. Manche sagten, der Glaube daran sei das Wesentliche. Andere schrieben den Erfolg dem Erdklumpen zu. Wieder andere fanden heraus, dass man unbedingt den Atem anhalten musste, während man wartete, bis der Klumpen zu Boden fiel.
Was auch immer der Wahrheit entsprach, es hat geholfen. Und es hatte mit dem Glauben daran zu tun, davon bin ich überzeugt, denn sonst hätten wir Derartiges gar nicht erst versucht. Sicherlich trug auch der Erdklumpen dazu bei. Die Heilkunst lebt von der Spritze, die man verabreicht bekommt, von der Salbe, die man einreihen, von der Pille, die man schlucken muss - oder eben von einem Klumpen Erde, den man hinter sich wirft. Ich denke, es kam dabei auf die richtige Atemtechnik an. Durch das Anhalten des Atems wurde der Kreislauf des Schluckaufs gebrochen.
Atmen ist Medizin. Manchmal genügt ein tiefer Atemzug, manchmal ein Husten, ein Rufen, Schluchzen oder Seufzen. Manchmal ist dieses Atmen ein Lachen.
Gott ist Geist.
Geist, Wind, Atem - diese drei Worte sind in der Bibel Synonyme.
Gelobt seien solche einfachen Heilmittel!
Der Wille Gottes
DU FRAGTEST MICH: „Was ist der Wille Gottes? Wie soll ich wissen, was sein Plan für mich ist?" Ich frage mich auch: „Was ist der Wille Gottes?" Es gibt viele Situationen, in denen wir uns diese Frage stellen. Wenn ich bete, versuche ich, Gottes Willen zu erspüren - anstatt mich von meinen eigenen Wünschen und Vorstellungen leiten zu lassen.
Wie soll man in einer Notsituation beten - während einer schweren Krankheit, vor einer Operation oder danach, wenn die Genesung auf sich warten lässt? In einem meiner vergangenen Briefe schrieb ich dir, dass ich sang, als man mich in den Operationssaal schob. Ich sang Gebete. Eine gute Art, sich für den Willen Gottes zu öffnen. Singe.
Ein anderes Mal, als ich kurz vor einer Operation stand, war mein Gebetsleben komplizierter. Ich grübelte, betete, versuchte mir Gottes Willen bildlich vorzustellen. Mein Gebet war mehr als ein Lied, es war ein komplexes Gefüge. Schließlich betete ich: „Dein Wille geschehe." Gedanken über den Willen Gottes durchströmten mich. Dann kamen die Bilder. Sie kamen in drei Gezeitenströmen. Im ersten Bild sah ich den ursprünglichen Willen Gottes und seinen Plan für mich und für die ganze Schöpfung. Ich stellte mir Bilder der Vollkommenheit vor, wie sie dem Willen Gottes entspricht. Der zweite Strom zeigte das heilende Wirken Gottes in der heutigen Welt - einer Welt voller Angst, Krieg, Leid und Tod. Ich stellte mir den Kampf Gottes vor, als er die Angst und
das Böse besiegte. Als Drittes sah ich, was der Wille Gottes letztendlich für mich und für die gesamte Schöpfung bedeutet: den Himmel, Gesundheit, das Abwischen aller Tränen, Licht, ewiges Leben. Ich versuchte mir auszumalen, wie vollkommen die Welt sein wird, nachdem Gott diesen letzten Willen vollendet hat.
Innerhalb von Sekunden erfüllten diese Bilder der Vollkommenheit mein ganzes Denken und Fühlen. Dann glitt ich in den Narkoseschlaf hinüber. Ich fühlte mich „vollkommen", voller Frieden und dachte: „Beide Daumen hoch!"
Der Wille Gottes lässt sich für mich nicht in einem einzigen Satz zusammenfassen. Er ist vielmehr eine Fülle von Bildern mit dem Titel: „Vollkommen".
Beide Daumen hoch für dich!
Gott wacht über uns
WACHT GOTT ÜBER DIR? Wie stellst du dir sein Wachen rar? Lass mich dir meine Gedanken dazu schildern: Manchmal wacht Gott über mir wie meine Mutter oder mein Vater: Er sitzt ruhig an meinem Bett und reicht mir eine heiße Tasse Tee und meine Medizin. Er weiß genau, wie ich mich fühle. Er zieht mir die wärmende Decke bis zu den Schultern hoch und hüllt mich sanft darin ein. Gott schläft nie, wenn ich ihn brauche; und er ist immer nah genug, um alle meine Regungen wahrzunehmen.
Manchmal wacht Gott über mir wie mein Arzt: Er ist nur ein paar Schritte entfernt auf dem Flur, auf dem Weg, nach mir zu sehen. Er ist auf dem neuesten Stand der Forschung. Er gibt den Schwestern präzise Anweisungen. Er setzt sich zu mir ans Bett, untersucht mich gründlich und hört mir aufmerksam zu. Er nennt mich bei meinem Namen. Er unterrichtet mich über meinen Heilungsprozess. Er schenkt mir Hoffnung und verspricht mir, bald wiederzukommen.
Manchmal ist Gott für mich wie ein guter Nachbar: Er bringt Blumen oder etwas zu naschen mit, wenn er mich besucht. Er hält mich auf dem Laufenden über alles, was „draußen" passiert. Er verspricht, mir ein Abendessen zu kochen, wenn ich wieder zu Hause bin. Er weiß genau, wie lange er bleiben soll. Er ist der Meinung, ich sähe schon besser aus. Er sagt mir die Wahrheit auf optimistische Art. Er dreht sich ein zweites Mal um und winkt, wenn er das Zimmer verlässt.
Wie wacht Gott über dir?
Gott hat genug Engel, um sich um uns alle zu kümmern. Und dann und wann haben wir das Glück, sie sehen zu können und zu wissen, wer sie geschickt hat. Gott erfüllt den Raum mit Gesprächen und Neuigkeiten, die gut sind - und mit guten Absichten, die wir erkennen und spüren können, wenn wir offene Augen und Herzen haben. Gott hat uns geschaffen und versorgt uns mit allem, was wir brauchen, um ohne Angst zu leben und zu sterben. Menschen, die zu Gott gehören, haben dies von Generation zu Generation geglaubt und an ihre Kinder weitergegeben. Und es trifft auch für uns heute zu.
Von allen biblischen Bildern im Zusammenhang mit Gottes Wachen über uns liebe ich die Stelle am meisten, in der Jesus betet, bevor er verraten wurde. Dort sagt er, dass er in Gott ist und Gott in ihm und in denen, die ihm nachfolgen - in uns! So nah ist uns Gott, wenn er über uns wacht. So nah wie Vater und Mutter, die mich als Kind im Arm hielten, wenn ich krank war. So nah wacht er über uns.
Ich fühle, wie Gott in diesem Augenblick über mir wacht.
Und ich glaube, dass auch du sein Wachen über dir spürst.
Lass den Schmerz los
Ich fühle deinen Schmerz. Wirklich, ich kann ihn fühlen. Ich fühlte ihn auch in der vergangenen Nacht.
Im Traum befand ich mich an der Seite einer Frau, deren Körper auf einmal von großen Schmerzen gequält wurde. Ich sah den Schmerz, wie er sie von Kopf bis Fuß durchdrang; ich spürte die Qual in ihrem Gesicht, in ihren Augen und ihrer Körperhaltung.
Ich legte meinen Arm um sie, drückte sie an mich und fühlte die Heftigkeit ihres Kampfes, der ihren Willen lahmte und ihren Körper verkrampfte. Ich hielt sie fest, bis ich ihre Schmerzen und die Kälte, die sie erfüllte, in mir selbst spüren konnte. Ich litt genauso wie sie. Und ich bin überzeugt, dass dieser Traum mit dir zu tun hatte.
Ich träumte, deine Schmerzen zu fühlen, und während ich dich festhielt, nahm ich einen Teil dieser Schmerzen von dir. Noch beim Erwachen spürte ich den Schmerz in mir. Ich möchte ihn mittragen, mitfühlen und von dir nehmen.
Lass mich dich von fern im Arm halten, in Gedanken und im Gebet, damit du den Schmerz loslassen kannst. Im Traum hielt ich dich, bis du wieder warm wurdest, bis Gesundheit und Leben dich durchströmten wie zuvor, bis du Frieden fändest. Lass mich dich genauso festhalten -trotz der räumlichen Entfernung. Liebe überwindet alle Entfernungen. Aus der Ferne kann ich deinen Schmerz in mich aufnehmen und dir helfen, Leid und Angst zu tragen.
Es gibt noch jemanden, der dir ganz nah ist und dich festhalten wird, jemanden, der deine Schmerzen mit dir tragen und sie von dir nehmen will.
Im Neuen Testament, in den Evangelien, finden sich zahlreiche Beispiele, in denen von Leid gequälte Menschen ihren Schmerz loslassen, sobald Jesus zu ihnen kommt. Jesus hält dich fest. Und ich tue es ebenso, in Gedanken und im Gebet.
Lass deinen Schmerz los
Angst und Liebe
Wenn du Angst hast, habe ich auch Angst. Wie fühlt sich die Angst an? Wie verändert sie uns?
Ich weiß, wie qualvoll Angst sein kann. Ich kenne ihre äußeren und inneren Symptome. Sie lässt sich in meinen Augen lesen, auch meine Gesichtsfarbe verrät die Angst. Das Angstgefühl lässt meinen Atem flach und unregelmäßig werden; er gerät aus seinem normalen Rhythmus. Der Sauerstoffmangel wirkt sich auf meinen ganzen Körper aus. Manche Körperteile fühlen sich sonderbar an, als wären sie abgetrennt. Ich versuche sie zu spüren, und sie scheinen taub, als gehörten sie nicht mehr zu mir. Ich fühle mich fremd und von meiner Umwelt abgeschnitten. Mein Vertrauen stirbt, Beziehungen lösen sich auf, meine Sicherheit schwindet, meine Liebe wird mutlos. Unter der Last der Angst drohe ich zu zerbrechen.
In meiner Angst suche ich nach einem sicheren Anker, nach etwas oder jemandem, dem ich vertrauen kann. Ich will mich zusammenreißen, wieder eins mit mir werden, ein Ganzes werden. Es ist der Wille meines Schöpfers, dass ich in Einklang mit mir und in Gemeinschaft mit anderen lebe, dass ich meine Heimat finde, dass ich geliebt werde. Liebe ist die stärkste Waffe gegen die Angst. Sei gewiss, dass Gott dich liebt. Glaube daran, dass du geliebt wirst, vertraue darauf. Rufe dir Menschen ins Gedächtnis, von denen du weißt, dass sie dich lieben und dass sie dir treu bleiben werden. Lass ihre Liebe zu dir ein Spiegel für die Liebe Gottes sein. Die Angst ist schwächer als die Liebe. Die Liebe treibt die Angst aus.
Manchmal, wenn mich nachts die Angst überfällt und alles um mich herum wie ein böser Traum scheint, zünde ich eine Kerze an oder schalte das Licht ein. Der Anblick vertrauter Dinge in meinem Zimmer hilft, die Nachtgespenster und die Furcht zu vertreiben. Im Schein des Lichtes wird die Welt, die mich umgibt, wieder greifbar - auch meine innere Welt. Dann weiß ich wieder, dass ich geliebt werde.
Das Gesicht oder die Stimme eines geliebten Menschen hilft mir, mich wieder als Teil einer Gemeinschaft, als Teil eines Ganzen zu fühlen. Ein laut gesprochenes Gebet hilft mir, die Realität Gottes zu spüren -und seine Nähe zu mir. Auch wenn ich alte Briefe von Freunden lese oder in einem Album mit Familienfotos blättere, spüre ich die Liebe dieser Menschen und einen tiefen Frieden. Genauso schnell, wie die Angst in unser Leben treten kann, kann ein Zeichen der Liebe die Angst austreiben.
Auch in diesem Augenblick, während du diese Zeilen liest, kann die Angst von dir weichen - kann sie von dir genommen werden.
Glaube mir: Liebe treibt die Furcht aus.
Nimm die Chance wahr
Vor drei Jahren, als ich den Urologen sagen hörte: „Herb, es ist Krebs", begann es in meinem Gehirn wie wild zu arbeiten. Auf einmal dachte ich völlig neue Gedanken. Innerhalb von wenigen Tagen fing ich an, Menschen und Dinge mit ganz anderen Augen zu sehen. In der Klinik entdeckte ich einen Handzettel, der diese Erfahrung mit folgenden Worten beschrieb: „Krankheit kann die Chance Ihres Lebens sein. Treffen Sie jetzt Ihre besten Entscheidungen!"
Du sagst, dass du auf einmal Dinge tust, die du nie zuvor getan hast. Dein Leben folgt einem langsameren Rhythmus; du hast Zeit, um genau hinzuschauen, nimmst mehr wahr als je zuvor. Du triffst gute Entscheidungen.
Das wünsche ich mir für dich und für mich: dass wir gute Entscheidungen treffen, die Chance unseres Lebens nutzen. Die Zeit der Krankheit ist unsere Zeit, um Neues auszuprobieren, Spannendes zu entdecken und unsere Träume zu hegen. Mit dem Pinsel in der Hand stehe ich vor meiner Staffelei, die ich vor zehn Jahren zu Weihnachten geschenkt bekam. Ich schreibe Lieder, die ich schon immer schreiben wollte.
Wir erleben eine Zeit der Heilung und der Entdeckungen. Jetzt haben wir die Chance, offener zu sein, zu fragen und zuzuhören. Jetzt ist die Zeit der Gemeinschaft mit Gott: im Danken, im Nachdenken, im Fragen und Hören. In unseren Gesprächen spüre ich, dass du von einem Geist der Sanftmut erfüllt bist. Sanftmut ist eine Gabe, ein Geschenk Gottes. Die Zeit der Genesung ist geschenkte Zeit.
Während meiner jahrelangen Tätigkeit als Krankenhausseelsorger machte ich die Erfahrung, dass Menschen in Zeiten der Krankheit darüber nachdenken und sprechen wollen, was im Leben wirklich zählt. Familie und Freunde, die eigene Gesundheit und Entwicklung, Hoffnung, das Leben, die Liebe - all dies bekommt in Krisenzeiten einen neuen Stellenwert. Kranke haben oft erstaunliche geistliche Einblicke, die wir Theologen uns durch jahrelanges Studium erarbeiten müssen. Krankheit ist eine Zeit, in der wir Gott nah sein können wie nie zuvor.
Während oder nach einer schweren Krankheit fühlte ich mich stets enger mit meiner Familie verbunden. Dies ist unsere Chance, zu erleben, wie stark Familienbande sind und wie tragfähig unsere Liebe zueinander sein kann. Es ist eine Zeit für gemeinsame Ausflüge, um ausgelassen zu scherzen und zu lachen - und neu zu lernen, wie wir uns gegenseitig helfen und stützen können. Nutzen wir die Zeit der Krankheit als Chance, um Neues zu entdecken! Dann kann sie eine Zeit des großen persönlichen Wachstums für uns sein.
Dein Garten steht in voller Blüte. Er hat Sonne und Regen getrunken. Jede Pflanze streckt sich dem Himmel entgegen, um zu werden, wozu der Schöpfer sie bestimmt hat. Blumen können uns zeigen, wie man eine Chance ergreift. Sie wachsen immer weiter zum Licht.
Setze dein Vertrauen auf Gott.
Ein Segen für dich
Heute möchte ich dich mit einem alten polnischen Segensgebet grüßen. Es beginnt folgendermaßen:
Möge das Land unter deinen Füßen
fruchtbar sein.
Mögen deine Tage so leicht sein
wie der Tau, den die Sonne küsst.
Mögest du allen, die heute deinen Weg kreuzen,
mit offenen Händen begegnen.
Inspiriert durch diese Worte, schrieb ich ein Segensgebet für dich:
Möge diese Nacht dich sanft einhüllen
wie eine dunkelviolette Daunendecke
mit dem kuss der Morgenröte.
Die Nacht und der Morgen sind wie Vater und Mutter. Von Anfang an haben sie dich in den Schlaf gewiegt und wieder geweckt, schon als neugeborenes Kind. Mein Segen für dich geht weiter:
Möge der Geist Gottes
dich wie ein Wind von Osten nach Westen
durchwehen und reinigen
und dich wie ein Fluss
durchströmen von Kopf bis Fuß.
Der Geist oder Atem Gottes ist dein Ursprung. Es gibt einen Geist, den alle Menschen atmen können. Gottes Geist ist unser Leben.
Mögen die Cherubim für dich singen,
wenn sich dein Herz nach einem Lied sehnt.
Mögen die Seraphim für dich sorgen
und dir Speise bringen, die dich stärkt und heilt.
Es gibt sie, die Engel, die Boten der Segnungen Gottes. Engel singen. Auch du kannst singen. Die Musik ist dir zum Segen geworden.
Gott segne dich.
Spielen im Dunkeln
ICH SCHRIEB DIR EINMAL, dass die Nacht ein Freund sein kann. Auch die heutige Nacht ist für mich ein Freund. Ich denke daran, wie dunkel die Nächte in meiner Kindheit auf dem Lande waren. Ich mochte unsere helle Lampe im Hof, die hoch oben an einem Pfosten hing. Wenn wir Besuch hatten und spät abends noch draußen spielen durften, machten wir Kinder uns einen Spaß daraus, aus dem Schein der Lampe in die Dunkelheit und wieder zurück ins Licht zu laufen.
Ich denke noch oft an dieses Spiel in der Dunkelheit. Hast du ähnliche Erinnerungen aus deinen Kindertagen? Weißt du noch, wie es war, sich im Dunkeln zu verstecken, sich beim Fangen-Spielen ins sichere „Aus" zu retten oder mitten im Lauf ins Licht gefangen zu werden? Weißt du noch?
Heute Nacht liege ich im Dunkel meines Zimmers. Ich halte die Augen geschlossen, will die Dunkelheit auskosten. Hinter geschlossenen Lidern sehe ich einen Sternenhimmel, wie ich ihn seit Jahren nicht mehr erlebt habe. In Gedanken befinde ich mich mit einem geliebten Menschen auf einem Spaziergang im Mondlicht. Seit zwanzig Jahren bin ich nicht mehr bei Vollmond spazieren gegangen.
Oft lag ich nachts unfreiwillig wach. In der Dunkelheit sah ich Menschen aus meiner Umgebung zur Arbeit gehen oder von der Arbeit heimkehren. Heute Nacht ist die Nacht mein Freund.
Ist dir die Nacht vertraut? Kennst du den Zauber des nächtlichen Himmels oder das Meer bei Nacht, den Ruf eines Seetauchers auf einem nächtlichen See oder Blumen und Vögel in der Nacht? Ich hatte einmal eine Katze und wünschte mir manchmal, sie würde mich auf ihre nächtlichen Streifzüge mitnehmen. Als ich gestern Nacht eine Eule rufen hörte, wünschte ich, ich könnte neben ihr sitzen, die Welt mit ihren Eulenaugen sehen und für einen Augenblick in ihre Haut schlüpfen.
Was macht dein Garten bei Nacht? Bleiben die Blüten geöffnet oder schließen sie sich? Was geschieht mit einem Blatt, wenn der Tau es sanft im Dunkeln benetzt? Hast du schon einmal länger als eine Stunde beobachten können, welche Bahnen die Sterne am nächtlichen Himmel ziehen?
Ich schreibe dir diesen Brief in der Nacht. Ich weiß, dass du manchmal nachts wach liegst, wenn sich der Schlaf nicht einstellen will. So fühle ich mich dir nahe in dieser Nacht. Wenn wir unsere Augen schließen, können wir gemeinsam unter dem Sternenhimmel spazieren gehen. Gott hat uns das Wunder der Fantasie geschenkt. Wie gut, dass wir in der Dunkelheit spielen und sie lieben lernen konnten, als wir noch Kinder waren. Wenn du willst, schreibe mir mal einen Brief in der Nacht.
Vielleicht hast du im Krankenhaus schon erlebt, wie sich der Zustand eines Patienten über Nacht gebessert hat. Ja, auch Heilung geschieht in der Dunkelheit.
Ich wünsche dir schöne Träume in dieser Nacht.
Über das Beten
ICH DENKE GERADE ÜBER GEBETE NACH. Über neue, frische, „hausgemachte" Gebete. Originale. Gebete, die, während man sie spricht, eine eigene Dynamik entwickeln und weitersprudeln wie ein Wasserfall. Manchmal bestehen sie aus ganzen Sätzen, manchmal nur aus einzelnen Satzteilen oder Worten. Manchmal sind sie ein bloßes Seufzen, ein Gefühl in meiner Brust, ein Lachen.
Betest du auch gerne so? Im Plauderton, von einem Thema zum anderen springend, wie im Selbstgespräch, obwohl du natürlich weißt, dass es kein Selbstgespräch ist? Ich liebe Gebete, die wie Rätsel erscheinen, wie Gedichte - Gebete, die man sich, würde man sie drucken, gut als Poster an die Wand hängen könnte. Doch manchmal sind mir die Gebete am liebsten, die sich über sämtliche Regeln der Interpunktion, der Grammatik und des Satzbaus hinwegsetzen. Über diese Art von Gebeten möchte ich dir heute schreiben.
Heute wachte ich um zwei Uhr morgens auf. Zuerst konnte ich nicht mehr einschlafen, und irgendwann wollte ich auch nicht mehr schlafen. Ich betete bis drei, dann bis vier Uhr. Die Uhr schlug und schlug, ich betete weiter wie ein Wasserfall. Erinnerungen kamen, und ich dankte, bat, hörte, plante. Mein Gebet war sehr emotional und erfüllt von Gedanken an gute Freunde. Alles, was mir wichtig war, brachte ich vor Gott, mit Worten, wie sie mir gerade über die Lippen kamen. In der zweiten Stunde meines nächtlichen Wachseins schlief ich betend ein.
Meine intensivsten Gebete entstehen oft in der Nacht. Die Nacht ist die Zeit der tiefen, persönlichen Gespräche.
Dieses „Zwei-Uhr-morgens-Gefühl" hatte ich auch als Kind, wenn Mutter und ich montags, an ihrem Waschtag, unsere Zwiegespräche führten. So plauderten und diskutierten wir in dem kleinen Waschhaus, während das Wasser kochte und der Duft von Mutters selbst gemachter Laugenseife den Raum erfüllte. Begleitet vom Summen der alten Waschmaschine mit Handschleuder führten wir ernste Gespräche.
Betest du auch manchmal ohne Punkt und Komma, wie ein Wasserfall? Wachst du nachts auf und betest? Schläfst du auch manchmal betend ein? Bitte erzähl mir, wie du betest.
Ich bin ein Träumender.
Bete weiter.
Das Geschenk eines Lächelns
Während ich mich von einer Krankheit erhole, schaue ich in den Spiegel und frage mich, wie ich aussehe. Ich stelle fest, dass ein Lächeln über meine Lippen huscht. Wünschst du dir auch manchmal, du könntest öfter lächeln? Ich wünsche es mir oft. Es kommt vor, dass ich froh und dankbar bin und es doch nicht zeigen kann. Kannst du das verstehen?
Manchen Menschen fällt es leichter, ihre Dankbarkeit zu zeigen. Eine Arbeitskollegin hat ausgeprägte Lachfältchen, die ihre Mundpartie umspielen. Ich hielt sie zunächst für Grübchen, jene Linien, die das Lächeln im Laufe der Jahre in ihr Gesicht eingraviert hat.
Ich glaube, dass diese Kollegin - falls sie jemals ärgerlich wird -dem Ärger mit einem Lächeln den Wind aus den Segeln nimmt.
Manchmal nenne ich sie zum Spaß „Sonnenschein". Die Spuren ihres Lächelns haben ihrem Gesicht eine besondere Note verliehen.
Von Zeit zu Zeit sage ich mir selbst: „Du bist glücklich. Zeige es doch!" Dann muss ich mir einen Ruck geben, damit die Worte über meine Lippen kommen, die sonst in meinem Inneren versiegen würden. Zeige heute deine Lachfältchen. Nimm bewusst wahr, an welchen Stellen sie sitzen. Meine Gesichtszüge sind oft nachdenklich, grüblerisch oder erstaunt. Selbst wenn ich innerlich froh und heiter bin, sieht man es mir nicht unbedingt an.
Bei der Frau, die ich „Sonnenschein" nenne, kommt das Lächeln aus tiefstem Herzen, und die Mimik des Lächelns hat ihren Gesichtsausdruck geprägt. Die Lachfältchen in ihrem Gesicht haben ihren Ursprung in der Tiefe ihrer Persönlichkeit. Mein Lächeln dagegen versteckt sich manchmal ganz tief im Inneren. Heute wünsche ich mir, dass meine innere Fröhlichkeit auch nach außen strahlen kann. Während ich diese Zeilen schreibe, spüre ich, wie sich in meinem Inneren ein Lächeln ausbreitet. Und nun lächle ich auch äußerlich. Ich danke dir.
Ein fröhliches Herz hat eine heilsame Wirkung. Gott schenkte uns die Gabe des Lächelns. Unser Lächeln macht uns schön.
Übrigens, ich mag dein Lächeln.
Im Gebet vereint
Du sagst, wir seien so weit voneinander entfernt - 2000 Meilen. Wenn ich mir vorstelle, diese Strecke im Auto zurücklegen zu müssen, kommt es mir wirklich weit vor.
Bist du früher auch quer durch das Land gefahren, und die vorbeifliegenden Telegrafenmasten am Straßenrand gaben den Takt an wie ein Metronom? Wir scheuten die Entfernungen nicht, sie gehörten zum Abenteuer der Reise. Ich freute mich, wenn ich das Ziel erreichte, doch ich genoss es ebenso, unterwegs zu sein.
Du hast Recht. In Zeiten der Krankheit scheint die Entfernung, die uns von Freunden trennt, noch größer.
Doch glaube mir, wir brauchen nicht tagelang zu fahren, um uns zu treffen. Wir sind schon am Ziel. Die Zeit, die wir auf der Straße zubringen würden, können wir zusammen verbringen. Ich bin bereits bei dir.
Entfernung und Zeit haben etwas Magisches. Sie sind flüchtiger als Wasser und dehnbarer als Gummi. Glaube mir, ich bin bei dir. Und du bist hier bei mir. Was immer du sagen willst, ich kann es hören. Was immer du tun willst, ich kann dir dabei helfen. Es gibt eine Straße, die schneller ist als jede Autobahn, und eine Flugroute, die schneller ist als der Jetstream. Unsere Verbindungswege sind geistiger Art.
Wir folgen einer geistigen Reiseroute, durch Gebet miteinander verbunden. Ohne Straßensperren, Schlaglöcher, Umleitungen und Stoppschilder. Wir können uns überall unterwegs treffen. Du und ich können an fünf verschiedenen Orten gleichzeitig sein, zusammen lachen und uns austauschen, im Geist vereint. Wir können die Augen schließen und die Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart teilen -obwohl uns 2000 Meilen trennen.
Nun, seit ich dich besser kennen gelernt habe, kann ich zusammen mit dir all die Orte besuchen, von denen du mir erzählt hast, in denen du gewohnt, gelacht und gesungen hast. Ich bin bei dir. Das möchte ich dir heute versichern. Vergiss es nie.
Und vergiss nicht, dass es noch jemanden gibt, der uns auf dieser Reise begleitet.
Denn Gott sagt: „Ich bin bei euch alle Tage."
Herz und Verstand
Du fragst, ob bei mir Herz und Verstand jemals im Widerstreit stehen, sich erhitzen, Funken sprühen. Oh ja. Das tun sie sehr wohl. Ist dies der Fall, versuche ich in Worte zu fassen, was ich angesichts meiner Gedanken empfinde und wie ich über meine Gefühle denke.
In diesem Brief möchte ich gern zwischen Denken und Fühlen eine Brücke schlagen.
„Sie haben Krebs", sagte der Arzt zu mir. Augenblicklich wurde ich von Angstgefühlen überrollt. Ich war bestürzt und verstört, wusste nicht, was ich sagen sollte. Meine Gedanken griffen nicht mehr ineinander, drehten sich im Leerlauf. Gefühle brachen auf, gipfelten im Chaos und malten in meinem Inneren ein Bild wie ein dichtes, zum Leben erwachtes Wandgemälde. Meine Gedanken verschmolzen zu einem riesigen, verwischten Ölbild, frisch und nass, bei dem die Farben zerflossen und wild durcheinander liefen. Meine geistige Leinwand drehte sich, meine Gedanken verschwammen. Ich griff nach dem rotierenden Bild und hielt es fest. Ich hielt mich selbst fest, schaute mich an: Mein Äußeres war ein Spiegel jenes chaotischen inneren Bildes.
Dann trat jemand zu mir in dieses Chaos hinein, hielt mich fest, flößte mir Ruhe ein. Gemeinsam schauten wir das Krebs-Bildnis an. Wir schwiegen. Es bedurfte keiner Worte. Der wilde Strudel der Farben kam zum Stillstand. Konturen wurden sichtbar. Meine Anspannung ließ nach. Ich spürte Frieden. Das Leben erschien mir wieder lebenswert.
Als der Arzt sagte: „Sie haben Krebs", wirbelte meine Seele durcheinander wie eine Feder im Sturm. Mein Blick war verzerrt. Ich ließ alles los. Ich befand mich im freien Fall, doch in einer merkwürdigen Hochstimmung. Ich wusste: Ich bin sterblich. Ich fühlte: Ich bin sterblich. Doch gleichzeitig wusste und fühlte ich: Ich bin unsterblich. Ich fiel in Gottes Hand. Flüsternd wiederholte ich: „Ich habe Krebs." Es war eine Tatsache, die mich von nun an beschäftigen und mein Denken und Fühlen beeinflussen würde und mit der ich leben musste.
Wenn du Worte zu hören bekommst, die du schon immer gefürchtet hast, dann wünsche ich dir einen freien Fall - freudig, tollkühn und hoffnungsvoll - in Gottes ausgestreckte Hand. Wenn wilde Farben in deinem Inneren bersten, dann mögen sie zu einem Regenbogen werden.
Meine Gedanken sind bei dir, und ich fühle mich dir nahe.
Lachen ist Medizin
Danke, dass du mich an unser letztes Zusammentreffen erinnert hast. Ich hatte ganz vergessen, wie viel Spaß wir hatten, bis du erwähntest, wie viel wir gelacht haben. Und Lachen ist Medizin.
Vorhin hatte ich einen Termin beim Arzt. Eine Untersuchung bei meinem Hausarzt ist immer mit einer angeregten Unterhaltung verbunden. Heute erzählte er mir von einer Art natürlicher Medizin, aus Enzymen bestehend, die das menschliche Gehirn ausschüttet. Lange vor unserer Geburt, als wir noch im Mutterleib geborgen waren, bildeten sich diese Stoffe in unserem Gehirn. Enzyme können durch den Blutstrom zu den Nervenenden gelangen und Körperzellen heilen. Wir haben den Schlüssel zu unserem inneren Medizinschränkchen in der Hand. Er besteht aus den Gedanken, die wir denken, und den Worten, die wir wählen.
Diese Medizin ist immer verfügbar. Wir können sie durch ein herzliches Lachen freisetzen, durch ein Lied, ein Lächeln, durch positive Gedanken, durch Pfeifen oder Summen unserer Lieblingsmelodie. Freude bringt die Medizin in Fluss. Innerhalb von Sekunden strömt Heilung durch unseren Körper. Wir alle haben Zugang zu dieser körpereigenen Medizin.
Manchmal ergreift mich bei den Nachrichten eine Mischung aus Erschütterung und Staunen, wenn ich sehe, wie hungernde Kinder lächeln, wenn sie etwas zu essen bekommen. Auf einmal können sie wieder lachen und spielen, ihre Gesichter spiegeln die Freude wider. Und während sie sich freuen, setzt in den kleinen Körpern ein Heilungsprozess ein. Genauso geht es dir und mir. Wir lachen und das Medizinschränkchen öffnet sich.
Ich möchte dir heute folgendes Rezept mitgeben: Einmal täglich herzlich lachen und etwas tun, das dir Spaß macht. Gönne dir etwas Schönes. Lache über einen guten Witz oder höre gute Musik. Summe ein Lied. Lächle. Ich glaube, dass ich deshalb noch lebe, weil die Lach-Enzyme in mir so oft freigesetzt wurden.
Als ich fünf Jahre alt war, kletterte ich auf einem Maulbeerbaum an das äußerste Ende eines Astes, um die reifsten Beeren zu pflücken. Ich merkte, dass ich nicht mehr ohne Hilfe hinunterklettern konnte. Schließlich kam die Feuerwehr und holte mich vom Baum. Die ganze Nachbarschaft kam, jubelte und teilte die Freude, als ich gerettet wurde. Dies war das erste Mal, dass ich im Rampenlicht stand.
Du wurdest mit dem Geschenk des Lachens geboren. Die Wurzeln des Lachens sind älter und stärker als die Wurzeln des Weinens.
Freu dich am Leben.
Was uns stark macht
Wir sprachen über das Starksein, darüber, wie wir unsere Stärke wiedererlangen können und woran wir merken, dass unsere Energie zurückkehrt. Ich habe etwas erlebt, das mir wie ein Wunder vorkam: Es geschah etwas völlig Unerwartetes und gab mir Kraft.
Was ich selbst hinzutat, war: Ich öffnete meine Hände, war offen in meinen Gefühlen, öffnete mein innerstes Wesen. Ich lernte loszulassen. Ich machte mich verletzbar.
Und während ich mich öffnete, empfing ich. Ich sah, was mich umgab, und nahm es in mich auf. Ich erkannte, was mir andere Menschen in meinem Leben bedeuteten, und lernte es zu schätzen. Ich erinnerte mich an Geschenke, für die ich mich nicht bedankt hatte, und holte es nach. Ich freute mich, wo ich zuvor verpasst hatte, mich zu freuen. Ich weinte, wo ich der Traurigkeit keinen Raum gegeben hatte. Es war eine intensive, erfüllte Zeit. Ich war offen für diese Gefühle und spürte, wie ich erstarkte.
Meine Stärke kehrte also zurück, als ich lernte, loszulassen. Ich hörte auf, mich über Vergangenes zu ärgern, und entdeckte die Kraft des Lebens in der Gegenwart. Ich kämpfte nicht mehr gegen das Wetter oder die Jahreszeiten, und plötzlich überraschte mich die Natur mit neuen Düften und Farben, dem Gesang des Windes und einer wilden Schönheit. Ich öffnete meine Hände und streckte meine Arme nach Westen aus, dem fliehenden Tag entgegen, im Licht des Sonnenuntergangs. Als ich so dastand, erfüllte mich neue Kraft. Psalmworte wurden für mich lebendig.
Ich wurde verletzlicher und gleichzeitig stärker. Ich wurde schwach mit den Müden, still mit den Schweigsamen, begierig mit den Hungrigen. Ich weinte mit den Trauernden und tanzte mit denen, die sich freuten. Ich blieb in enger Verbindung mit den Menschen in meiner Nähe. Vereint in unserer Schwäche, wurden wir stärker. Ich legte meine Furcht vor der Schwäche ab und erinnerte mich an eine vergessene Verheißung: „Aber Gott ist treu, der euch nicht versuchen lässt über eure Kraft." In meiner Verletzbarkeit fand ich eine Stärke, die mich Gott näher brachte und mich froh machte.
Du sagtest: „Hilf mir, stark zu sein." Ich hoffe, dass dieser Brief dir helfen kann, von Tag zu Tag stärker zu werden. Vieles, was ich beschrieben habe, habe ich durch dich gelernt. Während du diese Zeilen liest, will ich mich öffnen für deine Gedanken, deine Gebete. Ich fühle mich stark. Im Empfangen liegt eine große Kraft.
Sei stark im Herrn.
Ruhe und Schlaf
Die Farben des Sommers weichen. Rottöne mischen sich unter das Grün des Waldes hinter unserem Haus. Jeder Baum und jeder Strauch hat seine eigene Farbpalette. Bald werden die Blätter ihr buntes Herbstkleid anziehen. Auf den Hügeln und in den Tälern leuchten rote und goldene Sprenkel, wie mit Fingerfarbe hingetupft. Der Herbst steht vor der Tür.
Der Herbst hält stets mit einer Symphonie aus Farben Einzug. Ebenso der Frühling, wenn Blumen und frisches Grün aus der Erde sprießen. Dazwischen liegt der Winter. Im Dezember scheinen die Wälder in einen tiefen Winterschlaf zu versinken.
Ruhe und Schlaf. Darüber möchte ich in meinem heutigen Brief nachdenken. Auch wir Menschen leben im Wechsel der Jahreszeiten. Wir haben unsere aktiven Phasen und unsere Ruhepausen. Wir wachen und wir schlafen.
Es gab Zeiten, da hatte ich Angst vor dem Schlaf. Angst, ich würde nicht wieder aufwachen. Angst, im Schlaf würde sich das Leben davonstehlen. Ich sprach mit meinem Arzt darüber. Doktor Harold hörte mir zu, bis er wusste, welche Fragen er mir stellen musste. Was ich brauchte und wollte, war das Vertrauen in meinen Schlaf. Der Feind setzte alles daran, mir dieses Vertrauen zu rauben. Dieser Feind war mein Bedürfnis, etwas zu kontrollieren - zu manipulieren -, worauf ich keinen absoluten Einfluss hatte: mein Leben. Ich wollte Kontrolle, ich brauchte Vertrauen.
Mein Arzt hörte zu, fragte weiter nach. Die Monate vergingen. Im Laufe der Zeit lernte ich, zu vertrauen, zu schlafen. Ich lernte loszulassen, war weniger verkrampft. Ich konnte mich wieder entspannen und erholen. Heute liebe ich den Schlaf, die Ruhe, ein Nickerchen zwischendurch. Alles selbst in die Hand nehmen zu wollen, kostet viel Kraft. Doch wer vertrauen kann, sieht das Leben als Geschenk.
Wir haben keine Herrschaft über unser Leben, und das ist auch gut so. Wir empfangen es vielmehr als Gabe, von einem Geber, dem wir vertrauen können. Während ich schreibe, dachte ich gerade an ein Bibelzitat, das dieses Vertrauen auf wunderbare Art bestätigt: „Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen."
Weißt du noch, wie wir über das Wort „Amen" sprachen? Amen bedeutet „Ja, so sei es!", also im übertragenen Sinn auch: „Richtig, selbstverständlich, darauf kannst du dich verlassen." Amen bedeutet Vertrauen.
Noch zwei Wochen, und der Ahorn vor unserem Haus wird sein hellgelbes Blätterkleid tragen. So war es jedes Jahr im Herbst, seit wir ihn gepflanzt haben. Die Blätter werden sich gelb färben; darauf kann ich mich verlassen. Amen.
Amen für dich!
Heilung im Wandel der Jahreszeiten
WENN WIR VORANKOMMEN WOLLEN, müssen wir auch manchmal zurückschauen. Ich kannte einmal eine einfache Frau, die über eine große Lebensweisheit verfügte. Sie pflegte zu sagen: „Du musst dir umdrehn und zurückkieken, damit du weißt, wo du hinjehn musst." Daran musste ich denken, als ich dich sagen hörte: „Ich will Tulpen pflanzen." Tulpen sind mehrjährige Pflanzen. Jedes Frühjahr sprießen sie von neuem aus der Erde, aus ihren Zwiebeln. Sie schauen zurück, besinnen sich auf ihre Wurzeln, auf das, was sie wachsen lässt.
Auch du hast deine Wurzeln. Da ist deine Familiengeschichte. Da sind die Erinnerungen an deine Kinder. Wurzeln aus der Vergangenheit sind in uns lebendig. Wir besinnen uns auf die Urahnen unserer Familie oder auf unsere geistlichen Vorväter, auf der Suche nach Traditionen und Visionen, nach etwas, das uns Kraft gibt - und nach einer Antwort auf die Frage nach unserer Herkunft und unserem Ziel.
Die Wurzeln der Tulpen hüten ihren Schatz für die Zukunft. Bald wird Väterchen Frost Eisblumen an die Fensterscheiben malen. Pflanzen beugen sich im kalten Wind. Trockene Halme werden bald von hohem Schnee bedeckt sein. In dem Tal in der Nähe meiner Heimat in Minnesota wird es still. Einjährige Pflanzen überwintern in winzigen Samen. Die Wurzeln der mehrjährigen warten in tiefem Schlummer unter der Erde.
Deine Pflanzen kommen jedes Jahr wieder. Jede einzelne Blumenzwiebel trägt die Geschichte von Generationen von Pflanzen in sich. In jeder Zwiebel verborgen wartet die Schönheit der Blüte - ein Wunder, das sich jedes Frühjahr neu entfaltet. So ist es auch bei dir.
In dir ruht so vieles: das Vertrauen und die Liebe, die dir entgegengebracht wurden; der Glaube, den andere an dich weitergaben; die Eigenschaften, die zu deinem Wesen gehören. Wie viel Gutes haben wir in uns, von dem wir zehren, wie viele Reserven, die wir nach einer langen Winterpause anzapfen können.
Meteorologen sagen für dieses Jahr einen kurzen Winter voraus. Der Frühling wird zeitig kommen und mit ihm die Sonne, die neuen grünen Knospen und die emsigen Veilchen.
Gott hat uns Frühling, Sommer, Herbst und Winter geschenkt, damit wir heil werden im Wechsel der Jahreszeiten. Schau auf die Tulpen, die ruhen und wieder aufblühen. Dies alles fiel mir ein, als du sagtest: „Ich will Tulpen pflanzen."
Tulpen brauchen die Ruhe des Winters.
Der Duft frisch gebackenen Brotes
Es ist Montag. Montag war immer der Tag, an dem meine Mutter Brot backte. Noch heute kann ich montags das frische Brot riechen, den Honig schmecken und sehen, wie die hausgemachte Butter auf den ofenwarmen Scheiben schmilzt. Frisch gebackenes Brot war als Kind meine Medizin für Leib und Seele - falls ich einmal Medizin brauchte. Und das kam vor.
Meine ganze Welt in dem ländlichen Haus am Hang war plötzlich wie verwandelt, wenn meine Mutter das duftende, warme Brot aufschnitt. Und für eine kleine Weile war ich im Himmel. Hast du ähnliche Erinnerungen aus deinen Kindertagen?
Ein Duft - welch ein wunderbarer Freund, anregend und heilend. Düfte bringen angenehme Erinnerungen zurück: an Blüten, Sommertage, Gärten auf dem Land, gutes Essen, besondere Menschen, die Bäckerei um die Ecke, einen festlichen Abend, eine Geburtstagstorte, einen Frühlingsregen. Wie kommt es, dass die Düfte der Vergangenheit in uns lebendig geblieben sind? Sind sie nicht bis heute eine Tür zu Orten und Zeiten der Heilung?
Wir sind ihnen so nah: Der Duft heißer Schokolade oder frischer Äpfel, ein Korb mit knackigem Gemüse, ein Weihnachtsbaum, flackerndes Kerzenlicht - all das kann diese Tür öffnen. Weißt du noch, wie der Waldboden riecht oder ein viel geliebtes altes Buch, der erste Schnee oder das Herbstlaub? Ich kann mich noch heute an den Geruch des Wohnzimmers in Tante Minnies Haus erinnern. Und das ist fünfzig Jahre her, so wie der Duft von Mutters Brot. Ich liebte den Geruch des Herbstlaubes, wenn wir als Kinder in die Laubhaufen sprangen und uns lachend und kullernd darin wiederfanden. Weißt du noch, wie das war?
So erstaunt es mich nicht, dass duftender Weihrauch eine Opfergabe des Volkes Israel an Gott war. Düfte sind ein Segen. Ich liebe den Duft des Abendmahls: Brot und Wein, Kerzen, Weihrauch und die Blumen auf dem Altar.
Die Blätter der alten Eiche werden bald ihre Farbe wechseln. Ob es einen ganz bestimmten Eichen-Duft gibt?
Ich sende dir heute einen Hauch des Duftes von frisch gebackenes Brot.
Was gibt es Neues?
Was gibt es Neues? Ich meine es ganz wörtlich: Was gibt es Neues bei dir? Neues denken und Neues tun, ja, das will ich. Heute habe ich fünf Dinge aufgelistet, die ich vor wenigen Jahren noch gut konnte und die mir heute schwer fallen. Du weißt, wie es ist, wenn fortschreitendes Lebensalter und Krankheit ihren Tribut fordern. Ich muss zugeben, dass ich diese fünf Dinge vermisse. Und ich habe begonnen, neue Schwerpunkte zu setzen.
So nahm ich ein zweites Blatt zur Hand und schrieb zehn neue Dinge auf, die ich in den nächsten Jahren tun möchte. Die Liste wird mit der Zeit länger werden. Ich verspüre einen inneren Drang, eine Sehnsucht, diese neuen Dinge zu tun; ich muss sie tun. Sie sind für mich so wichtig geworden, wie die fünf anderen es einmal waren. Darum frage mich bitte bei unserem nächsten Telefongespräch: „Was gibt es Neues?"
Wenn ich heute auf mein Leben zurückblicke und daran denke, was ich in meiner Jugend gern unternommen habe, wird mir wieder einmal bewusst, dass wir die Vergangenheit gegen die Zukunft eintauschen. So ist nun einmal das Leben.
Das nächste Mal, wenn wir miteinander sprechen, können wir vielleicht unsere Listen vergleichen. Erzähle mir von den Dingen, die du schon immer einmal tun wolltest und für die du jetzt endlich Zeit findest. Erzähle mir, was es Neues gibt. Lass mich deine Liste sehen.
Heute dachte ich an Walter, einen Mann, der vor vielen Jahren zu unserer Gemeinde gehörte. Es gab eine Zeit, da musste er wochenlang bewegungslos im Bett liegen. Mitglieder der Gemeinde brachten ihm Listen mit Namen und Gebetsanliegen, und Walter wurde zu einem der treuesten und vollmächtigsten Beter in unserer Mitte. Die Menschen hofften auf ihn und vertrauten ihm, wenn er für sie um Heilung betete. So halfen Walters Gebete im Krankenhausbett vielen anderen Kranken, wieder gesund zu werden.
Die Jahre vergehen, doch es gibt noch so viel Neues zu tun und zu entdecken. Jetzt ist die Gelegenheit!
Die Nächte werden kälter. Die Blätter der Eiche folgen jedes Jahr demselben Kreislauf: Sie welken und fallen ab, um im kommenden Frühjahr neu zu sprießen. Dann schmücken sich ihre alten Zweige wieder mit frischem Grün.
Was gibt es Neues bei dir?
Die Kraft der Farben
In unseren Breiten ist der Hehrst schon weit fortgeschritten. Das Grün der Blätter hat sich in Gold verwandelt. Lass uns gemeinsam staunen, wie Gott die Erde ausschmückt auf seiner riesigen Staffelei. Ein Farbenmeer. Gott ist ein meisterhafter Maler.
Wenn du von den Blumen in deinem Garten sprichst, beschreibst du ihre Farben. Du kennst sämtliche Nuancen und Schattierungen ihrer Farbenpracht. Die Schönheit, die du mit deinen Augen aufnimmst, tut Körper und Seele gut und trägt viel zu deiner Genesung bei. Du siehst die Schönheit der Schöpfung, und Schönheit ist heilsam. Farben sind heilsam.
Gott ist ein Künstler. Er mischt die Farben und sprenkelt sie auf deine Gartenbeete und meine Herbstbäume: blass- und tiefgrüne Blätter, zartgelbe Pastelltöne neben kräftigem Orange und leuchtendem Rot. Ich staune über das Farbenspiel des Waldes. Du bewunderst die Vielfalt in deinem südlichen Garten. Gott hat einen Sinn für Schönheit. Und er gab ihn an uns weiter.
Er schenkte uns die Gabe des Staunens, des ehrfürchtigen Be-trachtens und der Freude. Es sind Gaben voll heilender Kraft. Ich sehe dich lächeln, wenn die erste Magnolie sich öffnet. Meine Seele wird heil, wenn sich die Eichenblätter rot färben.
Lass uns heute die Farben bewundern, Gottes Geschenk an uns. Ein kostenloses Schauspiel; wir brauchen keine Eintrittskarten. Und die Vorstellung geht rund um die Uhr weiter, denn auch die Nacht hat ihre Farben.
Manche Bäume haben sich heute in Blattgold gehüllt.
Trinke die Farben.
Festhalten und Loslassen
Ich habe heute einen Großteil unserer Garage entrümpelt. Mein Sohn half mir, einen Container zu bestellen und mein Leben von Überflüssigem zu befreien.
Hast du auch manchmal Angst, dich von lieb gewordenen Dingen oder Gewohnheiten zu trennen, Angst vor dem Loslassen? Ich kann das gut verstehen. Festhalten und Loslassen ist ein Thema, das mich zur Zeit sehr beschäftigt.
Loslassen fällt mir schwer, wenn es meine Gesundheit und die Fähigkeiten und Kräfte betrifft, die ich einst hatte. Ebenso schwer fällt es mir, Vergangenes loszulassen und mich von alten Andenken zu trennen. Ich brauche Zeit, um zu entscheiden, was ich behalten möchte und was nicht. Der heutige Tag in der Garage war nicht leicht für mich.
Ich glaube, ich habe eine Möglichkeit gefunden, lieb gewordene Dinge loszulassen, ohne mich vollständig von ihnen trennen zu müssen. Kleine Andenken aus vergangenen Tagen kann ich getrost festhalten. Einige davon konnte ich heute bei der Entrümpelung retten. So fanden wir zum Beispiel einen Stapel abgetragener Kleidungsstücke meiner Kinder: T-Shirts und Hemden, Jeans und Schlafanzüge. Als sie zu klein geworden waren, wurden sie als Putzlappen verwendet oder landeten, zum Wegwerfen bestimmt, in der Garage. Für mich steckt jedes einzelne Kleidungsstück voller Erinnerungen: an Camping-Urlaube, Abendgebete, Fahrradtouren, Gottesdienste, Feiertage. Sie alle lösen Gefühle aus, erinnern an Lebensabschnitte, Gerüche, Gelächter und Geschichten. Ich konnte sie unmöglich der Müllhalde übergeben. So nahm ich eine Schere und schnitt aus jedem Kleidungsstück ein kleines Quadrat heraus. Aus diesen Stoffvierecken wollen wir eine große Patchwork-Decke nähen.
Die einzelnen Stücke helfen mir, einen Teil des Ganzen festzuhalten. Beim Ausschneiden musste ich daran denken, dass man von allem nur das Beste festhalten sollte - die guten Zeiten, die positiven Gefühle -und das Übrige getrost loslassen kann. Gute Erinnerungen will ich hüten wie einen Schatz.
Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, die Schätze der Vergangenheit zu hüten. Vieles kann ich in den Gedichten oder Briefen festhalten, die ich schreibe. Bewahre diesen Brief für die Zukunft auf. Halte fest an kleinen Andenken vergangener Tage, die dich heute spüren lassen, dass du geliebt wirst. Alles andere kannst du loslassen.
Deine Kräfte, Fähigkeiten und Gaben werden dich nie wirklich verlassen. Sie werden auf geheimnisvolle Art verwandelt, doch sie bleiben ein Teil von dir. Halte fest an deinen wunderbaren Gaben - auch wenn es manchmal nur winzige Bruchstücke sind.
Denk an die Patchwork-Decke:
Aus kleinen Stücken entsteht ein vollkommenes, wunderbares Ganzes.
Zeit - ein Geschenk Gottes
Heute dachte ich: Es ist an der Zeit, einmal über das Geschenk der Zeit nachzudenken. Es gab eine Zeit, da stand ich chronisch unter Zeitdruck. Ich konnte nichts richtig zu Ende bringen, dachte ständig: „Ich habe keine Zeit."
Hast du auch manchmal das Gefühl, dass dir die Zeit davonläuft und du vieles nicht rechtzeitig schaffst? Hattest du auch schon Tag und Nacht die Armbanduhr um und hörtest, wie sich die Zeit erbarmungslos tickend davonstahl? Tick-tack, tick-tack. Hast du auch manchmal den Eindruck, dass die Zeit viel zu schnell vergeht?
Die Zeit kann zu einer Falle werden - starr und gleichförmig, tödliche Routine oder ein wahnwitziges Rennen gegen die Uhr. Gestern hielt ich alle Uhren in unserem Haus an, legte die Armbanduhr ab und ließ mich von der Zeit treiben wie von einem ruhigen Fluss. Die Strömung gab das Tempo an. Es war ein gutes Gefühl. Mein Tagesablaufwurde bestimmt von einer inneren Stimme, von den Umständen und Ereignissen. Ansonsten tat ich, was mir beliebte. Ich freute mich an der Zeit, ich tanzte mit ihr, lachte mit ihr. Die Zeit erschien auf einmal in einem ganz neuen Licht.
Wie kann etwas so Altes wie die Zeit neu werden? Indem wir anfangen, sie mit neuen Augen zu sehen - nicht als Herrscherin, sondern vielmehr als Reisegefährtin. Gestern hatte ich genug Zeit, und trotzdem verging die Zeit wie im Flug. Ich spürte eine wunderbare Freiheit.
Die Zeit ist frei. Und es gibt sie umsonst. Wir alle bekommen täglich dasselbe Quantum Zeit geschenkt. Heute sehe ich die Zeit als etwas, worüber ich bestimmen kann, anstatt mich von ihr bestimmen zu lassen.
Die Zeit ist ein Freund. Sie ist die Lebenszeit, die Gott dir und mir schenkt. Er gab sie uns, damit wir uns an ihr freuen und sie ausschöpfen. Wir brauchen sie nicht zu fürchten.
Ich bin für alle Zeiten dein Freund.
Entdeckerfreude
Wenn wir miteinander sprechen, erzählst du mir jedes Mal von etwas Neuem, das du gerade entdeckt hast. Zeiten der Genesung sind Zeiten der Entdeckungen.
Nach meiner Krebsoperation sprach man in der Klinik von einer „Genesungsphase". Ich nannte sie „Entdeckungreise". Dazu gehörten Wochen voller Höhen und Tiefen. Eine typische Woche verlief etwa so: Man befreite mich von den Schläuchen, an denen ich hing, ich kam nach Hause, mähte den Rasen, spielte ein bisschen Frisbee, sägte einen abgestorbenen Ast ab. Es folgten neue Infusionen, ich brauchte Ruhe, machte langsame Spaziergänge am See, fütterte die Wildgänse mit Brotstücken.
Ich erholte mich von der Operation. Und ich machte neue, spannende Entdeckungen. Ich entdeckte die Höhen und Tiefen, die der lange Weg der Genesung mit sich bringt. Hast du ähnliche Erfahrungen gemacht?
Ich erholte mich, aber das war nicht alles. Es war weitaus mehr als ein bloßes Wiederherstellen meiner Gesundheit. Ich schlug neue Wege ein, fand eine neue Lebenseinstellung. Ich entdeckte völlig neue Züge in mir. Ich entdeckte einen Humor, der lange Zeit verschüttet gewesen war. Ich entdeckte ein Gesicht im Spiegel, das ich gern anschaute. Ich merkte, dass ich jemanden vermisste, den ich lange nicht gesehen hatte. Ich entdeckte alle meine Sinne neu.
Heute kann ich mich viel besser annehmen. Ich erlebe Veränderung, Wachstum. Ich bin gesünder. Ich fühle mich jünger als zuvor.
Wie ist es bei dir? In welchen Lebensphasen hast du das größte Wachstum erlebt? Was gefällt dir an deinem Spiegelbild?
Damals, in der Schule, lernten wir, dass der Mensch fünf Sinne hat. Sind es wirklich nur fünf? Heute habe ich manchmal den Eindruck, dass es mehr sind. Ich bin überzeugt davon, dass wir einen sechsten Sinn haben.
Ich möchte teilhaben an deinen Entdeckungen.
Heilung von innen
Es ist Winter geworden. Der Nistkasten im Apfelbaum steht leer. Die Zaunkönig-Jungen sind flügge geworden und nach Süden geflogen, dorthin, wo du wohnst. Der Schnee fällt in dichten Flocken. Der leere Vogelkasten wirkt nicht einsam und verlassen; sein Anblick macht mich immer noch froh. Ich kann noch das Zwitschern und Pfeifen der Vögel hören und sehe die kleinen Zaunkönige emsig mit Nistmaterial und Futter hin- und herfliegen. Welch geschäftiges Treiben herrscht im Inneren eines Vogelhauses!
Auch du bist sehr beschäftigt. Ich merke, wie es in deinem Inneren arbeitet - da sind Gefühle, Hoffnungen, Enttäuschungen und Erwartungen. Doch was ich am meisten heraushöre, ist deine Fröhlichkeit. Du bist wie ein singender Vogel. Dein geschäftiger Geist hat eine heilsame Wirkung auf deinen Körper.
Im Rahmen eines Forschungsprojektes zum Thema „kindliche Kreativität" lautete eine Aufgabe: Zeichne ein Vogelhaus. Die Kinder machten sich eifrig an die Arbeit. Viele waren sehr schnell damit fertig. Die meisten zeichneten ein spitz zulaufendes Dach, Dreiecke und kleine Löcher mit Sitzstangen. Es waren ziemlich naturgetreue Darstellungen von Vogelhäusern.
Ein Junge zeichnete sehr langsam und konzentriert. Er schien die Welt um sich herum vergessen zu haben. Die ganze Zeit über hielt er sein Blatt Papier mit der Hand bedeckt. Allmählich entstand ein komplexes Bild. Als er gefragt wurde, wie er vorankomme, antwortete er leise, beinahe ehrfürchtig. Seine Stimme war kaum zu vernehmen. „Ich zeichne das Vogelhaus von innen." Ich denke, seine Zeichnung drückte das aus, was ich angesichts des schneebedeckten Vogelhäuschens empfinde. Ich sehe das Vogelhäuschen von innen.
Zum Schluss umrandete der Junge sein Bild mit einem Kreis, der das Einflugloch des Häuschens darstellte. Im Inneren entfaltete sich der Zauber seiner wunderbaren Vogelwelt.
Ähnlich ist es mit dem Gesundwerden: Es geschieht von innen heraus. Wenn ich deine fröhliche Stimme höre, dann weiß ich: Deine Heilung kommt von innen.
Ich grüße dich aus dem inneren meines Vogelhauses.
Die heilende Kraft der Musik
Denk an die Lieder, die du auswendig kannst. Denk an Melodien, die du liebst. Musik ist heilsam. Meine Jugend in der ländlichen Gegend von Nebraska war voller Musik. Zumindest scheint es mir heute so. Tagaus, tagein sang oder summte ich Spirituals. Sonntags stimmte ich aus voller Kehle in die alten Kirchenlieder ein, die von einem Harmonium begleitet wurden.
Ich erinnere mich an leise gesummte Lieder an meinem Bett, wenn ich krank war. Beim gemeinsamen Frühjahrsputz in der kleinen Landkirche sang ich zum Rhythmus meines Wischlappens. So ging mir das Putzen schneller von der Hand, und das Singen machte mich froh.
Tanzt du noch immer so gern?
Rhythmus, Melodien und gute Liedtexte sind heilsam. Die biblischen Psalmen waren ursprünglich Lieder der Heilung, der Vergebung, der Freude und des Trostes. Viele Psalmen wurden laut herausgeschrien, man weinte oder tanzte zu ihnen. Ich liebe diesen Vers in Psalm 131 - er ist wie ein Wiegenlied:
Fürwahr, meine Seele ist still und ruhig geworden
wie ein kleines Kind bei seiner Mutter;
wie ein kleines Kind, so ist meine Seele in mir.
Ich habe ein japanisches Haiku geschrieben, ein dreizeiliges Gedicht. Jede Zeile ist ein eigenständiges Bild. Die Silbenzahl dieser Gedichte unterliegt einem festen Muster: fünf - sieben - fünf. Ich schrieb es für dich.
Im Jetzt ruht die Zeit.
Gestern und heute sind Eins.
Tanze Brot und Wein.
Die Äste der Eiche beugen sich unter der Schneelast. Ich habe dir ein Lied geschrieben. Gib ihm eine Melodie.
Ich bin dein Liedermacher aus dem Schnee.
Licht und Schatten
Du schreibst, dass du viel Zeit in der Hollywood-Schaukel auf deiner Veranda verbringst. Unsere Veranda ist schon schneebedeckt.
Du liebst den Schatten an der Nordseite deines Hauses, den Schatten der Veranda. Ich weiß, wie es ist, in einer warmen Nacht durch den Schatten zu schaukeln. Ich brauche Schatten und schattige Plätze; sie taten mir in all den Jahren gut.
Schatten sind wunderbar, vor allem im Sommer. Ich mag es, beim Gehen meinen Schatten zu beobachten, staune über seine tänzerische Präzision. Ich mag seine schemenhafte Gestalt, seinen unbeirrbaren Gehorsam. Der Schatten tanzt im Sonnenlicht. Licht und Schatten sind unzertrennliche Tanzpartner.
In meinen Kindertagen hüteten meine Freunde und ich Kühe in der Nähe einer Bahnlinie. Wir banden alte Leinensäcke an einen Zaun, so dass eine Art Zelt entstand, unter dem wir sitzen und die Tiere im Auge behalten konnten. Wir saßen gern im kühlen Schatten unseres selbst gebauten Sonnendachs. Stand in der Nähe ein Baum, der groß genug war, setzten wir uns in den Schatten seiner Krone. Der Schatten war eine Wohltat an heißen Sommertagen. Kein Wunder, dass die Psalmisten im alten Israel auch den Schatten und die Hitze oder Kühle des Tages besangen.
Am liebsten sind mir die Schatten der Abendkühle, wenn die Sonne am Horizont versinkt und ein sanfter Wind das Haar streift. Ich bin froh, dass es bei dir kühl ist - und behaglich zugleich. Lerne Orte der Behaglichkeit zu schätzen. Eine Schaukel auf einer Veranda ist ein heilsamer Ort, dafür geschaffen, um nach überstandener Krankheit Ruhe und Erholung zu spenden.
Ich schreibe diesen Brief um zwei Uhr morgens. Es ist Vollmond, und das Mondlicht zeichnet die Schatten der Bäume in den hellen Schnee. Eine Nacht zum Nachsinnen und Träumen. Die Nacht heute ist still und von kristallklarer Schönheit. Doch nur wenige Menschen werden diese Schönheit sehen.
Stell dich einmal in die Mitte einer schattigen Fläche und beobachte aus dieser Perspektive, was der Schatten tut. Schatten sind faszinierend, fragil und flüchtig. Ihre Lebensdauer ist so kurz. Der Schatten ist die andere Seite des Lichts.
Ich wünsche dir eine gute Nacht.
Behalte deinen Namen lieb
Es gibt Tage, da fühle ich mich einmalig und wertvoll. Ein gutes Gefühl tief im Inneren, das mir niemand nehmen kann.
Dass dieses Gefühl in mir Fuß fassen konnte, ist nicht zuletzt der Verdienst eines wunderbaren Menschen. Als Kind wurde ich Herbert gerufen. „Herb" und „Brokering" kamen erst später. Meine Mutter benutzte stets meinen vollen Namen, und ich hörte ihn gern. Ich mochte meinen Namen, Herbert, wenn sie ihn rief. Ich weiß, dass auch du deinen Namen gerne hörst. Du liebst seinen Klang aus dem Mund der Menschen, die dir etwas bedeuten. Höre einmal in dich hinein: Welche guten Gefühle löst dein Name in dir aus, wenn dich heute jemand mit Namen anspricht?
Meine Tante Cora trug viel dazu bei, dass ich meinen Namen lieben lernte. Als ich klein war, nähte sie ein weißes Stoffhündchen für mich.
Auf seinen Bauch hatte sie meinen Namen gestickt. Da prangte er: mein eigener Name, von Hand gestickt und in roten Lettern. So wurde mein Name für mich zu meinem Lieblingswort. Herbert. Herbert. Ohne es zu wissen, hatte diese Tante den Samen der Wertschätzung in meine Kinderseele gelegt. Wenn ich das Stoffhündchen abends im Bett an mich drückte, umarmte ich zugleich meinen Namen, mich selbst und die ganze Welt. So schlief ich selig ein. Auch wenn ich einmal krank war, tröstete mich der kleine Hund. Bestimmt hast du Ähnliches erlebt. Wer half dir, deinen Namen zu „umarmen", als du noch klein warst? Wie lerntest du, den Klang deines Namens zu lieben? Halte die Melodie deines Namens fest und lass sie heute Balsam für deine Seele sein.
Ich spüre, dass du auf dem Weg der Besserung bist. Du erzähltest mir von deinem Puzzle mit eintausend Teilen. Ein Puzzle ist ein verlässlicher Freund. Du kannst jederzeit zu ihm zurückkehren. Es wartet immer auf dich. Ich weiß heute noch, wo mein kleiner weißer Stoffhund saß und auf mich wartete.
Die Winternacht ist kalt. In diesem Brief denke ich an das Warme, Tröstliche: ein Puzzle, ein Stofftier. Der Winter ist die Zeit, in der wir näher zusammenrücken. Weißt du noch, wie es war, als Kind bei Mutter oder Vater auf den Schoß zu klettern oder sich in die warme Lieblingsdecke zu kuscheln? Rufe dir heute etwas Warmes, Tröstliches ins Gedächtnis: ein Wort, eine Berührung, eine Umarmung, und kuschle dich darin ein.
Fühl dich von mir umarmt.
Der Segen des Dankens
Danke. Heute möchte ich dir vor allem einmal danke sagen. Danke, dass ich dir schreiben darf. Danke, dass du das Geschriebene auch liest.
Als ich das letzte Mal im Krankenhaus lag, machte ich eine interessante Beobachtung: Manchmal war ich so auf mich selber fixiert, dass ich vergaß, mich zu bedanken. Meine Schmerzen und Ängste waren einfach zu groß. Eine gute Freundin trug viel dazu bei, dass ich wieder danken lernte. Wann immer sie mich besuchte, strahlte sie Dankbarkeit aus - die Dankbarkeit war ein Wesenszug von ihr. Sie bedankte sich laut und selbstverständlich bei ihren Mitmenschen, und sie sparte nicht mit ihrem Dank.
Wahrscheinlich ahnte sie nicht, welch ein Geschenk ihre Dankbarkeit für mich war. Ihre Dankbarkeit war ansteckend, und schon bald wurde ich von demselben heilenden Virus erfasst. Danken ist heilsam. Mit dem Danken stellt sich ein Gefühl der Freude ein. Unsere Züge entspannen sich. Danken erhebt unseren Geist. Dankbare Herzen können besser beten. Wer dankbar ist, erinnert sich an schöne Zeiten, liebe Menschen, gute Erfahrungen. Danken ist eine gute Medizin. Danken mündet ein in Musik, in Gedichte und Lieder. Dank jubelt, winkt und tanzt.
Jener Krankenhausaufenthalt ist Jahre her. Aber ich kann noch immer die Stimme dieser Freundin hören. Durch sie lernte ich eine wunderbare Lektion über Heilung. Heute bedanke ich mich gern, und ich suche nach Zeichen der Dankbarkeit bei anderen. Es brauchen keine Worte zu sein - viel wichtiger sind Augen und Hände. Oft genügt schon ein Blick, ein Strahlen, ein Händedruck, eine Berührung, eine Umarmung.
Danken besteht aus Geben und Nehmen. Beides ist wichtig - Dank sagen und Dank empfangen. Beides ist heilsam.
Ich bin dankbar, dass es dich gibt.
Die Welt in voller Blüte
Endlich tritt der Winter seinen Rückzug an. Die Tage werden länger, die Sonne geht früher auf. Die Natur weiß, dass der Frühling kommt. Selbst der Wind ist wärmer geworden.
Heute ließ ich dein Telefon länger klingeln als sonst. Ich wollte dir genug Zeit lassen, um zum Telefon zu kommen. Du kamst aus dem Garten. Du sagtest, bei euch in Louisiana sei der Frühling bereits angebrochen. Du erzähltest von den Blumen, die schon blühen. Du sprachst davon, wie sich die Rotkehlchen sammeln, so wie sie es jeden Winter tun, bevor sie ihre Reise nach Norden antreten. Dieses Jahr seien sie früh dran. Bald schon würden sie zu uns kommen. Du sagtest uns ein zeitiges Frühjahr voraus. Die Rotkehlchen und die blühenden Blumen bringen Grüße von dir zu mir.
Was ich aus alledem heraushören konnte, war: „Es geht mir gut." Deine Stimme klang heiter wie die blühenden Narzissen, von denen du erzähltest. Beinahe konnte ich das Leuchten sehen, das über dein Gesicht huschte, als du die Azaleen beschriebst. Deine Stimme sang, als du von den Rotkehlchen sprachst, die eifrig Körner picken und Kräfte sammeln, bevor sie nach Norden fliegen. Immerzu muss ich daran denken, wie gut deine Stimme klang.
Du sagtest, es sei die Arbeit, die uns Menschen ein Gefühl der Wertschätzung verleiht. Deine Arbeit, das ist der Garten. Und zwar nicht nur das Säen, sondern auch das Sehen. Das streichst über die Blüten, riechst an den Pfingstrosen, pflückst Blumen für einen bunten Strauß. Die Blumen geben dir das Gefühl, gebraucht zu werden, wertvoll zu sein.
Es kommt nicht von ungefähr, dass wir bei Krankenbesuchen Blumen schenken. Blumen - sie sind die Saat, die Sonne, die Erde, der Regen. All dies steckt in einem Blumenstrauß. Deine gelben Narzissen sind die Wolken, der Himmel, die Nächte, die Morgenröte, der Tau. Ein Werk Gottes, für uns geschaffen zur Freude und Heilung.
Deine Blumen blühen schon. Um so gespannter will ich hier im Norden auf das Aufgehen der Saat warten. Du sahst die Rotkehlchen, die zum Aufbruch bereit sind. Ich bin gespannt auf das erste Rotkehlchen in unserem Garten.
Ich rief dich an, um zu hören, ob es dir gut geht.
Nach unserem Gespräch geht es mir ebenfalls gut.
Der Kreislauf der Heilung
Du sagtest, meine Briefe hätten dir gut getan. Ich erwiderte: „Und mir tut es gut, dass du das sagst. Heilung ist eine Kettenreaktion, ein Kreis. Man empfängt Liebe, und man gibt sie zurück."
„Oder man gibt sie an jemand anderen weiter", sagtest du. Danke für dieses schöne, umfassende Bild der Heilung: Wir geben sie weiter, vervielfachen sie.
Es begann damit, dass ich dir täglich einen Brief schrieb, zwölf Tage lang. Dann schrieb ich immer weiter. Du bewahrst die Briefe in einem Ordner auf. Du nennst sie „unsere Briefe". „Unser" ist ein kreisrundes Wort. Heilung ist ein Kreislauf, ein Miteinander. Durch unsere Hilfe werden andere heil, und dabei erfahren wir selbst Heilung. Gesundheit ist ein Kreis, eine Spirale, ein Rundweg.
Denk einmal an das Wunder einer Heilung. Wie geht es vor sich? Ich stelle es mir vor wie eine riesengroße Spirale, die von Gott ausgeht -ihrem festen Mittelpunkt - und die kreisend alles in sich aufnimmt: eine Welt aus Licht, Worten, Medizin, Bildern, Stimmungen, Gedanken, Vertrauen, Geist. Unsere Heilung hängt davon ab, was wir sagen, wissen, erzählen, fürchten, glauben, geben, empfangen, berühren, schmecken, riechen, trinken. Heilung erfordert Dankbarkeit, Achtung, Begeisterung, Ehrfurcht, Staunen, Respekt, Aufrichtigkeit, Schönheit, Musik, Liebe, Anbetung.
Gesundheit umfasst unser ganzes Sein - unser Äußeres und Inneres, „Haus und Geist", die im Einklang miteinander leben. Heilung umfasst Zukunft und Vergangenheit, das Gewesene und das Kommende, Furcht und Hoffnung, Alpha und Omega.
Dies sollte auch in meinen Briefen zum Ausdruck kommen. Sie sollten ein Zyklus der Harmonie sein, des Friedens mit uns und unserer Welt. Heilung besteht letztendlich aus einer guten Beziehung in einem gesunden Umfeld - einem Kreis, der Gott als Zentrum hat. Heilung ist Ganzheit, Friede, Heiligkeit. Gemeinsam trugen wir dazu bei, dass diese Briefe zu einem Werkzeug der Gnade Gottes wurden.
Danke, dass du ein Teil meines Kreislaufs der Heilung bist.
Pflanze einen Baum der Freude
wie können wir unsere Heilung feiern? Was hältst du davon, wenn wir einen Baum pflanzen? Vielleicht eine Blautanne. Bald wirst du in unsere Gegend kommen, um deine Tochter zu besuchen. In einer Ecke ihres Gartens könnte unser Baum seinen Platz finden.
Die Jahre werden vergehen. Immer, wenn du bei uns im Norden zu Gast bist, werden wir gemeinsam dem Baum einen Besuch abstatten. Zu Weihnachten werden die Kinder unsere Tanne mit Vogelfutter schmücken. Vögel werden in ihren Zweigen nisten, Spinnen von Ast zu Ast ihre Netze weben. Dein Baum wird sich gegen den hellen Himmel abheben, er wird Samen tragen, und seine Schatten werden auf die stillen Wasser des Sees fallen. Vollmond und Sonnenaufgänge werden seine Zweige segnen.
Es geht dir gut. Lass uns einen Baum pflanzen und ihm einen Namen geben. Weißt du noch, wie ich dir in einem meiner Briefe schrieb, dass ich einen Baum „Phileo" nannte?
Mein Vater liebte Bäume. Wo immer wir wohnten, pflanzte er einen Baum. Ich goss die kleinen Bäumchen, sah sie wachsen, gab ihnen Namen. Wenn wir umzogen, kehrten wir nach Möglichkeit zurück, um die Bäume zu besuchen. Bäume wachsen genauso wie wir: Sie geben und nehmen, strecken sich nach dem Licht aus, sie trinken mit ihren Wurzeln, blühen auf zu neuem Leben.
Nach meiner Bypass-Operation trat ich eine Pilgerreise an in die Länder, die einst hinter dem Eisernen Vorhang lagen. Unsere Reisegruppe half mit, in Dresden einen Baum zu pflanzen, einer Stadt, die im Zweiten Weltkrieg beinahe vollständig zerstört worden war. Der Baum sollte ein Zeichen der Versöhnung und Heilung sein. Für diesen Baum war auf einem großen, unbebauten Stück Land ein Loch ausgehoben worden. Die Leitung der Dresdener Kirchengemeinde verlangte, dass der Baum an den Rand des Grundstücks gepflanzt wurde. Die freie Fläche sei ein Denkmal zur Ehre Gottes. So pflanzten wir den Baum an den Rand - und gaben Gott die Ehre.
Darum möchte ich mit dir einen Baum pflanzen - als Zeichen der Heilung und als Denkmal zur Ehre Gottes. Um gemeinsam mit dir Gott zu danken. Um ihm zu danken, dass es dich gibt. In diesen vergangenen Wochen, Monaten und Jahren haben wir beide Heilung erfahren. Der Baum wird unser Zeichen der Dankbarkeit sein und uns immer an das Gewesene erinnern.
Jemand wird für die Blautanne sorgen und ihr Wasser geben. Und die Tanne wird diese Fürsorge erwidern und das Empfangene zurückgeben.
Sorge gut für dich und pass auf dich auf. Ich bleib an deiner Seite.
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Я сканнирую книгу и заношу сюда, буду читать.
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Это понятно, ведь это письма, написанные больной женщине от человека, который сам перенес операции и даже вылечился от рака.
Он пишет письма, одно в день. Письма написаны в виде советов, мудрых мыслей.
Я читаю с учебной целью - почитать что-то на немецком.
Ну а вообще книга может быть полезна и для тех, кто сильно болеет - может что-то прочтет для себя полезное.
Давайте почитаем, кому что непонятно - спрашивайте, будем разбираться.